2021.01.04 - Titzmann, Oliver.mp4
Lizenz (Kurztitel): CC BY-SA
Astrid Kirchhof: Ich begrüße Sie, Herr Oliver Titzmann! Das ist unser erstes Online-Interview, das wir jetzt aufgrund von der Corona-Pandemie führen. Herr Titzmann, nehme ich an, ist in Schlema, in seinem Wohnhaus? #00:00:27-6#
Oliver Titzmann: Genau, richtig. #00:00:29-0#
Astrid Kirchhof: Ich bin im Büro in der Mohrenstraße in Berlin. Heute ist der 21.12.2020 und mein Name ist Astrid Kirchhof. Guten Tag Herr Titzmann. #00:00:39-5#
Oliver Titzmann: Guten Tag Frau Kirchhof! #00:00:41-1#
Astrid Kirchhof: Guten Tag. Also vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben für dieses Interview. Und meine erste Frage an Sie, Sie können sich so viel Zeit nehmen und erzählen wie Sie möchten, ich unterbreche Sie erst mal nicht. Jetzt erzählen Sie uns doch etwas über Ihre Lebensgeschichte in Bezug auf die Wismut. Wie hat die Wismut Ihr Leben geprägt oder prägt sie noch immer. #00:01:05-2#
Oliver Titzmann: Das Ganze ist bei mir nur indirekt der Fall. Da ich ja kein Bergarbeiter bin oder auch war, bin ich aber in einer Region aufgewachsen, die eine Wismut-Region von Anfang an war. 1966 geboren, sah mein Ort so aus (zeigt ein Bild? Hält etwas in die Kamera?) Das heißt in etwa diesem Fall mit diesem Schachtturm, mit den Häusern, diesen Halden, etwa so ist mein Geburtsort. In diesen Ort wurde ich hinein geboren und dieser Ort wurde von dem Uranbergbau unglaublich stark beherrscht. Überall standen Schächte, überall waren große Haldenschüttungen. Wir sind als Kinder, waren ja viele Kinder gewesen, dort aufgewachsen. Und das war für uns eine Normalität. Kamen dann Verwandte aus Berlin zum Beispiel, die waren immer recht sprachlos, weil die dann gesagt haben: Es sieht ja so schlimm aus bei euch! Und wir konnten nie nach empfinden, warum es schlimm aussieht, denn wer dort aufgewachsen ist in der Region, für den war das die Normalität. Es gab auch andere Gegenden, die waldreicher waren oder ja auch unversehrter, aber das ist nun mal unsere Normalität hier gewesen. Und der Ort ist damals in den 60er Jahren, dort ist die Zeit in der ich hinein geboren wurde von dem Bergbau massiv beherrscht worden. Das kann man sich so vorstellen, dass alles im Ort irgendwie, in irgendeiner Weise mit der Wismut zu tun hatte. Ja zum Beispiel wenn man nach dem Weg gefragt hat. Da würde man heute sagen, fahren Sie mal die Straße runter, dort ist der Netto-Markt, gegenüber das Autohaus, dann fahren Sie links drüben rein und kommen dann hinten in Richtung Bahnhof lang. Das hätte in den 60er Jahren niemand gesagt. Dort hat man im Ort gefragt, wo jemand man lang fahren muss und da haben die Leute, die im Ort gewohnt haben, die im Bergbau gearbeitet haben, dann fahren Sie runter bis zur 38, dann hinten die Zwei66 rauf, rüber bis zur Drei71 und dann hinten, wo es runter geht zur Drei80, dort müssen Sie hin. Das sind die Schachtnummern. Ein Außenstehender hätte sich nie zurecht gefunden, aber wer in dem Ort damals aufgewachsen ist, der wusste wo diese Schächte sind. Und auch wenn man nicht dort gearbeitet hat, konnte man mit diesen Nummern etwas anfangen. Und auf den Straßen war immer was los. Busse sind gefahren, voller Menschen und dass, zum Schichtwechsel waren dort tausende, 10 tausende Menschen gleichzeitig unterwegs. Das war immer sehr beeindruckend. Das heißt, in so einem kleinen Ort mit, vielleicht damals 6000 Einwohnern, da ging es zu wie in einer Großstadt. Denn die Infrastruktur war dem entsprechend ausgebaut, mit sehr vielen Straßen und mit dem entsprechenden Verkehr auch. Und das ist so typisch für diese Wismut-Zeit, in der ich - wie sagt man heute - sozialisiert wurde, in die man hinein geboren wird, in der man aufwächst. Und ja das sind so die beginn / das sind so die ersten Momente in meinem Leben, an die ich mich auch erinnern kann. Und das vielleicht für den Einstieg, als ein plastisches Bild. #00:03:53-4#
Astrid Kirchhof: Möchten Sie jetzt an der Stelle, soll ich jetzt anfangen paar Fragen zu stellen? #00:03:58-5#
Oliver Titzmann: // Sie können ruhig so Impulsfragen stellen, dann weiß ich in welche Richtung so Sie zielen und dann kann ich Ihnen das genauer beantworten. #00:04:05-0#
Astrid Kirchhof: Also in dem besagten Deutschlandfunk-Interview, auf das möchte ich Sie gerne noch mal ansprechen, von 2004, da haben Sie, ich glaube das waren Sie, es waren, wurden nämlich auch andere befragt, gesagt, dass da die Ein- und Zweifamilienhäuser abgerissen wurden. Wohnsiedlungen wurden gebaut, die Ortsmitte wurde / ist abgesenkt durch den Uranbergbau ... #00:04:33-5#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #00:04:33-4#
Astrid Kirchhof: ... und überall waren eben hohe Abraumkippen und da wollte ich wissen, wie haben Sie das erlebt. Haben Sie da gespielt und hat man sich darüber unterhalten, was das eigentlich hier ist und ob das vielleicht gefährlich sein könnte oder … #00:04:50-8#
Oliver Titzmann: / Genau. #00:04:50-8#
Astrid Kirchhof: … war das ein Thema? #00:04:50-8#
Oliver Titzmann: Der Zustand, den Sie grade beschreiben, ist dadurch zustande gekommen, dass ein Teil des Ortes, nämlich der Ortsteil Oberschlema in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einem berühmten Kurort aufgestiegen ist. Mit tausenden Kurgästen pro Jahr, mit Kuranlagen, mit Kurhaus, mit Pensionshäusern, Hotels. Also ein richtig schöner, angenehmer mondäner, gepflegter Kurort. Und der ist unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in den Wirren des Uranbergbaus versunken. Mitten in den Kuranlagen entstanden dann große Schächte, wurden Halden geschüttet. Und statt Kurgäste kamen Bergarbeiter, die untertage das Uran dem Fels entrissen haben. Und innerhalb kürzester Zeit, man kann von einem Raubbau sprechen, von einem wilden Bergbau, der ohne Planung einfach nur los ging. Und man hat dann versucht in alle Richtungen das Uran zu verfolgen, ohne dass man sich vorher hingesetzt hat, wo liegen Lagerstätten. Und so entsteht ein ungeplanter Raubbergbau. Und der führte dazu, dass innerhalb von wenigen Jahren der gesamte Ort Oberschlema destabilisiert wurde. Die Ortsmitte senkte sich um acht Meter ab, damit auch alle Häuser, die Risse bekamen. Die Straßen bekamen Löcher, weil alles nach unten in den Schacht durch stürzte, denn so nah war der Bergbau untertage an die Erdoberfläche gekommen. Die sind praktisch an die Oberfläche gekommen und haben diese teilweise durchstoßen, so nah war der Bergbau im Ort. Und so war der Ort Oberschlema nicht mehr haltbar, musste komplett abgerissen werden, wurde ausgesiedelt. Die Menschen kamen wo anders hin. Und in dem Ort wurden über 360 Häuser abgebrochen einschließlich des gesamten Kurzentrums. Als ich zur Welt gekommen bin in den 60er Jahren war das alles schon 15 Jahre her. Ich kannte die ganzen Geschichten nur von den Erzählungen der Älteren, die gesagt haben, da oben wo ein großes Stacheldrahtgebiet ist, wo ein Stacheldrahtzaun ist, dahinter, dort war früher mal ein schöner Ort. Das ist so wie die Sage von Vineta, die man in Büchern lesen konnte. Von einer versunkenen Stadt und dort müssen nur Reste zu sehen sein. Und wir Kinder haben uns natürlich an keine Vorschriften gehalten, sind durch die Zäune hindurch und sind dann in dieses verbotene Gebiet hinein, das durchzogen war, das sah aus wie pockennarbiges Gelände. Ein Krater nach dem anderen. Einsturzkrater konnte man sehen. Und wenn man über den Boden gelaufen ist, konnte man die Kellergeschosse der Häuser sehen. Geflieste Wände zum Beispiel noch oder Straßen mit Kleinpflaster waren noch gut zu sehen. Gartenzäune standen noch, der Bahndamm war zu sehen. Das heißt, der Ort war abgerissen worden, aber der gesamte Kellergeschossbereich und die Fundamente waren alle noch vorhanden. Und dort haben wir als Kinder auch gespielt, durften uns natürlich nicht erwischen lassen. Und rückblickend war das natürlich kreuzgefährlich, was wir dort gemacht haben. Also meine Kinder würde ich versohlen, wenn die in einem solchen Gebiet gespielt hätten. Meine Eltern wussten es halt einfach nicht. Und die Eltern der anderen Kinder auch nicht. Und so haben wir diesen Ort kennen gelernt. Einen Ort, der nicht mehr da war, den man nur von Postkarten, Bildern von Prospekten und aus den Erzählungen von alten Menschen kannte. Das war so ein Sehnsuchtsort für viele Schlemaer auch, die gesagt haben, früher waren wir mal ein sehr sehr schöner Ort mit Kuranlagen und Kurgästen. Und heute sind wir ein Ort, der grau ist, von Halden zugeschüttet, vom Bergbau erstickt. Und ja, so hat man immer in die Vergangenheit zurück geschaut, wie schöne war es früher und ja wie grau ist denn die Gegenwart. Und ja das ist so, das ist auch ein Teil meiner Kindheit. Das verbotene Gebiet, das versunkene Vineta betreten zu dürfen und dort zu räubern und zu spielen und zu gucken. Und dann aber auch wissen zu wollen, denn wenn man als Kind dort unterwegs ist, stellen sich Fragen. Was war da? Wie sah das aus? Wie sahen denn die Häuser über den Grundmauern aus? Und wie lebten denn die Menschen damals? Und so hab ich mich, wie andere Kinder auch, interessiert, wie denn der Ort mal aussah. Wir wollten Postkarten anschauen und Fotos. Dann haben uns die alten Menschen gezeigt, da stand das und das. In dem Haus hab ich mal gewohnt und das ist das Kurhaus und das ist das Kurhotel. Und hier sind die ganzen Kurgäste immer angekommen. Und heute guckt man oder damals schaute man in eine völlig deformierte, zerstörte Landschaft hinein. Und da brauchte man viel Fantasie, um das sich vorstellen zu könne, was die Alten einem über Postkarten und Fotos gezeigt haben. Aber man hat von Anfang an, wir Kinder, einen Schmerz verspürt nach etwas Verlorenem, was wir aber nie gesehen haben. Das ist schwer zu beschreiben, denn normalerweise kann man nur einen Schmerz empfinden, wenn man Dinge verloren hat, die man genossen hat, die man erlebt hat und die man jetzt vermisst. Wir haben aber uns nach Dingen gesehnt, die wir nie kennen gelernt haben. Die uns nur von Erzählungen bekannt waren. Und haben trotzdem so eine Art Phantomschmerz gespürt. Wir waren von oder ein Teil unseres Ortes ist so schwer zerstört worden, dass wir traurig waren, so etwas nie kennen gelernt zu haben. Die Sehnsucht von vielen Jung-Schlemaern war auch gewesen, wir würden einfach mehr darüber wissen und wie schön wäre es denn, wenn irgendein Zauber entsteht und auf einmal stehen die ganzen Häuser wieder. Und wir könnten das selbst mal sehen. Ich bau da mir schon eine kleine Brücke, wie Sie merken. Denn nach 1990 wird dieser traurige Ort eine komplette Wandlung erfahren und Träume werden wahr. Das kann ich Ihnen ja jetzt schon bestätigen. Der heutige Ort Schlema ist ein wieder auferstandener Ort.
