Über das Projekt
Der Uranerzbergbau in der DDR und die anschließende Sanierung der Hinterlassenschaften sind untrennbar mit dem Unternehmen „Wismut“ [1] verbunden. Der Begriff „Wismut“ steht dabei als Synonym für ein sowjetisches (SAG) bzw. sowjetisch-deutsches (SDAG) Bergbauunternehmen zur Uranerzförderung und als Identifikationsbegriff für viele Tausend Angestellte. Bis zum Ende der DDR 1990 förderte die Wismut circa 231.000 Tonnen Uran und war damit nach der Sowjetunion, den USA und Kanada der viertgrößte Uranproduzent der Welt. Die Förderung von Uranerz in den DDR-Abbaugebieten nahm Einfluss auf Landschaften, Industrien und Lebenswelten der Menschen dieser Region. Die seit 1990 andauernde Sanierung – die bisher 6,2 Milliarden Euro kostete – zeigt, dass die Spuren der „Wismut“ bis in die Gegenwart für Umwelt und Mensch in der Region prägend sind.
Die Freistaaten Sachsen und Thüringen haben gemeinsam die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig beauftragt, multidisziplinäre Forschungen für das Wismut-Erbe zu sondieren, zu konzipieren und zu dokumentieren. Die Wismut GmbH begleitet und fördert das Projekt. Das Vorhaben startete am 1. November 2019 in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Länderkunde und der Humboldt-Universität zu Berlin und läuft zunächst bis Juni 2021. In zwei Teilprojekten werden schriftliche und mündliche Quellen in Archiven untersucht (Teilprojekt A) und Zeitzeugen (Teilprojekt B) befragt. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in einem digitalen Forschungsportal zur Wismut münden.
Ausgangspunkt für die Forschungsprojekte war die am 20. September 2017 verabschiedete Absichtserklärung zwischen dem Bund sowie den Ländern Thüringen und Sachsen mit der Wismut GmbH. Darin verständigten sie sich darauf, „ein der Geschichte und Bedeutung des Unternehmens Wismut angemessenes Erbe-Konzept zu entwickeln und umzusetzen“. In der Folge entwickelte das Deutsche Bergbau-Museum Bochum (DBM) unter der Leitung von Stefan Brüggerhoff im Auftrag der Wismut GmbH 2019 ein Konzept zum zukünftigen Umgang mit dem Erbe des Uranerzbergbaus in Sachsen und Thüringen. Dabei wurden vier grundlegende Ziele definiert: bewahren, erforschen, präsentieren und vermitteln.
Wie im Umsetzungskonzept des DBM festgehalten wurde, ist das Wismut-Erbe vielschichtig, dezentral und von Ambivalenz gekennzeichnet. Ein strukturiertes Aufarbeiten der Bestände stellt demzufolge eine große Herausforderung dar und ist zugleich Kernziel des Teilprojektes A. Ein Großteil der Bestände befindet sich im Unternehmensarchiv der Wismut GmbH bzw. wird derzeit ins Bundesarchiv nach Berlin übergeben. Weitere Bestände finden sich in Landes- und Kommunalarchiven, in kirchlichen Archiven, in Universitätsarchiven und russischen Archiven. Die äußerst relevanten Bestände der russischen Archive, etwa des Staatlichen Archivs der Russischen Föderation, des Russischen Staatlichen Militärarchivs, des Russischen Archiv der sozialpolitischen Geschichte oder des Archivs des Ministeriums für Atomenergiewirtschaft können – aufgrund der derzeit vorherrschenden gesellschaftspolitischen Lage – im Projekt wahrscheinlich nur als Sekundärquellen herangezogen werden. Eine wichtige Grundlage dafür haben Rudolf Boch und Rainer Karlsch mit der zweibändigen Projektdokumentation „Uranbergbau im Kalten Krieg“ geliefert.
Wissensbestände zum Wismut-Erbe, bspw. in Form von Akten, Fotos, Kunstwerken, Objekten oder geologischen Proben, verbergen sich auch in privaten Sammlungen, den Beständen der Traditionsvereine, in Tagebüchern und schließlich auch in der physisch-materiellen Umwelt. Sie sind als solche noch nicht vollständig erfasst bzw. zugeordnet. Die erhobenen Bestände werden exemplarisch anhand der international am weitesten verbreiteten Universalklassifikation, der Dewey-Dezimalklassifikation (DDC) erfasst und geordnet, um einen Zugang für die zukünftige Forschung aufzuzeigen.
Zur Umsetzung der Aufarbeitung der Bestände wurde ein Konzept entworfen, welches die Systematik der Datenerhebung darlegt. Auf der Grundlage dieses Datenmodells haben wir mit dem Aufbau eines geeigneten Content Management Systems (CMS) zur Erfassung der Rechercheergebnisse (Bestandsaufnahme) begonnen. Die Datenbank stellt die Vorarbeit für eine virtuelle Forschungsumgebung dar, welche die Ergebnisse der Bestandsaufnahme und die Zeitzeugeninterviews für die wissenschaftliche Arbeit zugänglich macht. Ziel ist eine verlässliche Wissensbasis über forschungsrelevante Themen, über Art, Umfang und Zugänglichkeit von Materialien und über den bisherigen Forschungsstand zum Wismut‐Erbe.
Das Teilprojekt B rückt die bisher wenig beachteten Perspektiven der Menschen, die an der Geschichte der Wismut Anteil haben, ins Zentrum seiner Forschung. Die Vielseitigkeit und Stärke der Zeitzeugenbefragung als Quelle und Methode hat der Wismut-Geschichte dabei viel zu bieten, wurde aber bislang nicht ausreichend genutzt.
Das Zeitzeugenprojekt wird Forschungsdaten mittels 50+ narrativ geführter Zeitzeugeninterviews zum Wismut-Erbe erstellen. Mit der Sicht- und Hörbarmachung der biographischen Narration nähern wir uns über Erinnerungen der Zeitzeugen sowohl an die komplexe Geschichte der Wismut, als auch an die Wismut als prägende Erfahrung an, aber auch an die Geschichte des zweiten deutschen Staates an. Die Interviews nehmen die Anfangs- und Aufbaujahre, die Entwicklung des Bergbaubetriebes, die Auflösung der Wismut 1991 und die Wende- und Sanierungszeit seit Anfang der 1990er Jahre bis heute in den Blick. Weitere Themen sind u.a. das soziale und kulturelle Leben der Wismut, sowie die Auswirkungen des Uranbergbaus auf Natur, Umwelt und Gesundheit. Ebenfalls werden Zeitzeugeninterviews aus anderen multimedialen Publikationen (Literatur, Dokumentarfilmen, Reportagen, Audioveröffentlichungen, etc.) in die Datenbank integriert und so der Forschung sowie der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Zum Projektende werden die erzielten Ergebnisse aus beiden Teilprojekten im Rahmen einer Themenfindungskonferenz auf konkrete interdisziplinäre Fragestellungen, Themen und Methoden hin untersucht. Alle Projektergebnisse, insbesondere jene der Konferenz werden anschließend dokumentiert und um Vorschläge zur Vermittlung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse an eine breite Öffentlichkeit ergänzt.
[1] 1947 als „Zweigstelle der Staatlichen Sowjetischen Aktiengesellschaft der Buntmetallindustrie, Wismut“ gegründet; ab 1954 „Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut“; ab 1991 Wismut GmbH (Unternehmen des Bundes, vertreten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, zur Sanierung der Hinterlassenschaften der „alten Wismut“)
---
Das Projektteam "Wismut-Erbe-Forschung" im September 2020.