#00:10:13-3#
Astrid Kirchhof: Okay. Also das haben Sie sehr schön gesagt, finde ich, mit dem Phantomschmerz, dass Sie das so ausdrücken. Das heißt, es gibt so was wie ein kollektives Gedächtnis auch #00:10:23-5#
Oliver Titzmann: / Ja #00:10:23-5#
Astrid Kirchhof: / eines (unv.) #00:10:24-4#
Oliver Titzmann: / Genau. #00:10:24-7#
Astrid Kirchhof: / eines Ortes #00:10:26-8#
Oliver Titzmann: / Richtig. #00:10:26-8#
Astrid Kirchhof: ... und es wird tradiert. Das finde ich sehr interessant. War denn Ihre Familie selbst auch von Umsiedlung betroffen, also vor Ihrer Geburt? Und / #00:10:36-7#
Oliver Titzmann: / in einer Weise schon. #00:10:39-0#
Astrid Kirchhof: Ein Moment, und hat jemand in Ihrer Familie im Bergbau gearbeitet? #00:10:41-0#
Oliver Titzmann: Genau. Zwei Teile. Das erste kann ich sofort beantworten: Nicht. Meine Eltern sind nicht im Bergbau tätig gewesen. Aber die Eltern meiner Freunde zum Beispiel, die waren im Bergbau tätig. Also darüber hab ich das kennen gelernt. Und von Umsiedlung sind wir insofern betroffen, müssen aber Vertreibung dazu sagen, da meine Familie sind Schlesier. Und sind 1946/ 47 [1947] aus Schlesien vertrieben worden, haben hier eine neue Heimat gefunden. Meine Eltern, die keine Väter hatten, sondern nur Mütter, die mit vier, fünf Kindern dort raus mussten, die haben hier gewohnt. Und meine Eltern haben hier dann einen Beruf gelernt und sind in diesem Teil Deutschlands dann groß geworden. So bin ich also ein Kind einer Vertriebenenfamilie. Und ich weiß, was Vertreibung ist, denn bei jedem Familientreffen, bei jeder Familienzusammenkunft haben die Alten darüber gesprochen, wie schön das früher in Schlesien war. Natürlich auch mit gewissen Verklärungen. Aber auch dort hat man den Schmerz einer verlorenen Heimat gespürt. Somit kannte ich aus meiner Familie das Gefühl und auch den Schmerz einer verlorenen Heimat. Und konnte deswegen die alten Menschen im Ort gut verstehen, die mir nun wiederum als einem jungen, erzählt haben, wie weh ihnen das tut, dass ihr alter Ort verloren gegangen ist. Ich konnte das gut nach vollziehen, denn ich kannte das aus meiner Familie und wusste, die Menschen haben das jetzt hier erlebt. Sie sind umgesiedelt worden. Sie wurden nicht vertrieben, wie die Schlesier, aber sie sind auch mit Gewalt aus ihrem Ort heraus gerissen worden. Und wenn sie mit großer Sehnsucht von ihrem verloren gegangenen Ort Radiumbad Oberschlema, erzählt haben, konnte ich mir als Kind das sehr gut vorstellen. Und somit war die rationale Ebene des Vorstellens verbunden mit der emotionalen Ebene, dass ich auch ein Mitgefühl mit diesen Menschen hatte. Und so können Sie sich vielleicht schon vorstellen, war ich von Anfang an auch durchaus sehr kritisch der Wismut-Propaganda gegenüber gestellt. Denn die Wismut-Propaganda erzählt, dass das Erz für den Frieden ist und das ist alles schön, was wir tun und das muss so sein. Und wir bauen eine bessere Welt, eine sozialistische Welt, eine neue Welt, die friedlich ist und die sich aber auch beschützen muss. Und dafür ist dieses Erz notwendig. Und diese platte Propaganda, die aber nie erwähnt hat, welche Schattenseiten es dazu gibt, die ist mir als Kind aufgefallen. Und hat diese Fragen, die man als Kind hat, immer nur noch größer werden lassen. Es kommen immer neue Fragen hinzu. Nicht nur Fragen wir, wie sah denn der Ort mal aus? Warum musste das alles so geschehen? Sondern warum belügt man uns eigentlich? Oder warum werden denn Wahrheiten vorenthalten? Warum spricht man nicht über die Dinge, die aber auch zur Uranbergbaugeschichte dazu gehören? Wobei man da immer beachten muss, in den 80er Jahren war das Thema Uranbergbau kein öffentliches Thema. Es war ein Tabuthema. Man wusste, hier wird Uran abgebaut, paar Schachtnummern kannte man und alles andere war tabuisiert. Es gab kein Buch zu DDR-Zeiten, kein Film über den Uranbergbau, sondern es war ein Staat im Staate, der von einem großen Geheimnis umgeben war. Jeder wusste, dort wird Uran abgebaut, aber sämtliche Details, Uranmengen, wie schädlich ist eigentlich die verstrahlte Landschaft, all die Dinge wurden nie irgendwo erwähnt. In keiner Zeitung, in keinem Buch, in keiner Fernsehsendung. Und ja so entstehen natürlich auch die Fragen. Warum ist die Geschichte, die uns in der Art Propaganda erzählt wird, so unvollständig? Warum erzählt man nicht die andere Seite? Und als Kind stellt man sich die Fragen natürlich. Als Erwachsener nicht. Ich kann mir vorstellen, dass man das nicht thematisieren wollte. Aber als Kind hat man gespürt, hier ist irgendeine Geschichte unvollständig erzählt. Ja und das reizt natürlich auch zu Nachforschungen. Was ich natürlich auch mit 13, 14 Jahren schon gemacht habe. Und bin dann zu alten Leuten gegangen und hab die gefragt und hab mir auch Karten geben lassen, hab die abfotografiert, hab viel aufgeschrieben. Schön handschriftlich damals noch. Bin zur Kirche gegangen, hab mir dort was erzählen lassen. Die haben von der alten Kirche, die abgebrochen wurde, mir Dinge gezeigt. Und ja mit 14 Jahren wurde dann die Staatssicherheit schon auf mich aufmerksam und ich wurde als 14jähriger FDJler überwacht von der Staatssicherheit, der es nicht gefallen hat, dass sich hier jemand auf Spurensuche macht. Und in eine Richtung Fragen stellt, die nicht erwünscht ist. Sodass die Staatssicherheit dann auch korrigierend eingreifen konnte, um den sehr forschenden, aber auf dem falschen Weg befindlichen Jungen wieder zurück zu holen. Sodass ich dann delegiert wurde zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Aue. In einer solchen Kommission sollte ich bitte mitarbeiten. Ich wusste damals nicht, wie das alles über mich gekommen ist und warum man mich dort berufen hat und warum ich als 14Jähriger mit 60jährigen Männern zusammen saß. Heute weiß ich es. Wenn man die Stasi-Akte liest, die ich auch habe, hat die Stasi gesagt, den bringen wir mal auf den richtigen Weg. Das ist ein guter Junge, aber der ist halt auf dem falschen Weg. Und ja rückblickend ist sogar die eigene Geschichte dann interessant. Wenn man merkt, man ist ein Teil sogar der regionalen Geschichte geworden, dadurch, dass die Stasi sich um einen 14jährigen Jungen, der nichts Böses will, gekümmert hat. Aber so tabuisiert war eben diese gesamte Geschichte zu DDR-Zeiten. Es durfte bis 1989 über dieses Thema öffentlich nicht gesprochen werden. #00:15:43-1#
Astrid Kirchhof: Aber es gab doch Filme, wie \"Sonnensucher\" oder \"Kolumbus 64\". Wobei die sind ja auch eine ganze Weile verboten worden, aber schon vor 89 [1989] zugelassen worden / #00:15:55-6#
Oliver Titzmann: / Ja. #00:15:55-6#
Astrid Kirchhof: Aber Sie meinen jetzt mehr Dokumentationen und / #00:16:01-7#
Oliver Titzmann: Richtig. #00:16:03-4#
Astrid Kirchhof: / Faktenwissen sozusagen. #00:16:01-3#
Oliver Titzmann: Richtig. \"Sonnensucher\" ist ein klassischer Spielfilm, der allerdings bis Anfang der 70er Jahre verboten wurde. Der ist uraufgeführt worden, glaube ich. Und dann über viele Jahre hinweg durfte er nicht gezeigt werden. Aber auch \"Sonnensucher\" ist ein Propagandafilm. \"Sonnensucher\" zeigt nicht die Realität, zeigt aber die damalige Zeit schon ziemlich real, und zwar so real, dass die DDR das nicht sehen wollte. Zum Beispiel Prostitution oder Saufereien, vulgäres Gehabe, Infrage stellen der Staatsmacht. Denken Sie an solche Dinge wie auch \"Spur der Steine\", als Manfred Krug einen Volkspolizist in den Dorfteich hinein schmeißt. Und solche Szenen, wo die Staatsmacht auch lächerlich dargestellt wird, solche Anklänge gibt es auch in den \"Sonnensuchern\". Aber das ist ein Spielfilm. Was ich meinte, sind Dokumentarfilme, also Filme, die sich mit der Realität auseinander setzen und das nicht versuchen in einem Spielfilm in irgendeine Folie zu bringen, die nur der Unterhaltung dient. Und das gab es in der DDR nicht. Und jeder, der es gewagt hat, sich in irgendeiner Weise dokumentarisch mit der Wismut auseinander zu setzen, der ist hart rangenommen worden. Das beste Beispiel ist Michael Beleites, den Sie bestimmt kennen, der schon recht früh in den 80er Jahren mit der Staatssicherheit Konfrontationen fast schon gesucht hat, in dem er den Uranbergbau und seine Schäden dokumentiert hat. Und er ist für mich immer das klassische Beispiel dafür, wie man als Bürgerrechtler auch seine, sein Leben fast eingesetzt hat, um dieses System Wismut ein bisschen aufzubrechen in seiner Allmacht. Also Michael Beleites ist da schon da auch ein sehr mutiger junger Mann gewesen. #00:17:32-7#
Astrid Kirchhof: Ich wollte noch mal was fragen zu ihrem / zwei Fragen zu ihrer Familie. Sie sagten, Sie sind vertrieben und haben Ihre Eltern / also warum sind Ihre Eltern nicht in den Wismut-Bergbau zum arbeiten gegangen? Sind ja viele Vertriebene dort auch / #00:17:50-8#
Oliver Titzmann: Ja. #00:17:50-8#
Astrid Kirchhof: / hin gekommen. Und diese ganzen Nachfragen, die Sie gestellt haben, haben die Sie dann auch dazu geführt, ich möchte / Entscheidung, ich möchte Historiker werden? #00:18:01-7#
Oliver Titzmann: Meine Omas haben auch nicht drüber gesprochen. Die haben fast nicht, die mussten wir / nur auf Nachfrage haben die was gesagt. Aber die Eltern, meine Eltern und die Tanten, die haben viel drüber gesprochen. Wir waren damals aber Kinder. Meine Eltern sind in den / Anfang der 40er Jahre geboren und somit sind sie nicht im Bergbau der Wismut gelandet, sondern sie haben dann / meine Mutter ist Kindergärtnerin geworden, mein Vater hat in der Gießerei gearbeitet in Schlema. Und vielleicht muss man eins dazu wissen, und zwar über den Bergbau in der Wismut wussten die Leute schon recht klar, dass das kreuzgefährlich ist. Vor allen Dingen, wenn man untertage am Erz ist. Die Gefahren waren bekannt. Auch bereits in den 40er und 50er Jahren. Alle wussten das Uran strahlt und es kann schädlich sein. Aber diese Gefahr wurde weitest gehend ignoriert. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum Einen wurde alles was mit Uran zu tun hatte eher positiv gesehen. Es gab noch nicht diese Erfahrung von Tschernobyl zum Beispiel. Dass uns das entgleiten könnte. Sondern in den 50er Jahren galt Atom und Uran immer noch als das ist die Zukunft, da arbeiten wir eh hin. Da kommen wir hin. Wir später alle mit Atomkraft umher fliegen, wir haben Kernkraftwerke, die werden dann die Energie liefern. So war das immer positiv besetzt. Und so war die Angst vor Langzeitschäden nicht da, weil man auch aus der Umgebung das nicht kannte. Die Bergleute kannten keine anderen kranken Bergleute, weil die erste Generation, die ins Erz gegangen ist, die ist eben noch nicht krank gewesen. Das brau / man braucht einige Jahre, bevor man an den Uranstrahlungen auch erkranken kann. Und zum Zweiten ist die erste Generation, die damals Ende der 40er, 50ger Jahren in den Bergbau gegangen ist, das waren die Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Die Männer, die sind komplett im Krieg gewesen und über viele Jahre hinweg und die haben jeden Tag den Tod gesehen. Die mussten mit dem Tod fertig werden. Die waren an den Fronten, die waren Gefahren gewöhnt und zum ersten Mal konnten sie unter dem, auch Einsatz ihres Lebens etwas für sich tun. Nämlich arbeiten im Uranbergbau und über proportional viel Geld verdienen. Und in der Nachkriegszeit waren die ganzen Sonderzuteilungen, die bekommen hat, die jemand bekommen hat, es geht nicht immer nur um das Geld. Die haben sicherlich, wenn die am Erz waren die Bergleute, sehr viel Geld verdient. Das Zehnfache eines Fabrikarbeiters. Das Zehnfache eines Fabrikarbeiters. Das muss man sich mal vorstellen, was für ein Reiz das auch auslöst, dort gerne arbeiten zu wollen. Sie haben auch viele Vergünstigungen bekommen. Sie haben Kleiderkarten bekommen, bevorzugt Mantelstoffe, bevorzugt Lebensmittel, Stalinpakete nannte man das. Auch gewissen Schnaps und ähnliche Dinge. Sie waren also in / auch ein Motorrad dann durfte man auf eine, auf einen Coupon hin kaufen. Das waren alles Privilegien, die das sehr reizvoll gemacht haben, vor allen Dingen für junge Männer, sodass sie eben Arbeit, die Arbeit im Berg gesucht haben, haben die Gefahr bewusst in Kauf genommen. Die Menschen wussten aber im Ort auch, das hat auch mit Gefahren zu tun. Und das Uran hat auch eine andere Seite. Aber es hat niemand real vor Augen gehabt. Den Anderen, den Sterbenden, den Dahinsiechenden. Die waren nie in der Öffentlichkeit zu sehen. Das kam erst so Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre sind diese Schäden auch in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen. Als Kind kannte ich das noch. Das waren, die Bergleute, die waren gelb, die hatten gelbe Haut. Das sah immer bisschen gruslig aus. Und die haben dann erzählt, ich hab nur 'nen halben Magen, ich hab nur 'ne halbe Lunge und das und das fehlt mir auch, das ist alles kaputt gegangen. Aber ich bin trotzdem ein stolzer Bergmann. Also dieses, dieses Missverhältnis das kann man nicht richtig verstehen. Der Berg hat sie kaputt gemacht, sie waren aber trotzdem stolze Bergleute gewesen. Und diese Menschen gab es in den ersten Jahren nicht. Die Schädigungen sind erst mit der Zeit aufgetreten. Und darüber wurde auch nicht gesprochen. Es gab keine Statistik. Niemand hat gesagt, das ist also auch gefährlich. Das haben die Russen eher gesagt, in dem sie die deutschen Bergleute von den Erzkisten hoch gescheucht haben. Und haben gesagt, ihr könnt euch doch nicht zum Frühstücken da drauf setzen. Also hoch jetzt mit euch. Dann mussten die Bergleute erst mal fragen, warum. Ja das Erz strahlt, das kann dich krank machen. Und meine Eltern sind vielleicht aus dem Grund oder mein Vater und au / vielleicht auch aus dem Grund nicht zur Wismut gegangen, weil sie das Gefahrenbewusstsein vielleicht schon hatten. Also das war dann schon Mitte der 50er, Ende der 50er Jahre. Da waren 10 Jahre Uranbergbau schon durch. Und so haben sie in einem zivilen Beruf gearbeitet. Haben deutlich weniger verdient, hatten deutlich weniger Privilegien. Und das war dann eben so und das wurde auch in der Öffentlichkeit akzeptiert. Die Öffentlichkeit, die normalen Bürger, die haben gesagt, wer eben unter diesen Bedingungen untertage hart arbeitet, der soll Privilegien haben, das ist in Ordnung. Das wurde von der Allgemeinheit akzeptiert. Was man nicht akzeptiert hat war, das jeder Wismut-Beschäftigte, auch der Pförtner, die Reinigungskräfte, dass die auch die Privilegien hatten, das wurde ... Neid kann man nicht sagen, aber da hat man gesagt, das ist nicht in Ordnung. Weil ja, die sind nicht am Erz, die haben die Belastungen nicht, gehören aber zu dem Apparat Wismut und profitieren trotzdem davon. Die Privilegien haben schon sehr sehr gelockt. Aber sie haben nicht alle Menschen gefangen genommen. Vor allem hat die Wismut auch Anfang der 50er Jahre angefangen auszusortieren. Die ersten sechs Jahre wurde alles genommen und alles zwangsverpflichtet. Jeder musste im Berg arbeiten, den man irgendwie kriegen konnte. Auch die größten Rauden, Raudies, Asoziale, Trinker. Und dann hat man die aussortiert. Ab 1950 war es ein Privileg, dort arbeiten zu dürfen. Dort hat man die raus geschmissen, die man jetzt nicht mehr haben wollte. Und dann hat man sich drum beworben. Also in / mit Anfang, Mitte der 50er Jahre haben sich mehr Menschen beworben, dort arbeiten zu dürfen, als überhaupt angenommen werden konnten. Auch das muss man wissen (lacht). Das Ganze war schon sehr reizvoll gewesen. Aber meine Eltern haben eben dann vielleicht auch aus diesen Gründen nie im Bergbau gearbeitet, sodass das für mich in der Familie selbst kein unmittelbares Thema war. Ich hab also nicht einen Vater gehabt, der Bergmann war, sondern einen Vater, der in einem Betrieb in der DDR gearbeitet hat. Hab dann aber dadurch auch kennen gelernt, das Verhältnis zwischen denen nicht im Berg Arbeitenden und denen, die im Berg gearbeitet haben. Den zweiten Teil der Frage habe ich vergessen übrigens. #00:23:57-0#
Astrid Kirchhof: Was Sie bewogen hat Historiker zu werden. #00:24:01-5#
Oliver Titzmann: Das sind die Fragen. Das sind diese Fragen, die niemand beantworten konnte. Die Fragen, die sich in einem aufgestaut haben, die Fragen nach dem Warum. Warum passiert das alles? War das alternativlos gewesen? Hätte man das anders machen können? Wie war das gewesen? Wie hat denn die Zeit vor dem Bergbau funktioniert? Wie ging es den Menschen damals? Wie das denn Kurbetrieb im Schlematal? Wie sah das aus? Dies, das sind die Fragen, die man beantwortet bekommt, wenn man Bücher liest, wenn man Dokumentationen sieht. Da es all das nicht gab, hab ich beschlossen, das mach ich jetzt selbst. So und jetzt will ich mir die Fragen selbst beantworten. Das heißt, man geht ins Archiv, lässt sich Akten kommen, das durfte man schon. Also das hab ich auch zu DDR-Zeiten schon gemacht. Aber da gab es im Hintergrund immer jemanden der aufgepasst hat, dass in die richtige Richtung bearbeitet wurde. Aber ich hab natürlich auch Informationen mir raus gezogen, die ich nicht natürlich irgendwo verarbeiten konnte. Zu DDR-Zeiten habe ich nichts anderes publiziert, als ein kleines Manuskript, das nicht mal publiziert worden oder geschrieben, das ich einfach mal als 'ne kleine Chronik, eher für mich geschrieben habe. Es gab es in zwei oder drei Exemplaren nur. Die erste Publikation ist dann erst nach der Wende, nach 1990 entstanden. Aber dann waren die Archive offen und im Gegensatz zur heutigen Zeit waren Anfang der 90er Jahre viele Dinge möglich, die heute nicht mehr möglich sein könnten. Das war die wilde Zeit, in der ja viele Gesetzeslöcher es einfach gab und die Wismut musste Rede und Antwort stehen und hat alles erst mal auf den Tisch gelegt. Und musste auch alles auf den Tisch legen. Da kam man noch ziemlich leicht auch an Dinge ran, die heute alle gesperrt sind. Also Unterlagen, die ja dann eben heute nicht mehr einzusehen sind. Die man vielleicht nur noch über schwere Bögen oder gute Beziehungen heran kommt. Denn Sie wissen ja, jemand der Archivmaterial verwaltet, entscheidet ja übrigens auch darüber, wer sie zu sehen bekommt. Also nicht alles was in einem Archiv liegt, muss jemand zu sehen bekommen, der sich Historiker nennt. Der Archivar sortiert aus, was man zu sehen bekommt. Darüber lächelt jeder Archivar auch, weil das eine gewisse Macht ist, die sie über die Historiker haben. Der Historiker kann nur das sehen, was man ihm auf den Tisch legt. #00:26:18-0#
Astrid Kirchhof: Also das ist mir schon natürlich klar, dass der Archivar die erste Geschichte schon mal schreibt. Aber dass die Archivare sagen, wer es kriegt und wer nicht? #00:26:32-5#
Oliver Titzmann: Das konnte man ma / ich weiß nicht, ob das heute so üblich ist. Aber ich weiß, dass Archivare, wenn man mit denen mal unter vier Augen spricht, durchaus im Gespräch nach einer Weile mit einem gewissen Lächeln sagen, dass sie durchaus auch die Macht besitzen, wer welche Unterlagen bekommen kann. Ohne das jetzt auf die Wismut zu münzen, die Wismut ist verschlossener heute, als vor 25 Jahren. #00:26:58-1#
Astrid Kirchhof: Ich hab das auch gelesen in dem besagten Deutschlandfunkinterview. Da sagen Sie auch, dass die Wismut-Archive zu sind oder dass, ja warten Sie mal. Dass man keinen Zugang hat zum Wismut-Archiv. Hat man gar keinen Zugang? Ist es das, was Sie jetzt meinen? Oder eben nur sehr ausgewählt? Wie meinen Sie das kon / oder wie haben Sie das gemeint? #00:27:25-0#
Oliver Titzmann: Anfang der 90er Jahre war es relativ leicht alles Mögliche sehen zu können, weil niemand groß noch vor sortiert hat, sondern wenn man etwas einsehen wollte, hat man es relativ schnell bekommen und auf den Tisch gelegt bekommen. Erst mit der Zeit gab es dann neue Bestimmungen, neue Verordnungen, neue Datenschutzgeschichten. Und dann durfte das und das und das und das alles nicht mehr eingesehen werden. Nur noch mit einer ganz besonderen gesonderten Behandlung oder gesonderten Aufgabenstellung oder mit gesonderten Genehmigungen. Diese leichte Zeit der Einsichtnahme, die war nur einige Jahre möglich gewesen. Mitte der 90er Jahre, Anfang, Mitte der 90er Jahre. Danach wurde ziemlich schnell abgeriegelt und weite Teile des Wismut-Archivs waren nur noch eingeschränkt nutzbar gewesen. Das darf man auch verstehen, ich hab auch Verständnis dafür, da zu viele Journalisten auch sehr schnell in die Archive kommen konnten. Und haben dann Dinge publiziert aus dem Zusammenhang gerissen, die nicht gestimmt haben. Aus diesem Grunde hat die Wismut zunehmend sich zurück gezogen. Und die anfängliche auch erzwungene, erzwungen, das war keine freiwillige, Öffnung ist dann schnell wieder einer Mauer gewichen. Hinter der man sich versteckt hat und hat sich darauf berufen, es ist zu viel Unfug erzählt worden über den Uranbergbau. Informationen sind missbraucht worden durch willfährige Journalisten, die die Sensationspresse bedient haben. Also solche Schlagzeilen wie - Schlema, wo der Tod durch die Gassen weht - oder - Schneeberg, Ort des Todes - waren ja dann Zeitungsartikel. Und dort haben sich Journalisten auf Wismut-Unterlagen berufen, aber haben sie nicht sachlich und seriös ausgewertet, sonder reißerisch. Und das hat die Wismut als Vorwand, so unterstell ich es ihr, genommen, um sich wieder etwas zurück ziehen zu können von der anfänglichen Öffnung. Auch heute gelangen Sie nicht so schnell mehr in die Archive hinein, weil Datenschutzbestimmungen ganz schnell aufgefahren werden. Zum Beispiel das Gesundheitsarchiv. Dort kommt niemand mehr groß ran. Das ist praktisch weg geschlossen, weil dort zu viele Informationen über Menschen liegen, die ein Historiker, wenn er nicht einen Spezialauftrag hat, nicht einfach bekommen kann oder einsehen kann. Die Wismut // #00:29:33-7#
Astrid Kirchhof: Meinen Sie jetzt mit dem Gesundheitsarchiv das Arch / ich glaub mit der Sachbearbeiterin hab ich oder gesprochen. Das ist eine Dame gewesen, die auch den Krankenkassen Informationen zuleitet, wenn / also wenn es um Geldzahlungen geht. #00:29:50-3#
Oliver Titzmann: Genau. #00:29:52-3#
Astrid Kirchhof: Meinen Sie dieses Archiv? #00:29:52-3#
Oliver Titzmann: Genau. Das liegt ja gar nicht weit weg. Das ist in einem Bereich, der sich Schacht 371 #00:29:58-8#
Astrid Kirchhof: Ja. #00:29:58-8#
Oliver Titzmann: befi / oder nennt und dort ist ein, der große Teil dieses Archives zentralisiert worden. #00:30:04-0#
Astrid Kirchhof: Das stimmt. Also da durften / wir sind durch geführt worden und durften also von 45 [1945] bis heute Akten sehen. Aber uns wur / also von außen Akten sehen, uns wurde auch gesagt, dass wir hier keinen Zugang haben. #00:30:20-1#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #00:30:23-5# #00:30:23-5#
Astrid Kirchhof: Das stimmt. #00:30:23-4#
Oliver Titzmann: Genau. #00:30:20-1#
Astrid Kirchhof: Aha, okay. Und Sie meinen, das ist ein / weiß ich nicht, ne F / Art Zen / Zensur oder (...) #00:30:30-0#
Oliver Titzmann: Das ist // #00:30:30-0#
Astrid Kirchhof: // naja, erklärt // #00:30:32-6# #00:30:29-9#
Oliver Titzmann: // #00:30:29-9#
Astrid Kirchhof: hm (bejahend)
Oliver Titzmann: Selbstzensur schon. Also 'ne Zensur nicht. Niemand sagt ja: Wismut, das dürft ihr nicht tun, sondern die Wismut zensiert sich selbst und sagt, wir machen mal ein bisschen langsam und verweist immer auf die Erfahrung der 90er Jahre. Auf die Negativ-Berichterstattung über den Uranbergbau, der wirklich auch unsachlich war. Der aber der Tatsache geschuldet war, dass die Wismut natürlich sich die ganze Zeit hinter einer großen Mauer verborgen hat. Und das Geheimnis zu lüften, das war auch im Sinne der Öffentlichkeit. Aber viele Journalisten haben das besonders reißerisch gemacht, dramatisch getan, haben Dinge auch kolportiert, die nicht gestimmt haben, die einfach erzählt wurden. Aber die sich so nie ereignet haben und das hat die Wismut ganz sicher ausgenutzt, um ihre Betriebsakten wieder mehr unter Kontrolle zu bringen. Ich glaube, das ist die richtige Formulierung. Unter Verschluss zu halten, ist übertrieben. Aber ich denke 'ne sehr gerechte Formulierung ist, die Wismut hat recht schnell wieder ihre Akten, ihre Unterlagen unter Kontrolle gehalten. Sie wollte wieder die Kontrolle auch über ihre Geschichte haben. Und das erste Buch über die Wismut überhaupt, das erschien erst Anfang der 90er Jahre. \"Seilfahrt\" heißt dieses Buch. Das ist von der Wismut selbst heraus gegeben worden. Aber wenn ein Betrieb etwas heraus gibt, ist das eine Art Betriebschronik. Dann ist es immer nicht richtig reflektiert. Dann ist es immer unkritisch. Dann ist Kritik vielleicht mal im Hauch zu spüren, aber es findet keine fundamental kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Betriebsgeschichte statt. Die Bücher sind wunderbar und total schön, aber sie sind in weiten Bereichen unkritisch. Was übrigens auch dazu reizt zu sagen, Moment hier werden Dinge im Halbsatz genannt, das hätte ich gerne noch mal genauer gewusst. Also ein Historiker reibt sich an Dingen, die er nicht so dargestellt fühlt. Wo er sagt, hier ist einfach Forschungsbedarf. Hier sind Fragen, die nicht beantwortet werden. Auch nicht durch die Chronik der Wismut, ein gigantisches Ma / Mammut-Werk von tausenden Seiten Papier, die man gar nicht alle ausdrucken kann, die man digital sich am besten nur anschaut. Dort findet sich zum Beispiel über die Frage, wie es den Menschen denn in der Zeit der Aussiedlung und des Abbruches des Ortes Oberschlema zwischen 1952 und 56 [1956], wie es denen ging, wie das von statten gegangen ist, findet sich auf vielleicht zehn tausend Seiten, drei Sätze. Und das reizt zu fragen, Moment da will ich mal ein bisschen mehr wissen. Wo kann ich denn Dinge erfahren und in den Archiven, Stadtarchiven, Kreisarchive hier zum Beispiel oder im Staatsarchiv Chemnitz liegen Unterlagen, die in sekundärer Weise über genau diese Fragestellung Informationen bereit halten. Und das hab ich mir dann genommen. Übrigens das war mein Forschungsgegenstand und genau die Fragen wollte ich stellen und hab versucht diese Fragen auch zu beantworten. Und hab' damit der Wismut-Geschichte durch eigenes Hinzutun ja ein Teil der Wismut-Geschichte mitgeschrieben. Aber keine Geschichte über den Bergbau, über technologische Dinge, sondern über begleitende Fragen in der Region. Genau. #00:33:32-1#
Astrid Kirchhof: Also mich interessiert das jetzt selbst noch mal, das Wismut-Archiv wird ja jetzt grade aus / also überstellt ans Bundesarchiv Berlin. #00:33:42-1#
Oliver Titzmann: Genau. #00:33:43-7#
Astrid Kirchhof: Was bedeutet das dann? Dann kann man (...) hat man umfänglich Zugang dazu oder meinten Sie jetzt, naja das Problem liegt / fängt schon vorher an, weil ja schon kritische Sachen raus genommen worden sind aus den Akten. Verstehen Sie was ich meine? #00:34:00-3#
Oliver Titzmann: Das Bundesarchiv wird sicherlich einen leichteren Zugang zu diesen Archivmaterialien geben als die Wismut es selbst gemacht hat. Denn ein Bergbaubetrieb versucht natürlich seine Geschichte auch in einem Licht darzustellen, das durchaus in erster Linie einmal positiv ist. Man wird sich nicht selbst Asche auf 's Haupt schmeißen und sagen, was wir gemacht haben, das ist eine Katastrophe, sondern wird auch mit ihrer eigenen Geschichtsschreibung ihr eigenes Handeln rechtfertigen. Das Bundesarchiv wird sicherlich die Möglichkeit geben, dass man Wismut-Archivmaterialien genauso nutzen kann, wie andere auch. Das wird sicherlich objektiver sein, als wenn ein Betrieb selbst ein Betriebsarchiv hat und man es nutzen kann, aber man weiß nicht, ob man alles zu sehen bekommt. Wobei die Wismut in einem Punkt ehrlich ist, auch das muss man vielleicht mal gehört haben, die Wismut existiert seit 1945 (unv.) trägt den Namen erst seit 1947. Den Bergbaubetrieb gibt es in Anfängen vorher schon. In Johanngeorgenstadt beginnt 45 [1945] der Uranbergbau, in Oberschlema 46 [1946], erst 47 [1947] bekommt dieses heran wachsende Gebilde diesen Tarnnamen Wismut. Alle Akten zwischen 1945 und 1953, einschließlich des Jahres 53 [1953] liegen in der Sowjetunion. Es gibt keine Originalakte des Uranbergbaus, denn die Sowjets haben das alles mitgenommen. Somit gibt es Originalakten erst ab Januar 54 [1954]. Alle Archivmaterialien, die die Wismut heute besitzt, vor (unv.) 1950 (unv.) die Karte, die hat sich in den letzten Jahren eine Unmenge aus Russland kopieren dürfen, besitzt umfangreiches kopiertes Material und besitzt nur wenige originale Stücke. Also muss man immer wissen, dass originale Uranbergbauarchiv der ersten Jahre, der spannendsten Jahre, das ist gar nicht auf deutschem Boden, sondern das ist in Russland. Und in erster Linie, also in er / die Originalakten sind nicht verfügbar. Es denn, man bekommt einen Zugang und kann in Moskau die Archivmaterialien, eingeschränkt sicherlich, sehen. Das gibt es auch, ja. Das haben Historiker auch gemacht. Doktor Karlsch ist einer der wenigen, die ich Ihnen nennen kann, der auch in Moskau Originalarchivmaterial vor 1950 eingesehen hat. Alle anderen die hier sind und forschen, die fahren nach Chemnitz und schauen sich Kopien an. Aber ein Historiker weiß, eine Kopie kann, muss nicht vollständig sein. Vielleicht ist da auch mal was weg gelassen worden. #00:36:27-0#
Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Ich wollte noch mal persönlich erzählen, zu dem was Sie grade selbst erzählt haben, also als wir als Projekt, #00:36:38-5#
Oliver Titzmann: Ja #00:36:38-5#
Astrid Kirchhof: als wir als Projekt Kontakte herstellen wo / oder also Zeitzeugen finden wollten, ja, #00:36:44-9#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #00:36:44-9#
Astrid Kirchhof: hat die Wismut, die ist ja Teil des Geldgebers, ne. Also nicht voller Geldgeber, aber also sagen wir mal das Bundesministerium für Wirtschaft ist der Geldgeber, aber die Wismut teilt das sozusagen uns zu #00:37:03-4#
Oliver Titzmann: ja. #00:37:03-4#
Astrid Kirchhof: oder der Sächsischen Akademie. #00:37:03-2#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #00:37:03-2#
Astrid Kirchhof: Und dann haben wir halt Zeitzeugen gesucht und dann hat die Wismut gesagt durch ihre Presseabteilung, dass wir keine Kontakte aufnehmen dürfen, also weder über dieses Gesundheitsarchiv, das ginge nicht. Aber auch nicht über die Traditionsvereine, und zwar die Begründung war da Datenschutz, sondern wenn dann müssten die Leute sich an uns wenden. #00:37:27-1#
Oliver Titzmann: ja. #00:37:27-1#
Astrid Kirchhof: Und das Problem an der Sache, ich nenn es jetzt mal Problem, ist, dass es wendet sich eben nur eine bestimmte Klientel an uns. Nämlich die, also so empfinden wir das häufig, die eine Erfolgsgeschichte zu erzählen haben. #00:37:39-8#
Oliver Titzmann: genau. #00:37:39-8#
Astrid Kirchhof: Die Leute, die kritisch sind (...) #00:37:44-7#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #00:37:44-7#
Astrid Kirchhof: die melden sich eigentlich bei uns kaum. Vielleicht jetzt langsam, weil so ein Schneeballeffekt angefangen hat. Und die immer wieder davon berichten, wenn Leute dann dich nett finden als Team oder dir vertrauen und sagen, das sind eigentlich gute Sachen, was die machen, dann kann man mal über andere Bergleute vielleicht Kontakte herstellen. Die sagen, ich kenn da jemanden, der hatte auch ganz schlimm Krebs, der würde das auch erzählen oder so. Das fängt so langsam an. Aber bisher sind das nur #00:38:13-7#
Oliver Titzmann: ja #00:38:13-7#
Astrid Kirchhof: Erfolgsgeschichten in Anführungsstrichen. #00:38:15-3#
Oliver Titzmann: Genau. (...) Das kenn ich auch so. Die kritischen Stimmen waren vor allem Anfang der 90er Jahre laut zu hören. Manche waren überlaut und es war die Tendenz gewesen vor etwa 30 Jahren, den Uranbergbauproduzenten, der Uranproduzent Wismut in Bausch und Bogen zu verdammen. Das sind immer so Abschnitte. Der alte Bergbaubetrieb Wismut hat komplett ein Geheimnis um sich gemacht. Da ist fast nichts nach außen gedrungen. Und so entstanden immer nur so die Geschichten oder die Mythen, die man so sich weiter erzählt hat. Aber niemand wusste was Genaues. Nach 1991, als der Uranbergbauproduzent seine Produktion eingestellt hat, fiel alles über die Wismut her. Dann wurde sie schlecht gemacht und in den Boden gedrückt. Und das ging einige Jahre so und dann hörte man auch nicht mehr die positiven Stimmen. Und Ende der 90er Jahre entstanden überall Traditionsvereine von ehemaligen Bergleuten. Die haben sich zusammen geschlossen, haben Publikationen heraus gegeben und haben ihre Stimme für die Wismut erhoben und haben die alte Zeit glorifiziert. Ich kenn sehr viele Veranstaltungen aus der Region, da wurden kritische Stimmen nieder gebrüllt. Da saß im Auditorium, und im Publikum saß dann ein großer Teil von diesen Traditionsvereinsmitgliedern. Das waren meist alte Wismutkader, alte Parteimitglieder und die haben dann rein gerufen und haben die Veranstaltungen platzen lassen. Da hab ich mit Doktor Karlsch eine solche Veranstaltung im \"Aktivist\" erlebt, der am Ende nieder gebrüllt wurde. Als er eine kritische Wismut-Geschichte vorgelegt hat. Ende der 90er Jahre war das gewesen. Genau. Und die hatten eine ganz schöne Macht. Diese Macht ist aber mittlerweile gebrochen, da die Generation nicht mehr vorhanden ist. Die ist in den letzten Jahren einfach gestorben. Und wir sind jetzt an dem Moment angelangt, wo eine sachliche Betrachtung möglich ist, aber für uns jetzt der Nachteil, dass nach drei Jahrzehnten so eine Überlagerung stattfindet. Das ist so eine Art, ja wieder eine A / neuer Mythos, der entsteht. Vor allem weil vieles in der Region, was mit Tradition zu tun hat, mit diesem positiven Wismut-Traditionsverständnis. Erzgebirge Aue zum Beispiel, Glück auf, die gekreuzten Arme und 1946. Das ist ein Traditionsverständnis, was unkritisch auf dieser Wismut-Geschichte beruht. Aber ja die harte Auseinandersetzung mit den Traditionsvereinen und mit diesen harten Meinungen, die ist heute so nicht mehr da. Weil es auch diese Hardliner der alten Wismutkader so nicht mehr gibt. #00:40:39-7#
Astrid Kirchhof: Als Historiker würd ich Sie gerne fragen, worauf Sie, das hatten Sie schon erwähnt, und zwar, man findet, und wir eben auch, Bergarbeiter, die sehr krank sind #00:40:52-0#
Oliver Titzmann: Ja. #00:40:52-0#
Astrid Kirchhof: und aber, die haben wir interviewt, oder waren und die dann sagen: Ich bin Bergmann, wer ist mehr? Und ja mein Gott, also ja hatte ich halt Krebs. Hab aber auch sehr viel geraucht. #00:41:05-5#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #00:41:05-5#
Astrid Kirchhof: Also das heißt so, als dürfte man einfach nicht sagen, dass es best / dass es möglich ist oder dass, man weiß ja das Uran strahlt. Und der eine Körper reagiert so und der andere so. Also das Maximum was Leute sagen ist im Grunde, Zeitzeugen sagen, ist im Grunde: Ja man weiß es nicht woher es kommt. #00:41:21-4#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) Genau. #00:41:26-2#
Astrid Kirchhof: Also was denken Sie, woher kommt dieser Zwiespalt zwischen: Ich war krank, aber ich bin so stolz und identifizier mich trotzdem damit? #00:41:35-9#
Oliver Titzmann: Der Stand des Bergmanns, der ist nicht gleichzusetzen mit dem Stand des Proletariers zum Beispiel in einer Fabrik. Der Fabrikarbeiter wird anders über seine Fabrik denken und auch über die schädlichen Einflüsse in seiner Fabrik, als ein Bergarbeiter. Die Bergarbeiter sind ein anderes Völkchen. Denn ein Fabrikarbeiter steht übertage an einem Band und arbeitet mit anderen zusammen. Und man geht auch mal oder man kommt neu. Aber untertage, vor allem die Bergleute, die untertage gearbeitet haben, das sind so verschworene Gemeinschaften. Da musste sich einer auf den anderen verlassen. Wenn einer dort sich hat hängen lassen, ist die gesamte Brigade in Schwierigkeiten gekommen. Also hat man immer gemeinsam etwas erzielt, einen Erfolg erzielt oder ein Misserfolg. Man hat zusammen gehalten und dort gab es nur ein Wort, das im zivilen Bereich ausgestorben war, nämlich Kameradschaft. Bergkameradschaft. Und diese Kameradschaft führte dazu, dass man auf Teufel komm raus zusammen gehalten hat. Die Wismuter haben zusammen einem Fußballklub zugejubelt, sie sind zusammen in ein Kulturhaus gegangen. Sie haben zusammen Urlaub in Zinnowitz gemacht. Sie waren immer zusammen. Sie waren immer ein Kollektiv, immer eine Brigade. Das schweißt auch zusammen und hat auch kritische Stimmen ziemlich schnell unterdrückt. Weil es immer um das große Ganze, um die große Aufgabe ging. Und der Bergmannsstand ist ein sehr stolzer Stand. Und es ist dort auch ungewöhnlich, dass man versucht, das eigene Nest dort zu beschmutzen. Der Bergmann, auch wenn er selbst leidet unter dem Berg, wird immer stolz sein, dass er dem Stand des Bergmannes angehört. Weil er ein besonderer Stand ist, ein etwas herausgehobener, ein privilegierter Stand. Anders als ein, ja Brotberuf eines Arbeiters in der Fabrik, ist man etwas Besonderes. Wer als Bergmann - ich bin Bergmann, wer ich mehr? - dass der Stolz auf den Bergmannsstand, der ist auch im Uranbergbau dagewesen. Die haben sich natürlich auch als Bergleute auch begriffen. Und führt zu einer grundsätzlich unkritischen Haltung. Ich kenne übrigens auch, weil Sie grad so schön Meinung sagen, auch andere Meinungen. Ich kenne auch alte Bergleute, die am Ende ihres Lebens die Wismut verflucht haben. Die gesagt haben, der hat mich krank gemacht, die Wismut hat mich krank gemacht. Der Berg hat mich krank gemacht. Ich bin krank geworden und ich verfluche den Berg und die Wismut. Aber die Stimmen sind keine, die in der Öffentlichkeit wahr zu nehmen sind. Das sind Stimmen, die in einem Haus zu hören waren, aber nicht draußen. Draußen sah man auch kranke Bergleute, die stolz auf ihren Stand waren und die auch ausgeblendet haben, dass das was sie gemacht haben, sie krank gemacht hat. Das hat vielleicht auch psychisch damit zu tun, dass sie ihr ganzes Leben sonst in Frage stellen würden. Denn sie haben ihr Leben lang diesen Beruf gehabt, der Beruf hat sie krank gemacht. Wenn sie jetzt aber am Ende ihres Lebens oder in dieser Phase der Krankheit ihr gesamtes Leben in Frage stellen, ist das ein Aufwand, den glaub ich viele gar nicht mehr betreiben wollen. Sie wollen sich auch mit ihrem Leben nicht unkritisch auseinander setzen, sonder sie wollen dann sicherlich auch stolz die letzten Monate als Bergleute noch so leben. Und dieser Stolz verbindet aber immer alle mit einem, mit einer gewissen unkritischen Haltung. Das ist sehr verbreitet. Das kenn ich, und ich weiß, dass die lauten Stimmen, es gibt immer die leisen Stimmen. Die leisen Stimmen sterben leise. Die lauten Stimmen hört man noch mal und die lauten Stimmen sind die stolzen Bergmannsstimmen. Und die werden von der Öffentlichkeit, vor allem Öffentlichkeit außerhalb der Region, am ehesten auch wahr genommen. #00:44:48-8#
Astrid Kirchhof: Das heißt, in der DDR gab es nicht nur den Arbeiterstand und die Bauern, sondern es gab auch einen Bergmannsstand. #00:44:55-8#
Oliver Titzmann: Sicher. Man kann jetzt nicht sagen, der Bergmannsstand ist jetzt irgendwie zwischen Arbeiter, Bauern noch der Bergmann. Der Bergmann ist sicherlich ein Teil des produzierenden Gewerbes, aber war immer etwas Besonderes. Also ein Bergmann hat sich nicht gemein gemacht mit einem Fabrikarbeiter. Fabrikarbeiter das war Masse, das ist das Proletariat. So sind sehr sehr viele. Und der Bergmannsstand hat sich immer als etwas Besonderes, Privilegiertes gesehen. Das war üblich. Das war aber nicht in der Wismut nur üblich, das war in den früheren Jahrhunderten auch üblich, dass die Bergleute sich immer als etwas Herausgehobenes gesehen haben. Bergleute sind nie alt geworden. Die alten Bergleute vor 200 Jahren oder 300 Jahren, die in den Kobaltgruben hier gearbeitet haben oder in den Kupfergruben, die hatten ein Durchschnittsalter von 35 Jahren. Bergarbeiter sind mit 40 gestorben, mit 45. Und das war so eben. Das war es eben. Das war, niemand hat das Lebensalter kritisch hinterfragt. Andere sind in anderen Berufen älter geworden auch damals. Aber die Bergmänner sind früh gestorben. Weil ihre Arbeit eine besondere Belastung darstellte. Und sie waren befreit von Steuerzahlungen zum Beispiel. Vom Kriegsdienst befreit. Ein Bergarbeiter musste nicht in den Krieg ziehen. Ein Bergarbeiter brauchte nur gewisse Steuern zahlen, nicht die Allgemeinsteuern. Ein Bergmann war in vielen Dingen privilegiert von seinem Bergherren, von der Regierung. Und diese, das hat sich in den Bergmannsstand sehr stark festge / niedergeschlagen. Und das kann man am Stolzesten oder am besten immer sehen, wenn die Bergaufzüge sind oder früher. Heute, ich meine bei den Bergaufzügen laufen heute keine Bergleute mehr mit. Heute ist es eine reine Tradition, eine Folkloreveranstaltung geworden, die sehr schön ist. Die zum Erzgebirge zum Beispiel unmittelbar gehört. Und ich sehe' das sehr gerne. Aber heut läuft eben kein Bergmann mehr mit. Aber die alten Bergleute sind früher eben auch dann bei diesen Bergaufzügen mitgelaufen und haben stolz ihren Stand präsentiert und ja, haben das auch der Öffentlichkeit gezeigt. (unv.) Genau. Der stolze Bergmann, der mehr war als der Proletarier zum Beispiel oder der Landarbeiter. #00:47:00-8#
Astrid Kirchhof: Sie würden also sagen zu diesem Teil meiner Fragen abschließend, gibt es verschiedene Sichten auf die Wismut. Und manche sind lauter, manche sind leiser. Aber es gibt eben nicht die Wismut schlecht hin. #00:47:18-1#
Oliver Titzmann: Genau. Zu diesem Satz, den Sie sagen, ist dringend noch etwas anzufügen, was ich vielleicht der Frau Uhlig schon mal gesagt habe oder allen die mit der Sache zu tun haben. Wenn man über die Wismut spricht, muss man dringend versuchen, um einigermaßen gerecht zu sein, gewisse Phasen im Auge zu behalten. Spreche ich zum Beispiel über die Phase des frühen Uranbergbaus von 1945 bis 1950, das ist 'ne Phase für sich. Oder die Phase von 1950 bis 1965. Wieder ein Abschnitt. 1965 bis 1980. 1980 bis 91 [1991]. Ich muss immer sagen, ich rede gerade über diese Phase der Wismut und ich fälle dieses Urteil über diese Phase. Allein ein pauschales Urteil über die Wismut von 1945 - früher Bergbau - bis 1991, alleine das ist nicht möglich. Es gibt kein Pauschalurteil. Jede Generalisierung ist bei einem solchen langen Zeitraum, der in sich so viele verschiedene Prozesse erlebt hat, diese Generalisierung ist falsch. Jede Generalisierung kann man auffliegen lassen im Gespräch und sagen: Was Sie grade sagen, das ist totaler Humbug. Weil - und dann bringe ich an irgendeinem Beispiel ein Gegenteil von dem, was der jetzt gerade gesagt hat. Genauso muss man den Sanierungsbetrieb Wismut rausnehmen. Seit 1991 gibt es den Sanierungsbetrieb Wismut bis, ich denke, noch fünf sechs Jahre, dann wird der sicherlich abgewickelt sein, aufgelöst sein. Aber auch das ist eine eigene Geschichte. Während ich den Uranbergbauproduzenten, den Uranproduzenten Wismut, den alten vor 91 [1991] sehr sehr kritisch sehe und ehrlich gesagt, mehr negative Seiten sehe, als positive Seiten, habe ich zu dem Sanierungsbetrieb Wismut ein nahezu rein positives Verhältnis. Denn was der Sanierungsbetrieb geleistet hat in der Region, das ist unbeschreiblich. Und viele Dinge, grad in Bad Schlema, die Wiedergeburt des Kurbades Schlema, wäre ohne den Sanierungsbetrieb Wismut völlig undenkbar. Somit ist der Sanierungsbetrieb Wismut auch aus meiner Sicht sehr sehr positiv zu bewerten, während der Uranproduzent Wismut schon ja verdammt zwielichtig ist. Und seine Schatten und seine Lichtseiten gleichermaßen hat. Die Schattenseiten vermag ich beim Sanierungsbetrieb Wismut nur in Ansätzen zu sehen. Da ist das strahlende Licht schon sehr deutlich in meiner eigenen Beurteilung. Das mögen andere anders sehen. Aber ich sehe es halt auch so wie ich das erlebt habe und bin nun in der Region ziemlich verwachsen und auch regional politisch seit langer Zeit tätig, so dass ich mir ein gewisses Urteil, vor allem über die neuere Zeit durchaus erlauben kann. #00:49:52-6#
Astrid Kirchhof: Haben Sie Probleme bekommen, weil Sie kritisch sind? #00:49:58-3#
Oliver Titzmann: Ja. Genau. Denn wer kritisch den Uranbergbauproduzenten oder den Uranbergbau, Uranproduzenten Wismut sieht, der muss sich vor allem von alten SED-Kadern, von alten Wismut-Parteikadern dann sagen lassen, dass man grade faschistische, amerikanische Propaganda betreibt. Dass das alles nicht wahr ist, dass es ganz anders ist, dass damals das Erz für den Weltfrieden gebrochen wurde. Dass wir einer leuchtenden Zukunft alle entgegen gegangen sind, dass der Bergarbeiter ein heldenhafter Kämpfer für die Frieden war. Dann spulen die diese Parolen ab, die die damals ins Fleisch aufgenommen bekommen haben. Also die das, die haben das aufgesogen mit ihrer täglichen Arbeit, die Propaganda auch und reden das nach. Das dient übrigens auch zur Rechtfertigung des Lebens. Wer heute 80 Jahre alt ist, hat aber / oder 90 und hat in der Wismut noch gearbeitet, der wird versuchen einen Teil seines Lebens und seines Arbeitslebens auch immer zu verteidigen. Und zu sagen: Das ist doch richtig, was wir gemacht haben. Das war doch in Ordnung so. Ich kann das nicht richtig empfinden, dass man das kritisiert. Und da ist ein gewisser Abstand notwendig. Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich in die Lage begeben darf, zu sagen, das war alles schlecht gewesen und das war alles vergebens. Man muss das versuchen, sehr stark auszutarieren und zu sagen, was ist denn positiv in der Rückschau in der Bewertung. Da wird man viele Elemente finden. Aber was ist negativ? Man wird genauso viele Elemente finden. Und jetzt kommt es immer auf die persönliche Sichtweise und das Eingebundensein an, nämlich wo bin ich denn verortet. Bin ich ein Teil dieser Wismut? Dann werde ich natürlich mehr Positives sehen. Oder bin ich jemand, der gelitten hat unter der Wismut. Dann sehe ich eben Negatives. Und ich versuche aber als Historiker total objektiv zu sein. Und alleine, weil ich familiengeschichtlich nicht eingebunden bin, mein Vater ist kein Bergmann gewesen. Somit bin ich über meine Familientradition auch nicht stolz auf den Bergbau. Weil er nicht Teil meiner Familiengeschichte ist. Und so muss man als Historiker verdammt objektiv sein. Das ist aber auch der Anspruch. Ich vertrete keine Seite, sondern ich stelle eben Fragen und versuche diese Fragen sehr objektiv zu beantworten. Und ich hab auch keine vorgefasste Meinung. Ich geh nicht ran, dass ich sage, okay jetzt geh ich ins Archiv. Jetzt will ich mal alles heraus finden, was die Wismut in einem negativen Licht darstellen lässt und alles andere lass ich weg, das blende ich aus. Das ist natürlich, ja unrealistisch und so soll der Historiker nicht rangehen. Und ich versuche ernsthaft Fragen zu beantworten, bin also von keiner Seite eingenommen, sehe aber auch die anderen Seiten. Und vielleicht noch ein wichtiger Hinweis: Die Bergarbeiter, ihre Arbeitswelt, die Geschichte der Wismut, die hört man auch noch laut in der Erzählung heute. Es gibt immer noch stolze Bergleute, die laut ihre Geschichte erzählen und stolz auf die Bergbautradition sind. Das ist richtig. Das ist auch ein Teil, denen zu sagen: Hey, was Sie jetzt grade sagen ist Unsinn, ist ja Quatsch. Weil aus ihrer Lebenswelt, ihrer Erfahrung sehen sie das nun mal so, wie sie es sehen. Und so muss man es einfach auch stehen lassen. Und sagen, okay das ist ihre Meinung, dass ist ihr Blickwinkel auf die Geschichte und da ist es auch zu respektieren. Aber es gibt auch die leisen Stimmen. Und mir tun manchmal, das darf ich Ihnen natürlich fast nicht sagen, weil es bisschen emotional ist. Mir tun die leisen Stimmen manchmal leid. Die leisen Stimmen, das sind die Menschen, die unter dem Bergbau gelitten haben. Das sind die Menschen, die (...) geschädigte Kinder zur Welt gebracht haben. Frauen haben vor allen Dingen in den 45 [1945] / 50er Jahren im Uranbergbau in der Uranaufbereitung gearbeitet. Sie haben Kinder zur Welt gebracht, die verkrüppelt waren. Sie haben nie eine Stimme gefunden. Niemand hat mit ihnen drüber gesprochen. Das wurde vertuscht und verheimlicht. Sie haben nie eine Lobby gehabt, die irgendwie mal Partei für diese Menschen ergriffen hat. Was mir auch immer sehr leid getan hat, sind die Einwohner, die aus dem Ort vertrieben wurden. Da gibt es auch Einwohner aus Johanngeorgenstadt oder aus Ronneburg oder anderen thüringischen, ostthüringischen kleinen Dörfern, die vertrieben wurden. Oberschlema ist vielleicht das prominenteste Beispiel durch die große Kurortgeschichte. Aber diese Menschen hatten nie 'ne Stimme, die hatten nie 'ne Lobby. Denen hat niemand zugehört. Die haben still geweint, während die anderen laut gesprochen haben. Und die laut gesprochen haben, die hat man immer wahrgenommen in der Öffentlichkeit. Und die leisen Stimmen und die Tränen, die wollte man nicht sehen. Die durften auch nicht gezeigt werden. Und deren hab ich mich auch ein bisschen angenommen. Ich hab ihnen auch eine Stimme gegeben in meinen Büchern. Und hab sie sprechen lassen, hab ihre Geschichte erzählen lassen. Wie haben sie denn das empfunden, sie hatten damals ein Haus mitten in diesem Ort. Und ihre Eltern waren nicht beim Bergbau. Sie hatten ein Geschäft, das ist kaputt gegangen. Sie mussten aus dem Ort raus, ihr Haus wurde abgerissen. Sie mussten dann in den Harz ziehen. Dort hat man ihnen eine Wohnung gegeben. Sie durften ja noch nicht mal hier im Erzgebirge bleiben. Und die erzählen dann auch aus ihrer Geschichte. Und ja, erzählen vom großen Kurbetrieb und von einer Zeit, die durch den Uranbergbau vernichtet wurde. Das ist das, was mich ein bisschen ärgert an der ganzen Geschichte. Wer heute durch die Bergbaulandschaften geht, bekommt nun immer Folgendes zu sehen: Sie stehen dann irgendwo und sehen, ach so sah das in den 60er Jahren aus. Ist ja gruselig, ist ja grausam. Ist ja alles verschüttet mit Halden und diese Schächte überall. Oh Gott, was für eine Mondlandschaft! Und dann kommt das nächste Bild, die nächste Tafel, gucken sie dann so rüber und sehen dann, mein Gott, ist das schön! Alles ist grün und so schön rekultiviert und der Bachfließt jetzt wieder lang. Die Wismut, na die hat ja schon was Großartiges gemacht! Aus dieser grauen öden Landschaft hat sie diese Traumlandschaft geschaffen. Und ich gehör immer zu denen, die sagen, hier fehlt 'ne Tafel. Was? Was für 'ne Tafel denn? Die Tafel vor der grauen Tafel. Denn da müssen sie auch noch eine hinstellen, eine Tafel. Und dort mal zeigen, wie es vor dem Uranbergbau aussah. Zeigen Sie mal diese herrlichen Hotels, diese schönen Kuranlagen! Das ist durch den Uranbergbau vernichtet worden. Dann kommt dieser Zwischenschritt und dann sind wir bei der heutigen Geschichte. Das heißt, wir müssen einen Dreierschritt machen und nicht einen Zweierschritt. Aber in der heutigen Wismut-Geschichte wird gern der Zweierschritt gezeigt: Aus einem Tal des Todes haben wir eine toll rekultivierte, renaturierte Landschaft gemacht. Nee, ihr habt aus dem, aus einer wunderschönen Landschaft mit herrlichen Quellen, mit einem Kurort habt ihr eine Mondlandschaft gemacht. Und habt dann mit dem Nachfolgebetrieb Sanierungsbetrieb Wismut diese herrliche Kunstlandschaft geschaffen, die wieder sehr lebenswert ist. Und den Menschen wieder eine Heimat bietet, in der sie gerne leben. Macht den Dreierschritt, das ist die Wahrheit, nicht den Zweierschritt. Da lasst ihr nämlich etwas weg. Nämlich die gewaltigen Zerstörungen, die Umweltzerstörungen auch, die in den Bergbauregionen, nicht nur hier in Schlema, auch in Johanngeorgenstadt oder in der Ronneburger Gegend eklatant waren und die gilt es immer mit zu zeigen. #00:56:26-7#
Astrid Kirchhof: Da hab ich noch zwei Nachfragen, und zwar das Eine ist, wurde Ihnen Ihre Stimme aberkannt, insofern, dass hier argumentiert wird: Sie waren ja gar nicht dabei? #00:56:39-6#
Oliver Titzmann: Ja. #00:56:41-8#
Astrid Kirchhof: Und das Andere ist, wie haben Sie die umgesiedelten Leute oder die Frauen, die verkrüppelte Kinder gekriegt haben, gefunden. Wie haben Sie die gefunden? Oder kannten Sie die schon von früher? #00:56:55-0#
Oliver Titzmann: Genau. Machen wir erste Frage, und zwar die Entgegnung. Denn die hab ich zu spüren bekommen. Also ein Hauptargument von dem sogenannten Wismut-Adel, von den ehemaligen Wismut-Kadern - das sind nicht die Bergarbeiter, die untertage gearbeitet haben - das sind oft Männer in Führungspositionen, die sich dann in den 90er Jahren im Traditionsverein eher zusammen gefunden haben. Und das Hauptargument, du warst doch gar nicht dabei gewesen. Du hast doch gar keine Ahnung! Der Wismuter duzt, der siezt niemanden. Du hast doch keine Ahnung! Und dem Argument kann man aber schon begegnen, in dem man sagt, Moment, sie haben schon Ahnung, das ist richtig. Sie haben nämlich 30 Jahre lang an diesem Ort, in diesem Schacht und in dem Nachbar-Schacht gearbeitet, Schacht gearbeitet. Was sie erzählen, das ist ihre Geschichte aus Ihrem Blickwinkel in einer ganz regional begrenzten Zone. Das was sie erlebt haben, haben sie wirklich überlebt, erlebt. Aber wie viel blenden sie denn von Ihrer Erzählung aus? Wie viel erzählen denn wirklich? Also man kann denen schon zeigen, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt aus dieser riesigen Geschichte erzählen. Und sie stellen mit ihrer Meinung nur ein Mosaikstein dar. Derjenige aber, der dort nicht involviert ist, der dort nicht gearbeitet hat, der arbeitet sich aber in die gesamte Welt der Wismut ein. Man muss alles versuchen zu beobachten. Alle Sichtweisen, alle Blickwinkel muss man mit einschließen. Und kann sich deswegen ein objektiveres Urteil erlauben. Das ist natürlich immer etwas schwierig, wenn man ein Nachgeborener ist, wenn man selbst in dem Bergbaubetrieb nicht gearbeitet hat. Hat aber die Chance, dass man losgelöst ist, ist objektiver. Man ist nicht involviert in irgendeine Sache. Und auch nicht persönlich vorbelastet. Und wenn es nicht so wäre, könnte keine Geschichte über den Ersten Weltkrieg geschrieben werden, über das Römische Reich, über das Mittelalter, über den Bau eines Französischen Doms. Das war nämlich keiner dabei gewesen von den Historikern, die alle darüber schreiben. Also ist es sehr legitim, dass Historiker auf diese Weise versuchen den Zugang zur Geschichte zu bekommen, müssen aber immer beachten, dass das was sie abliefern am Ende, nur eine Rekonstruktion ist, die nicht vollständig sein kann. Ein Historiker, der sagt: So, und das ist die Wahrheit, bitte schön, lest es und werdet glücklich, ist nicht ernst zu nehmen. Aber ein Historiker, der sagt: Bitte schön, lest mein Buch, ich glaube nach bestem Wissen und Gewissen hab ich mich der Geschichte soweit angenähert, dass ich wirklich sagen kann, das könnte so gewesen sein. Und ich bleib beim Konjunktiv stehen. Nicht es/ ich / es war so gewesen, sondern es könnte wirklich so gewesen sein. Aber ich bin mir sicher, dass in einigen Jahren neue Blickwinkel auftauchen, die mein aktuelles Forschungsergebnis zumindest in Teilen vielleicht in Frage stellen, vielleicht korrigieren. Aber das ist Wissenschaft. Wissenschaft lebt, wird korrigiert, ist ein lebendiger Prozess. Und jeder, der was in der Wissenschaft veröffentlicht muss wissen, dass Wissenschaftler nach ihm sein Bild verändern werden. Es ist nicht in Stein gemeißelt. Somit kann man demjenigen, der kritischen Stimme sagen, das ist halt ihre Meinung. Das ist in Ordnung. Man darf die auch nicht versuchen außer Kraft zu setzen, weil der Mann das wirklich erlebt hat und hat ein Anteil an dieser ganzen Wismut-Geschichte mit seiner eigenen Arbeit. Aber man darf ihm durchaus auch zeigen, wo die Schranken sind. Wo die Grenzen sind seiner Möglichkeit, sich auch äußern zu können. Ich hatte zu dieser Zeit großes Glück, da der Schlemaer Bürgermeister, der legendäre Bürgermeister Konrad Barth, dass ich mit zu seiner Truppe gehörte, also zu den politischen Freien Wählern, und wir haben ein sehr sehr gutes Verhältnis. Und wenn aber Bürgermeister Barth etwas gesagt hat - der übrigens auch Wismut-Kumpel war 20 Jahre lang - wenn der was gesagt hat öffentlich, hat ihm niemand mehr widersprochen. Und somit konnte / hat er mich sicherlich in der Öffentlichkeit das eine oder andere Mal auch in Schutz genommen. Ich kann mich an eine Veranstaltung entsinnen, die gesprengt werden sollte. Da hab ich ein Buch 2003 vorgestellt. \"Uranbergbau contra Radiumbad\" nannte sich das Buch. Und dort hab ich im Publikum eine Unmenge von diesen Wismut-Funktionären gesehen. Und die hatten sich vorbereitet. Und die waren auch bereit gewesen, das Ding jetzt hoch gehen zu lassen, wie sie es immer gemacht haben. Und das hat auch der Bürgermeister Barth gem / gespürt und hat sich gleich am Anfang gemeldet, ist aufgestanden und hat ein Riesenplädoyer für mich gehalten. Danach hab ich gemerkt, wie die Zettel gesunken sind, bei denen, die grade aufstehen wollten. Und da hat er die damit in Schach gehalten. Also hat er mir zum Beispiel in der Situation, ja fast meine Haut gerettet. Also das war schon auch manchmal sehr grenzwertig, welcher Gegenwehr man sich auch stellen musste, wenn man es gewagt hat, den Uranbergbau in kritischem Licht zu zeigen. Das heißt übrigens auch in kritischem Licht. Also ich und andere auch haben das nicht verdammt in Bausch und Bogen, haben aber gesagt, Moment aber und haben nach dem Aber die Schattenseiten aufgeführt. Und das wollten viele nicht hören. Somit musste man sich eben auf diese Weise auch mit vielen alten Granteln auseinander setzen, die / - Granden sagt man, nicht Granteln - Granden auseinander setzen, die / deren Meinung man nicht ändert. Weil einem achtzigjährigen Mann brauch ich nicht erklären, wie die Welt ist. Der hört sowieso nicht zu. Aber man kann ihm sagen: Ich respektiere Ihre Meinung, ich akzeptier das was Sie sagen. Aber ich hab eine andere Sichtweise und ich bleib dabei. Und so kann auch mal ein Gespräch zu Ende gehen. Jetzt hab ich wieder den zweiten Teil Ihrer Fragen vergessen. #01:02:00-5#
Astrid Kirchhof: Der zwei / die zweite Frage war, ob Sie die Personen, einige Personen, die weg gezogen, wegziehen mussten oder kranke Kinder bekommen haben, ob Sie / woher Sie die kennen oder wie Sie an die rankamen. #01:02:13-7#
Oliver Titzmann: Genau. Das ist recht einfach. Wenn man als Fremder jetzt sowas machen möchte und kommt jetzt aus Berlin oder aus Leipzig in die Region, dann ist es ganz schwer solche Namen zu finden. Aber ich bin ja hier in dem Ort aufgewachsen und somit kannte ich einen großen Teil der Einwohner. Und sobald man sich mit einigen gut versteht auch und unterhält, ist das wie das Schneeballsystem. Es werden weitere Türen geöffnet. In so einem Gespräch wird dann gesagt, haben Sie / waren Sie schon mal dort und dort gewesen? Nee, kenn ich noch gar nicht. Na, die wohnen dort und dort, die hatten damals auch 'ne Pension, die können Ihnen viel erzählen. Warten Sie, ich ruf dann gleich mal an und kündige Sie an. Die lassen sonst keenen rein. Und auf diese Weise hat man dann Zugang zu vielen Personen bekommen. Und wenn man, wenn die Leute wussten, wer man auch ist - und da ist es manchmal wichtig, dass man aus der Region kommt und kein Fremder ist - dann erzählen die Dinge auch mal offener und dann werden viele Gespräche auch dadurch emotional, dass dann auch Geschichten erzählt werden, von denen dann gesagt wird, das hab ich übrigens noch niemandem erzählt. Das hab ich Ihnen jetzt zum ersten Mal erzählt. Und das ist dann auch schön dann, so etwas mal zu hören. Und viele dieser Geschichten hab ich dann aufgeschrieben oder aufgezeichnet und hab sie versucht irgendwo mit zu verarbeiten. Wobei man alle Geschichten, die man erzählt bekommt mündlich, versuchen muss zu überprüfen. Abzugleichen über einen Quervergleich oder nach zu schauen, kann das so sein? Vor allem wenn eine besonders ja überwältigende Sache ist oder eine besonders brillante Sache. Da muss man mal gucken, war das so gewesen, und kann auch andere Bewohner fragen, ist Ihnen das auch so bekannt. Haben Sie das damals auch gehört. Wenn man das nie wieder hört, obwohl man ausgehen / davon ausgehen kann, dass die anderen es auch hätten hören müssen, dann bin ich immer sehr vorsichtig mit diesen Geschichten. Wenn aber andere das bestätigen und sagen, natürlich, hab ich auch gehört, dann kann man davon ausgehen, dass die schon sehr wahr ist. Also mit dieser Oral History, mit dieser Zeitzeugengeschichte hab ich die Erfahrung gemacht, muss man sehr vorsichtig umgehen. Und sie sehr gut überprüfen auf ihren Wahrheitsgehalt. Sonst schreibt man manchmal auch Dinge, von denen man dann merkt, wenn es geschrieben ist, oh je oh je das kann gar nicht so stimmen. Also muss man vorsichtig sein (lacht). In meinem ersten Buch ist mir das passiert. Da sind zwei drei Dinge drin, die einfach nicht stimmen. Die ich einfach übernommen hab, weil es so schön klingt. Aber die Erfahrung musste man erst mal sammeln. Und in anderen Büchern dann später sind solche Dinge nicht drin, wenn ich sie nicht überprüfen kann. #01:04:37-1#
Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Guten Morgen Herr Titzmann! #01:04:44-7#
Oliver Titzmann: Guten Morgen Frau Kirchhof! #01:04:45-4#
Astrid Kirchhof: Heute ist der vierte erste zwanzig einundzwanzig. Sie sind wieder unser erstes Interview (lacht) ... #01:04:53-9#
Oliver Titzmann: (lacht) schön! #01:04:53-9#
Astrid Kirchhof: ... im neuen Jahr (lacht). Und ich bedank mich erst mal, dass wir mit Ihnen das Interview fortsetzen können. Und wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben beim letzten Mal, und zwar bei den Zäsuren. Ich frag Sie so ein bisschen nach den politischen Zäsuren, wie 17. Juni 53 [1953], 61 [1961] und 89 [1989]. Aber Sie können das auch gerne privat, wenn das / wenn es für Sie Zäsuren gab in der Zeit, mit beantworten. Mich würde noch mal interessieren, wie das zum Beispiel 17. Juni 53 [1953] für die Wismut war. Andere Zeitzeugen haben uns gesagt - nicht alle gleich - aber die meisten haben gesagt, dass das eigentlich nicht wirklich vorgekommen sei. Wie schätzen Sie das ein und warum hat entweder was stattgefunden oder nichts stattgefunden? #01:05:50-3#
Oliver Titzmann: Okay. Aus eigenen Erfahrungen kann ich nur über eine Zäsur sprechen, und das ist die 89er. Also kann ich also biografisch nur darüber reden. Aber die anderen Dinge sind schon auch bekannt. Also 53 [1953] und 61 [1961] und das was Ihnen andere gesagt haben, kann ich bestimmt auch bestätigen. Von dem natürlich ausgehend, was ich gehört habe oder was ich in Akten und Unterlagen gefunden habe. Das 53er Jahr, der 17. Juni 53 [1953], der war hier ruhig gewesen, da dieses Gebiet, das Uranbergbaugebiet ein Sperrgebiet war. Ein autonomes Gebiet. Und von dort ist halt von außen auch nix eingedrungen, so dass sich hier kaum etwas ereignet hat. Also ich weiß nur, dass darüber gesprochen wurde. Es gab aber keine Versammlungen, es gab keine Protestkundgebungen, geschweige denn ein Aufstand. Denn dieses Gebiet hier, das Uransperrgebiet, das war auch dicht gespickt mit Sowjetischen Kasernen. Und ich glaube noch eher als in Leipzig, Gera oder Berlin wär hier die Sowjetische Armee ausgerückt und hätte sofort in diesem strategisch so wichtigen Uranbergbaugebiet, das immerhin dem Innenministerium in Moskau unterstand. Und demzufolge auch ein gewichtiger Punkt war, auf den man achte / achtete, dass hier alles ruhig blieb. Die hätten schnell für Ruhe hier gesorgt. Also blieb es in diesen so genannten Wismut-Sperrgebieten unglaublich ruhig. Und ein 17. Juni 53 [1953] hat hier praktisch nicht stattgefunden. #01:07:16-2#
Astrid Kirchhof: Okay. Wie war denn das Ihrer Meinung nach beim Mauerbau? Wir hatten im Dezember eine Mutter mit einer Tochter, die kamen ... #01:07:28-0#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #01:07:28-0#
Astrid Kirchhof: ... aus der Region, sind aber später dann weg gezogen. Aber aus Wismut- , sondern aus beruflichen Gründen, die Eltern. Und die haben gesagt, ach ja die Mauer war ja in Berlin ... #01:07:40-0#
Oliver Titzmann: Genau. #01:07:40-0#
Astrid Kirchhof: ... und was / und da hab ich mich aber gewundert und deswegen noch mal an Sie die Frage, ja die Mauer ging ja durch Gesamtdeutschland. Also betraf das ja sozusagen nicht nur die Berliner, sondern im Grunde auch die Westdeutschen. Aber eben vor allem auch #01:07:52-7#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #01:07:52-7#
Astrid Kirchhof: Ost und West mein ich. Also wieso sagen die sowas, das betraf uns ja eigentlich nicht? #01:07:57-4#
Oliver Titzmann: Das ist schon zu verstehen. Denn das, was die Berliner unter der Mauer kennen, das hat es in / an der innerdeutschen Grenze so praktisch nicht gegeben. Das war eine Grenzsicherungsanlage, ein Grenzsicherungssystem. So eine Art Mauer stand nur in Ortschaften, die geteilt wurden, wie Mödlareuth zwischen Franken und dem Vogtland. Dort gab es einen Ort, der genau geteilt wurde wie Berlin. Das war aber ein kleines Dorf mit vielleicht, was weiß ich, 300 Einwohnern. Und dort gab es an dem Grenzbach so ein Mauersperrsystem. Das was die Berliner kennen, fand an der innerdeutschen Grenze nicht statt. Dort gab es Grenzanlagen mit Grenzzäunen. Ich war selbst drei Jahre Angehöriger der Grenztruppen der DDR, kann Ihnen also schon auch sagen (lacht), wie das Ganze ausgesehen hat. Und diese Region war geprägt durch ein Sperrgebiet. Wer hier einreisen wollte, brauchte einen Propusk. Brauchte einen Ausweis, brauchte eine Genehmigung. Jemand aus Berlin konnte 1951 nicht nach Aue einreisen. Der musste einen Grund vorweisen, was er denn hier wollte, sonst wurde er nicht rein gelassen. Alle Zufahrtsstraßen waren abgesperrt mit sowjetischen Posten, mit Sperranlagen. Im gesamten Gelände hier wurde patrouilliert. Da ging es, die sind also Streifen durch den Wald gelaufen. Wer aufgegriffen wurde ist ins Gefängnis geschmissen worden. Im schlimmsten Fall ist man wegen Spionage verurteilt worden. Also haben die Einwohner dieses, dieser Region auch 1961 schon Erfahrungen mit Sperrgebieten und mit Grenzgebieten insofern gehabt, da sie wussten, wir leben ja in einem abgesperrten Gebiet. Und somit war die Absperrung der Zonengrenze, die dann zur Staatsgrenze der DDR wurde, vielleicht Luftlinie 55 Kilometer von hier an der Hofer Grenze etwa, also in Richtung Franken runter, Richtung Bayern runter, das war eine Sache, die hat man registriert. Die gab es aber vorher schon. Vielleicht gibt es ja auch manchmal einen Irrglauben. Und der lautet: Bis dahin war, also bis 1961, die innerdeutsche Grenze offen. Man konnte, wie man wollte von Ost nach West und umgedreht. Und das war nicht der Fall. Bereits in den 50er Jahren wurden die Zonengrenzen streng kontrolliert. Aber eine Flucht war immer möglich gewesen. Man musste die nur bisschen timen und vorbereiten. Man durfte den Grenzposten nicht in die Arme rennen. Dann ist man über Nacht mal irgendwo geblieben. Somit konnten die Menschen mit einer Grenze schon umgehen, die jedes Jahr verschärfter wurde. Und 1961 war lediglich der Abschluss da einer Verschärfung. Die Berliner haben das natürlich anders erlebt, weil auf einmal eine Stadt mitten durch geteilt wurde. Eine Millionenstadt. Man hatte es sich damals nicht vorstellen können, dass man eine pulsierende Metropole, eine Großstadt wie Berlin mit dreieinhalb Millionen Einwohnern in der Mitte teilen kann. Das hat man für logistisch nicht vorstellbar gehalten. Es ging trotzdem. Die Menschen gewöhnten sich daran. Wie sie sich auch vorher schon an die Zonengrenze und an den Kontrollen an den Zonengrenzen gewöhnen mussten. Und so war dann die Sperrung auch der Zonengrenze ab August 1961 für die Menschen nur noch das I-Tüpfelchen auf einem Prozess, der aber schon seit 15 Jahren im Gange war. Und die Menschen hier im Sperrgebiet haben das registriert, soweit ich das mit bekommen habe und haben aber ja keine besondere Reaktion darauf gezeigt. Denn das Leben ging ja so weiter wie es vorher auch schon ging. Es gab ja keine Zäsur, keinen Einschnitt im Leben der Menschen. Die Bergarbeiter sind weiter in den Schächten eingefahren, die Menschen sind täglich hier zur Arbeit gegangen. In den Schulen wurde normaler Unterricht gemacht. Nur was man erzählt hat, in Berlin kannst du jetzt nicht mehr von der Friedrichstraße rüber zum Bahnhof Zoo. Das ist jetzt vorbei. Das konnte man aber Tage vorher schon. Also über solche Geschichten, über solche kolportierten ja Erzählungen haben die Menschen schon was mit bekommen. Aber das hat das Leben der Menschen im Wismut-Sperrgebiet in keiner Weise beeinträchtigt oder beeinflusst. #01:11:10-5#
Astrid Kirchhof: Ja jetzt macht das noch mal viel mehr Sinn für mich. Oder jetzt versteh ich das für (...) ja für mich war das sicherlich auch lange so, dass ich gedacht hab, naja so 'ne Mauer ist ja ein wahnsinniges Ding. Aber so wie Sie es jetzt erklären, #01:11:32-8#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #01:11:32-8#
Astrid Kirchhof: macht es viel mehr Sinn, warum das nicht so ein großer Einschnitt gewesen ist. Ja. Bei 1989 sagten Sie, Sie können so ein bisschen aus eigener Erfahrung kommentieren. Und was würden / also parallel zu Ihrer eigenen Erfahrung, was würden Sie sagen, bedeutete 89 [1989] eine Zäsur für die Wismut-Arbeiter? #01:11:59-8#
Oliver Titzmann: Das war auf jeden Fall eine Zäsur. Die war in der Region im Gegensatz zu den anderen angesprochenen Zäsuren schon sehr deutlich spürbar. In der DDR hat es seit Anfang der 80er Ende der 70er Jahre drei Bürgerrechtsbewegungen gegeben. Die erste war die Friedensbewegung, die war hier nicht so präsent. Die zweite Bewegung waren die Bürgerrechtler, die einfach Grundrechte, verfassungsmäßige Grundrechte, die dort garantiert waren auch in der Verfassung der DDR, umgesetzt haben wollten. Auch die waren hier nicht sehr präsent. Was aber hier sehr präsent war, waren die Umweltaktivisten. Die hat es überall in der DDR gegeben. Auch in Berlin. Und die gab es hier auch. Und Umweltaktivisten haben schon in den 80er Jahren kritisch die Frage gestellt: Wir leben hier in einem Uranbergbaugebiet. Uranbergbau bringt strahlendes Erz zutage. Welche Gefahr hat der Abbau von Uran mitten in einer der dicht besiedelsten Regionen Europas für die Menschen, die hier leben? Darauf gab es keine Antwort. Weil man keine Antwort darauf geben wollte. Also wenn keine Antwort auf so eine Frage, die berechtigt ist, kommt, bilden sich Gerüchte. Und die Gerüchte lauteten, also hier ist wahrscheinlich alles ganz schlimm. Hier gibt es eine Frauenklinik, die ist Luftlinie 300 Meter entfernt von einer Uranaufbereitungsanlage. Und die Halden, die ein Drittel der gesamten Gemeinde Schlema zum Beispiel bedecken, die sind ja auch aus der Erde heraus geholt worden. Da müssen doch Uranpartikel noch dran sein. Wie gefährlich ist denn das? Ist es schon schlimm, wenn ich mich auf eine Halde hinsetze? Bin ich da als Mann schon vielleicht nicht mehr zeugungsfähig? Oder wenn ich über eine Halde gehe, werde ich da schon verstrahlt? Wie groß ist denn eigentlich diese Gefahr? Darauf gab es keine Antwort. Genauso wenig wie, wie kann denn eine Uranlandschaft, eine Uranbergbaulandschaft rekultiviert werden? Denn die Rekultivierungen waren nur im Ansatz da. Die DDR hatte nie das Geld - wir wissen, wie klamm die DDR wirtschaftlich war - um eine solche gigantische Umweltzerstörung zu heilen. Also hat man kleine kosmetische Korrekturen vorgenommen. Mehr auch nicht. Die Halden verblieben an Ort und Stelle. Die Schächte wurden nur verplombt, sind aber weiter hin unsichere Gebiet gewesen. Sperrgebiete gab es immer noch, weil Deformationsgebiete entstanden sind. Da hat sich die Erde gesenkt und ist nach gebrochen. Wie gefährlich ist es hier zu leben? Diese Frage war akut, die wurde von den Menschen auch unterschwellig gestellt. Und einige hatten damals auch den Mut direkt und laut zu fragen. Wie Herr Beleites, den ich letztes Mal schon erwähnt habe. Michael Beleites gehört zu denjenigen, die in der Geraer Gegend den Wismut-Uranbergbau schon auch kritisch registriert haben und in der Ronneburger Gegend Untersuchungen vorgenommen haben. Die Stasi hat sich an deren Fersen geheftet, hat sie versucht auch zu beeinflussen, zu erschrecken, zu ja, zu bedrohen. Aber ja. Der hat sich nicht unterkriegen lassen und hat weiter hin die Schäden durch den Uranbergbau dokumentiert. Und hat versucht Antworten auf die Fragen zu finden. Wie gefährlich ist es hier zu leben? Und als das DDR-System im Herbst 1989 ins Straucheln gekommen ist und auch hier die Autorität des Staates zunehmend zerbröselte, wurden diese Stimmen natürlich laut und mutiger. Und spätestens ab Dezember 89 [1989] als sich überall in der DDR diese so genannten Runden Tische gebildet haben, saßen auch die Umweltaktivisten und Umweltschützer an den Runden Tischen und haben den SED-Genossen und den Wismut-Verantwortlichen die Fragen gestellt. Was ist hier los? Welchen Gefahren sind wir ausgesetzt? Welcher Gefahr sind wir ausgesetzt? Müssen wir hier alle wegziehen? Ist diese Region überhaupt noch zu rekultivieren? Welche Zukunft haben die Menschen denn hier? Gebt uns endlich Antwort auf diese Fragen! Und diese Fragen wurden vehement gestellt. Und so entstanden auch Protestzüge. So gab es in Schneeberg und Aue auch hunderte, später tausende Menschen im Herbst 89 [1989], die auf die Straße gegangen sind, die nicht nur politische Veränderungen wollten, nicht nur Reisefreiheit, persönliche Freiheit und eine ja Demokratisierung der DDR. Sondern sie wollten auch die Antwort auf die Frage, welche Bedrohung erleben wir Menschen in einer Uranbergbauregion? Gebt uns eine Antwort darauf! Und zwar sofort! Und das wurde schon deutlich gemacht. Da gab es auch schon also dann sehr offensive Stimmen. Die Wismut hat sich nun gedreht. War bisher natürlich ein gigantischer Moloch, der eine ganze Region im Griff hatte. Und auf einmal stand dieser Moloch Wismut mit dem Rücken zur Wand. Und war zum ersten Mal in seinem Leben gezwungen, sich zu rechtfertigen. Das kannte der Bergbaubetrieb noch nicht. Wir müssen uns rechtfertigen. Warum, wer sind wir denn? Wir sind der Staat im Staate. Wir müssen uns überhaupt niemandem rechtfertigen. Wir haben Uran für den Frieden produziert. Wir haben euer Leben damit geschützt gegen den aggressiven Imperialismus der BRD und der USA. Und ja seid uns dankbar dafür! Und auf einmal musste der sich rechtfertigen und musste sich kritischen Fragen stellen. Das waren die nicht gewohnt. Und in diese Rolle sind sie gezwungen worden. Und ich denke so 89 [1989]/ 90 [1990] stand die Wismut auch moralisch gesehen mit dem Rücken zur Wand in einer Art Verteidigungshaltung. Was wollt ihr denn eigentlich von uns? Wir haben doch nur das Gute gewollt. Das kannten wir von anderen DDR-Größen aber auch. Diese Fragestellung oder diese hilflose Argumentation, wie wir das in der Volkskammer auch gehört haben: Ich liebe euch doch alle! Wir haben doch nur das Gute gewollt. Auch wenn vielleicht nicht alles so rausgekommen ist. Ja was wollt ihr denn jetzt von uns? Und das war schon beachtlich zu sehen, wie auch so ein Gigant Wismut auf einmal in Frage gestellt wurde. Und wie mutig die Menschen nun werden konnten, weil sie mit Recht eine Antwort auf die drängenden Fragen hier in dieser Region haben wollten. #01:17:55-1#
Astrid Kirchhof: Würden Sie sagen, die Funktionäre in der Wismut haben das geglaubt, was sie gesagt haben? #01:18:00-1#
Oliver Titzmann: Ein großer Teil auf jeden Fall schon. Das Wort \"Überzeugungstäter\" ist nicht richtig, was in dem Zusammenhang gerne gebraucht wird. Aber sehr viele, vor allem führende Genossen in den Leitungsebenen der Wismut waren von ihrer Arbeit und ihrem Auftrag sehr tief überzeugt. Und waren auch vollkommen konsterniert, als auf einmal ihre Arbeit und auch ihre Macht, die sie damit hatten, in Frage gestellt wurde. Als auf einmal gesagt wurde, ihr habt alles kaputt gemacht. Ihr habt hier alles zerstört. Ihr habt die Menschen verstrahlt. Ihr habt eine gesamte Landschaft zerstört. Diese Konfrontation hat schon weh getan, weil damit das Lebenswerk von vielen Menschen, die in leitenden Positionen waren, in Frage gestellt wurde. Und ja dem entsprechend hilflos haben viele auch reagiert. So weiß ich das noch. Aber um die Fragen vielleicht kurz zu beantworten, sehr sehr viele waren natürlich tiefst, zutiefst davon überzeugt, dass sie einer guten Sache dienen. Und dass sie auch unkritisch mit allem umgehen dürfen. Aber niemand darf kritisch mit ihnen umgehen. Das ist so bisschen die Position von oben herab andere betrachten zu wollen. Diesen Ruf hatte die Wismut hier schon gehabt. #01:19:11-6#
Astrid Kirchhof: Wenn Sie sagen, das war ähm Unwissenheit, Obrigkeitsdenken oder Glaube an den Sozialismus. Also woher kommt das, zu glauben (...) wir wollten doch eigentlich nur das Gute. Also war das Obrigkeitsdenken, man befolgt halt was einem gesagt wird. Oder war es der Glaube an den Sozialismus? Oder war es reine Unwissenheit? Was würden Sie sagen? #01:19:37-5#
Oliver Titzmann: Unwissenheit auf keinen Fall. Unwissenheit nicht. Aber man kann Dinge, die durchaus problematisch sind auch bagatellisieren. Ich nehme einfach die Gefahr nicht ernst und rede sie klein. Es kann also nicht sein, dass ein Generaldirektor der Wismut oder ein Bereichsleiter oder der Chef eines ja Schachtes zum Beispiel, ein Schachtleiter, dass die nicht wussten, dass auch gefährliche Inhalte transportiert werden. Dass auch Uranbergbau kreuzgefährlich ist. Dass man auch die Landschaft zerstört. Dass auch Verstrahlungen stattfinden. Das wussten die schon. Also wurde es bagatellisiert. Zum anderen muss man sich vorstellen, dass die Generation, die ich kennengelernt habe, das sind ja durchaus auch führende Leute. Ich hab jetzt paar vor Augen auch, die in der Wismut groß geworden sind. Das ist so die Nachkriegsgeneration. Die sind so meist in den 30ger Jahren, in den 40er Jahren geboren, sind in 50er Jahren zur Schule gegangen, sind in der DDR sozialisiert worden. Sind aufgewachsen in einem Staat, der ihrer Meinung nach das bessere Deutschland darstellte. Und sie konnten, das ist vielleicht der wichtigste Aspekt, Karriere machen. Und wer sich in einem solchen System nach oben gearbeitet hat, hat in gewissen Funktionen gesessen. Hatte Macht, Einfluss und auch einen privilegierten Status, ein ordentliches Einkommen. Kurz gesagt, die haben auch gut gelebt. Und diese Privilegien nun sich zerstören lassen zu müssen, das tut einfach weh. Von heute auf morgen werden also nicht nur Privilegien und das Leben, das angenehme, was man geführt hat, in Frage gestellt. Sondern es werden ja auch moralische Fragen gestellt. Was hast denn du mit deiner Arbeit eigentlich getan? Ihr seid ja - so wurde es Wismut-Angehörigen, auch führenden damals 89 [1989]/ 90 [1990], ins Gesicht gesagt - ihr seid ja Verbrecher! Ihr seid richtige Verbrecher! Wir wissen heute, dass das natürlich eine sehr ungerechte Bezeichnung ist, das ist auf keinen Fall so gewesen. Aber damit kam viel Wut und auch viel Enttäuschung und auch tiefe Verachtung von vielen Menschen, die von der Wismut nicht profitiert haben, zutage. Und ja, um die Frage vielleicht noch mal kurz zu beantworten, viele Menschen haben in der Wismut auch gut leben können und von der Wismut gut leben können. Und waren dadurch auch überzeugt, das Richtige zu tun. Es war nicht unbedingt Unwissenheit, aber es war sicherlich auch eine ja Rechtfertigung einfach dessen, was man so getan hat. Ich glaub man kann manchmal auch gewisse Ängste bemänteln mit ideologischen Phrasen. Was sehr typisch war für die DDR, im Besonderen natürlich auch für die Wismut, die letztlich immer ein Argument hatte, falls irgendwie mal ein Wind aufkam, der etwas kritisch war: Wir sichern mit unserer Arbeit - und jetzt Achtung, was für ein Pathos da drin steckt - den Weltfrieden. Das Wichtigste auf dieser Erde ist die Erhaltung des Friedens. Und den haben wir geleistet, weil der US-Amerikanische Imperialismus möchte die ganze Erde mit Krieg überziehen. Und nur weil wir so stark bewaffnet sind mit unseren Atomwaffen, die die Sowjetunion für uns alle besitzt, konnten wir diesen aggressiven US-Amerikanischen Imperialismus im Zaum halten. Er hätte sofort losgeschlagen, wenn wir ihn nicht dadurch mit der Abschreckung Paroli bieten konnten. Also waren viele überzeugt, sie haben mit ihrer Arbeit den Frieden der Welt erhalten. Und ja, das haben die dann auch so gesagt. Da wurde auch / viele haben dort auch keine, keine Zweifel zugelassen. Und dem entsprechend aggressiv auch geantwortet. Und das ist 1989/ 90 [1990] auf einmal alles in Fluss gekommen, alles in Frage gestellt worden. Einen tieferen Umbruch, der wirtschaftlich, politisch und auch moralisch ist, den kann man sich nicht vorstellen, als der Umbruch 89 [1989]. Das ist natürlich, wie wir wissen, die stärkste Zäsur. 53 [1953] der letzte Versuch mit Gewalt diese Diktatur noch abschütteln zu können, 61 [1961] der Schmerz, dass Deutschland nun endgültig in zwei Staaten nicht nur gespalten ist, sondern definitiv auch nicht mehr schnell zusammen geführt werden kann. Und 89 [1989] der, die Implosion eines Systems, eines Staates, der noch ein Jahr zuvor gesagt hat, die Mauer wird auch noch in hundert Jahren stehen. Wie Erich Honecker glaub ich nach dem Rumänienbesuch oder in dem Zusammenhang mal geäußert hat. Und von heute auf morgen bricht auf einmal ein solches System zusammen. Und dadurch auch ein System, das in der DDR entstanden ist, nämlich das System des Uranbergbaus der Wismut. #01:23:59-8#
Astrid Kirchhof: Ich wollte noch mal kurz auf die Umweltaktivisten zurück, von denen Sie gesprochen haben. #01:24:04-8#
Oliver Titzmann: Ja. #01:24:04-8#
Astrid Kirchhof: Sie haben selber angeführt, dass die für Vieles gekämpft haben. Zum Beispiel auch Demokratie. Manche haben für Friedensbewegung sich eingesetzt. Was würden Sie sagen, in dem Gefüge - also dass wirtschaftliche, demokratische, umweltpolitische Fragen, alle zum, zur Implosion der DDR geführt haben - wie wichtig war da die Umwelt als Argument? Zu den anderen Argumenten. #01:24:34-1#
Oliver Titzmann: Die Gewichtung vorzunehmen ist sehr sehr schwierig, weil man das glaub ich nur auf eine Region beziehen kann. Ich kann mir also zum Beispiel jetzt kein Fernurteil über Mecklenburg erlauben. Ich kann nur sagen, welche Relationen die in diesem Gebiet hatten. Und so würde ich sagen, dass nach meiner Erfahrung die umweltkritische Stimme die lauteste hier war Ende der 80er Jahre. Natürlich gab es auch Bürgerrechtler hier in der Gegend. Natürlich gab es auch Friedensaktivisten. Aber ich denke, die waren eher an den politischen Brennpunkten der DDR. Dass die Region hier um Aue, Schneeberg, Schlema war kein politischer Brennpunkt, sondern das war ein Brennpunkt des Uranbergbaus. Aber irgendwo war es trotzdem Provinz gewesen. Aber die entscheidenden politischen Veränderungen haben sich in der DDR in Berlin, in Dresden, in Leipzig ereignet. Die waren hier einfach nicht so deutlich. Die gab es im Schlepptau auch, aber die waren nicht vorne weggehend. Vorne weggehend waren die Fragen nach der Zukunft einer vom Uranbergbau massiv geprägten, wenn nicht sogar verschandelten Region. Deswegen war der Umweltschutz oder die Frage nach dem, nach den Umweltproblemen, wie sie / wie man denn damit umgeht, die waren offensichtlich. Die waren hier schon sehr stark verankert. Die Sensibilisierung allerdings erfolgte nicht Ende der 80er Jahre. Sie erfolgte Ende der 70er Jahre. Denn das Erzgebirge war bereits Ende der 70er Jahre durch ein Waldsterben gekennzeichnet. Und die gesamte Kammregion rüber in Richtung Tschechoslowakei war damals abgestorben gewesen. Die ganzen Wälder waren braun und es gab praktisch dort kein Leben mehr. Und die junge Generation, zur der ich damals gehört habe, hat das mit Schrecken gesehen. Und wir haben uns die Frage gestellt, wo leben wir denn mal? Also wenn ich mal dann erwachsen bin, ist dann alles tot? Sind die Flüsse tot? Die waren übrigens hier wirklich tot gewesen. Es war also nur Wassermassen, die biologisch tot waren wie die Mulde, die sind nach Sü / nach Norden geflossen. Aber wie sieht denn eigentlich mal unsere Zukunft aus? Wie sieht denn unser Land mal in 20 oder 30 Jahren aus? Welche Erde werden wir denn unseren Kindern mal hinterlassen? Diese Fragen haben vor allen Dingen die jungen Menschen sich gestellt. Wie auch heute im Jahr 2020/ 21 [2021] die junge Generation aggressiv die Frage stellt, ja wie soll es mit unserer Erde mal weiter gehen? Wollen wir die weiter auszutschen oder wollen wir nicht mal einen radikalen Wandel vornehmen? Diese Fragestellungen gab es in etwas schwächerer Form Anfang der 80er Jahre auch. Also war die, waren die Menschen, vor allem die junge Generation umweltpolitisch sensibilisiert. Und so fiel die Frage nach den Schäden des Uranbergbaus, die ja zu den anderen Problemen - Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Waldsterben, massive Bergbauschäden - das ist ja noch mit dazu gekommen. Wir sind ja nicht nur 'ne Bergbauregion, wir sind ja eine Bergbauregion, die ein strahlendes Erz hervor gebracht hat. Abgesehen von Kohleregionen. Dort wird Kohle gefördert. Jeder weiß, wenn die Kohle draußen ist, ja da / die kann ich in die Hand nehmen, die kann ich mir unters Kopfkissen legen. Mir wird nie was passieren. Das kann man mit Uran nicht / nun nicht machen. Also haben wir hier ein besonderes Problem, das auf die anderen Umweltprobleme noch als Krone oben drauf gesetzt wird. Also wir sind eine besonders betroffene Region. So haben das die Menschen auch empfunden. So gab es die Vorsensibilisierung. Und so gab es auch schnell und offensiv die Fragestellung 89 [1989]/ 90 [1990], wie soll es denn überhaupt hier mal mit uns noch weitergehen? Sind wir denn im Tal des Todes oder sind wir doch noch in einer Region, in der man einfach leben kann, ohne dass man mit 40 Jahren an Krebs sterben muss? #01:27:58-9#
Astrid Kirchhof: Diese Fragen, von denen Sie sprechen, also Waldsterben zum Beispiel ... #01:28:03-6#
Oliver Titzmann: Ja. #01:28:03-6#
Astrid Kirchhof: ... oder andere Umweltprobleme gab' s ja. Also dass da Leute auf die Barrikaden gegangen sind, gab es im Grunde weltweit. Also auch in der ganzen westlichen ... #01:28:18-0#
Oliver Titzmann: Ja. #01:28:17-8#
Astrid Kirchhof: ... Welt zu der Zeit. Aber eben auch in vielen Ostblockländern. Würden Sie sagen, dass es da Transfers gab? Dass man / also ich mein jetzt nicht nur in eine Richtung. Nicht nur in Richtung vom Osten in den Westen. Sondern würden Sie sagen, man hat da gegenseitig geguckt oder sich / gab es sowas wie Austausch oder hat das wahr genommen. Und gab es so 'ne Art Vernetzung einer weltweiten Umweltbewegung? #01:28:40-2#
Oliver Titzmann: Das kann ich natürlich nur vermuten, weil ich nicht Teil dieser Umweltbewegung war. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Beeinflussung natürlich auf jeden Fall da war. Es gibt gewisse Synergieeffekte. Wenn im Westen tausende Menschen auf die Straßen gehen, dann wird man wenige Kilometer entfernt oder vielleicht hundert Kilometer entfernt von dieser Grenze auch über die Probleme oder die Umweltprobleme in der Region nachdenken. Also diese, dieses gegenseitige Anschieben hat es schon gegeben. Von einer Vernetzung würde ich nicht sprechen wollen. Weil man in der Situation immer beachten muss, in der Bundesrepublik Deutschland, in einer freiheitlichen Demokratie darf ich auf die Straße gehen und hab das Recht meine Meinung zu äußern. Hab das Recht auch mich zu versammeln. Hab das Recht auch zu demonstrieren. Ich muss die Demonstration nur anmelden. Ich muss sie nicht mal genehmigen lassen. Das sind Grundlagen einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft. Also konnten Menschen in der Bundesrepublik sich auf diese Weise artikulieren. Und es gehörte einfach nicht viel dazu übrigens, sich einen Parka anzuziehen, ein Plakat zu basteln und auf die Straße zu gehen und zu sagen: Hört auf unsere Umwelt kaputt zu machen und rettet unseren Wald! Das ja, kann man locker machen. Stellen Sie sich das mal in der DDR vor. In einem totalitären System, in dem jede Kritik als staatsfeindliche Äußerung wahrgenommen wurde und in der es eine Riesengefahr war, überhaupt nur ein Buch zu lesen über Umweltprobleme. Oder das Buch zu besitzen. Oder von diesem Buch zu erzählen. Oder sich mit einem anderen über die Sorgen auszutauschen. Denn ich konnte nicht wissen, ob der andere nicht jemand ist, der meine Informationen an die Staatssicherheit weiterleitet. Dieses Misstrauen war in der DDR überlebenswichtig. Deswegen sind auch heute noch die Ostdeutschen misstrauischer - auch im Jahr 2021 - bundespolitischen Themen gegenüber, als es ein Hesse oder ein Bayer ist. Wir sind einfach misstrauischer. Wir misstrauen recht schnell staatlicher Autorität, weil wir noch vorgeprägt sind aus dieser Zeit. Das verliert sich in der jungen Generation. Aber meine Generation, die in der DDR noch jugendlich war, die ist davon heute noch geprägt. Und dieses Misstrauen auch anderen gegenüber - darf ich überhaupt die Äußerung machen? Zinkt der mich nicht an? Werd ich jetzt nicht in Schwierigkeiten kommen? - führt dazu, dass sowas alles immer im Verborgenen geschehen musste. Niemand in der DDR konnte sich ein Schild basteln, Parka anziehen und auf die Straße gehen. In 10 Minuten war man weg. Da wurde man abgeholt und ist wegen, ja es gab keinen Rechtsstaat. Es gab keinen Verteidiger, die ich mir nehmen konnte. Sondern ich wurde angeklagt wegen staatsfeindlicher Hetze. Und ich konnte sagen, ich hab doch aber nur auf umweltpolitische Schäden hin / oder Umweltschäden hinweisen wollen. Dann engagieren Sie sich dort und dort in den staatlichen Organen, im Kulturbund der DDR, da gibt es eine Gruppe, die nennt sich sowieso, da können Sie sein - die waren natürlich staatlich überwacht - dort können Sie sich artikulieren. Ansonsten müssen wir Ihnen unterstellen, dass Sie ein westlicher Divergent sind oder dass Sie versuchen, die Autorität des Staates in Frage zu stellen. Kurz gesagt, man muss immer gewaltig unterscheiden, geht jemand in einer freiheitlichen Demokratie auf die Straße und demonstriert oder in einer, in einem totalitären Staat, hat diese Gedanken, kann gar nicht auf die Straße gehen, sonst wär es der letzte Gang auf der Straße, den er erst mal unternimmt. Und so würde ich sagen, es gab Synergieeffekte. Vernetzungen glaube ich sind so nicht möglich gewesen. Und das gehörte - vielleicht der wichtigste letzte Satz - verdammt viel Mut dazu in der DDR zu sagen: Wir haben hier alle ein Riesenproblem. Lasst uns gemeinsam etwas dafür tun, dass wir auch morgen noch in einem lebenswerten Land leben können. Das war hart an der Grenze zur, zum Staatsverrat. Weil man hat damit die Autorität des Staates in Frage gestellt. Was in einem totalitären System überhaupt nicht geht, die Frage zu stellen. #01:32:19-0#
Astrid Kirchhof: Sie haben grade gesagt, dass demonstrieren eigentlich nicht möglich oder ... #01:32:24-6#
Oliver Titzmann: Nee. #01:32:24-6#
Astrid Kirchhof: ... nur ganz schweren / oder Risiko und ähm ja Einschüchterungen möglich war. Würden Sie sagen, dass die Wismut- ähm Mitarbeiter haben die demonstriert 89 [1989]? #01:32:40-2#
Oliver Titzmann: Der Haupt / der Großteil der Wismut-Angestellten war 89 [1989] in diese defensive Rolle gebracht worden. Das heißt, die sind weniger auf die Straße gegangen, sondern denen hat man gesagt: Du arbeitest doch bei der Wismut, was ist denn nun bei euch los? Sag doch auch mal was! Warum sagt denn ihr nichts? Also die Wismut als System und damit auch ein großer Teil der Beschäftigten sind auf einmal in eine Rolle gedrängt worden, die sie in die Staatsnähe gebracht hat. Und ich denke, es waren sehr wenige Wismut-Angehörige 89 [1989] dabei auf der Straße, die gegen die DDR, gegen das System, damit vielleicht aber auch gegen die Wismut demonstriert haben. Also sie waren, man kann natürlich nicht sagen, das war hundert Prozent, war da niemand dabei. Aber man kann gewisse Größenverhältnisse, die sehr unscharf sind, die auch nur gefühlt sind - ich kann Ihnen keinen Beleg dafür bringen - aber gefühlt waren es nur wenige Angehörige der Wismut, die 89 [1989] das Ende der DDR gefordert haben. Dazu waren sie zu privilegiert, auch anderen gegenüber. Und jeder konnte sich an 10 Fingern abzahlen / abzählen, wenn diese Privilegien, wenn ich dieses System außer Kraft setze, dann werde ich auch meine Privilegien zumindest gefährden. Wer macht denn das freiwillig schon? Also waren das immerhin noch die Systemtreuesten auch hier in der Region. #01:34:00-4#
Astrid Kirchhof: Das heißt also, ich kann mich erinnern, ich hatte Ihnen mal, letztes Mal dieses, das hier gezeigt, dieses Buch ... #01:34:09-6#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #01:34:09-6#
Astrid Kirchhof: ... und hab Ihnen auch gesagt, also Arbeit, ostdeutsche Arbeitswelt im Wandel, hab Ihnen auch erzählt, dass ein, ein Zeitzeuge erzählt hat, dass sie demonstriert haben. Aber ich glaube, Sie haben recht, man muss sehr genau unterscheiden wofür oder wogegen sie ... #01:34:25-3#
Oliver Titzmann: Ja. #01:34:25-3#
Astrid Kirchhof: ... demonstriert haben. Die haben nämlich meiner Meinung nach demonstriert, dass ihr Arbeitsplatz weg gefallen ist. Das ist ... #01:34:33-5#
Oliver Titzmann: Genau. #01:34:33-5#
Astrid Kirchhof: ... ja auch nochmal ganz was ... #01:34:34-6#
Oliver Titzmann: Das muss man ... #01:34:35-1#
Astrid Kirchhof: ... was anderes. #01:34:35-4#
Oliver Titzmann: ... total auseinander halten, weil das nicht zusammen gehört. Das waren aber sicherlich Dinge, die sind erst Anfang der 90er, also ich denke so ab Januar 1990 ... #01:34:44-0#
Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:34:44-0#
Oliver Titzmann: ... da ging es ja darum, wir haben gespürt ab Januar 90 [1990] - war es Februar 1990? - implodierte hier die DDR-Wirtschaft. Und ein Betrieb nach dem anderen hat zu gemacht. Und auch die Wismut war als Staatsbetrieb in Frage gestellt worden. Und so sind natürlich 1990/ 91 [1991], das weiß ich auch noch, Wismutkumpel auf die Straße gegangen und haben für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes demonstriert. Das ist richtig. Schwer war übrigens damals, denen zu vermitteln, dass der Uranbergbau eh passé war, dass die Sowjetunion sich zurück ziehen wird. Dass, dass der Preis des Urans auf dem Weltmarkt durch die Abrüstung ab Mitte der 80er Jahre massiv in den Keller gefallen ist. Das System Uranbergbau war Ende der 80er Jahre nicht mehr lukrativ, zunehmend moralisch fragwürdig gewesen. Und politisch sinnlos. Denn wenn abgerüstet wird, muss kein strategisches Uran oder Uran für strategisch-militärische Zwecke gefördert werden. Und auch die Atomkraft als Alternative zur Braunkohle zum Beispiel in der DDR, war seit Tschernobyl 1986 in Frage gestellt. Also 85 [1985] beginnt Gorbatschow mit der Abrüstung. 86 [1986] explodiert ein Kernkraftwerk und bringt eine unglaubliche Umweltzerstörung mit sich. Und in dem Moment, ab Mitte der 80er Jahre, Ende der 80er Jahre ist die Öffentlichkeit auch mit allem gegenüber was mit Uran und Atom zu tun hat nahezu, also kritisch mindestens, fast schon auch feindseelig auch eingestellt. Wir wollen weg von diesem Zeug. Und somit war auch der Uranbergbau nur noch eine temporäre Erscheinung hier gewesen. Auch wenn es die DDR weiter gegeben hätte, wäre Anfang der 90er Jahre der Uranbergbau eingestellt worden. Aber die Wismutbergarbeiter hätten bei einer weiter existierenden DDR ein Auskommen in anderen Berufen gefunden. Das war üblich gewesen. Das gab es schon seit Anfang der 60er Jahre, dass wenn die Schächte geschlossen werden, wenn die Kumpel dort keine Arbeit mehr hatten, wenn sie nicht woanders hingekommen sind, dann hat man sie umgeschult. Und sie / aus Kumpeln, aus Bergarbeiter sind dann eben Zerspaner oder Industriearbeiter zum Beispiel im Allgemeinen geworden. Dafür hat die Wismut schon gesorgt. Arbeitslos ist auch in der DDR, nach dem Ende des Uranbergbaus, der ja nicht schlagartig 89 [1989] erfolgte. Sondern seit Mitte der 60er Jahre beginnt der Uranbergbau sich schon langsam zurück zu ziehen. Aus meinem Ort in Schlema kann ich Ihnen das ja sogar sehr deutlich am Schließen der Schächte sagen. Und dort musste man schon Alternativen finden. Und so sind die Wismutbergarbeiter umgeschult, umgelernt, in andere Berufe gebracht worden. Und diese Versicherung, die gab es 1990 nicht mehr. Und so haben die Bergleute sich gefragt, ja wenn 's die Versicherung nicht mehr gibt, wenn 's den Staat schon gar nicht mehr gibt, der - den gab 's schon noch, aber nicht mehr das System DDR - wenn das schon nicht mehr da ist, wie wird denn meine berufliche Zukunft aussehen? Ich bin 32 oder ich bin 45 Jahre, ich hab geglaubt, ich kann bis zur Rente in der Wismut arbeiten. Dann sind die auf die Straße gegangen und haben mit anderen Beschäftigten zusammen, deren Betriebe auch geschlossen wurden, für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes demonstriert. Das ist richtig. Das gab 's auch hier. #01:37:55-8#
Astrid Kirchhof: Ich hatte / also auf der einen Seite sind sehr viele Mitarbeiter gekündigt worden. Und wie wir ja alle wissen, die Bundesrepublik kümmert sich jetzt, wie die DDR darum, dass jeder einen Arbeitsplatz findet. #01:38:13-3#
Oliver Titzmann: Ja. #01:38:13-3#
Astrid Kirchhof: Gleichzeitig von den Zeitzeugen, die ich bisher befragt hab, hab ich den Eindruck, die die ich befragt habe oder wir befragt haben, die sind alle irgendwie in Lohn und Brot gekommen und recht weich - so hatte ich schon mal gesagt - gefallen danach. #01:38:29-8#
Oliver Titzmann: Richtig. #01:38:29-8#
Astrid Kirchhof: Wie kommt, wie geht das zusammen? Wenn so viele gekündigt wurden? #01:38:34-1#
Oliver Titzmann: (lacht) Die (...) nach dem Zusammenbruch der Sowjetischen Aktiengesellschaft SDAG, Sowjetischen Deutschen Aktiengesellschaft Wismut 1991, die ist nicht aufgelöst worden, sondern überführt worden in den Sanierungsbetrieb Wismut GmbH. Und dieser Sanierungsbetrieb hat 1991 den gesamten Bestand an Personal mit übernommen. Und da war ein Staatsauftrag der Bundesrepublik Deutschland mit in der Tasche. Der lautete nicht nur Sanierung eines Uranbergbaugebietes, sondern auch die soziale Absicherung von zigtausend Arbeitsplätzen. Und das geht, der Auftrag war mit in der Tasche gewesen. Das geht einfach dadurch, dass man fast niemand mehr einstellt, sondern nur mit dem vorhandenen Personal arbeitet und sukzessive das Personal in Rente schickt. Und auf diese Weise wurden die Arbeitsplätze abgebaut. Denn die Aufgaben des Sanierungsbetriebes sind natürlich ja, kann man vielleicht auch durchaus mal deutlicher sagen, als es sonst gesagt wird. Ich kenn 's aus eigenen Erfahrungen, weiß auch wie viele Projekte hier gehandhabt wurden. Viele Projekte sind natürlich auch gestreckt worden. Dinge, die man auch mal abschließen könnte, kann man aber auch, wenn man Gründe findet, verlängern. Mit dieser Verlängerung wurden aber weiterhin tausende Menschen in Lohn und Brot gehalten und sind dann über den Rentengang aus der Wismut verabschiedet worden. Und so ist die Wismut immer weiter geschrumpft und hat nur noch an ganz wenigen Bereichen Lehrlinge ausgebildet oder neue Menschen eingestellt. Und ja ist mit diesem schrumpfenden Auftrag auch gewiss, dass in wenigen Jahren die Existenz der GmbH beendet sein wird. Und ja damit diente die Wismut über jetzt schon dreißig Jahre hinweg auch dazu, sozial eine Region abzufedern. Das ist aber ein staatlicher Auftrag, der bitte nicht nur hier in der Region gemacht wurde, sondern generell in Deutschland gilt. Denken Sie an die Steinkohle-, Braunkohle-, Bergbaugebiete. Das Ruhrgebiet ist seit, was weiß ich, Jahrzehnten strafsubventioniert. Würde man nach der reinen Wirtschaftlichkeit sich das anschauen, hätte schon in den 60er Jahren der größte Teil des Uran / des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet geschlossen werden müssen. Aber jeder weiß, wenn wir das zumachen, sind auf einmal hunderte, tausende Menschen arbeitslos. Das ist sozialer Sprengstoff. Also wird der Bergbau subventioniert und somit ist die Abwicklung des Uranbergbaus ab 1991 über die Sanierung der ganzen Landschaft, das war auch eine Art Subvention, finde ich. Das ist also auch ein sehr weiches Fallen. Und ich kenne auch niemanden, der von heute auf morgen entlassen wurde. Es galt die Regel: Wir finden für jeden etwas. Und ja mit genug Geld aus der EU, aus der Bundesrepublik Deutschland, aus der Staatskasse - und das Land Sachsen hat auch viel Geld hinein gesteckt - wurden eben nicht nur Landschaft rekultiviert, sondern es wurden eben auch zigtausende soziale Härten vermieden. Da können viele dankbar sein. #01:41:40-1#
Astrid Kirchhof: Zwei Fragen hab ich dazu. Diese Abfederung, ist das der Verdienst der Wismut oder der Bundesrepublik oder beider? Und würden Sie sagen, die Sanierung - wenn man nicht so lang gestreckt hätte - hätte die Sanierung früher abgeschlossen werden können. Als … #01:41:59-9#
Oliver Titzmann: Die zweite Frage ist 'ne böse Frage. #01:42:04-2#
Astrid Kirchhof: (lacht) #01:42:02-6#
Oliver Titzmann: (lacht) Kann ich nur bisschen allgemein beantworten, weil vielleicht auch 'ne richtige fachliche Antwort mir nicht zusteht. Ich kann also auch nur vermuten. Beim ersten ist es schon so, wer das Geld gibt, der gibt ja auch den Auftrag zu etwas. Und der Auftrag lautete, nicht nur die Rekultivierung von Landschaften vorzunehmen, sondern auch in einem Gebiet, das 1995 25 Prozent Arbeitslosigkeit hatte, weitere Härten zu vermeiden. Was wär denn mit 30 Prozent, mit 32 Prozent geworden? Der soziale Sprengstoff war eh da. Das dadurch ein bisschen abzufedern war auch Politik des Staates, auch Politik des Landes gewesen. Und somit denk ich schon, dass das auch beabsichtigt war - das ist nicht nur ein Folgeeffekt gewesen: Wir geben das Geld für die Wismut GmbH und sanieren die Landschaften - sondern ich denke, das ist auch ein ganz bewusstes Kalkül gewesen, damit soziale Härten zumindest etwas abzumildern. Also ich empfinde das nicht als Nebenprodukt, sondern als ein Auftrag, der mit der Wismut-Existenz Anfang der 90er Jahre Sanierungsbetrieb Wismut verbunden war. Und bei dem Zweiten ist es natürlich schon so, dass gewisse Arbeiten mit einem gewissen Zeitkontingent auch beendet werden können. Aber dann wäre eben eine Sache wieder beendet und damit entstehen aber Fragen, wie ja ist denn das auch wirklich fachlich so abgeschlossen, dass wir zufrieden sein können. Oder gibt es denn für die Belegschaft, die hier gearbeitet hat, überhaupt noch ein Folgeprojekt. Und so ist es sicherlich in vielen Fällen auch möglich gewesen durch Probleme, die auftraten Projekte auch über einen längeren Zeitraum auch zu bedienen, um das mal vorsichtig zu sagen. Das ist überhaupt nicht kritisch, das ist auch keine Verschwendung von Geld, sondern es kann niemand das Gegenteil beweisen. Wenn jemand sagt, \"Moment da geht viel Geld drauf. Ist denn überhaupt eure Arbeit notwendig?\" werden diejenigen, die dort arbeiten mit Sicherheit gewichtige Gründe finden, um sagen zu können, schaut bitte her, aus diesen Gründen ist es notwendig das Projekt um zwei Jahre zu verlängern. Und dem kann man nicht widersprechen. Denn eine Bergbauregion ist eine unberechenbare Region. Was würde denn sein - wir leben in einer Zeit, Frau Kirchhof, in der niemand mehr Verantwortung für irgendwas übernehmen will - das sehen Sie an unseren Politikern. Keiner will für irgendwas überhaupt noch verantwortlich sein und das muss man im Hinterkopf haben, wenn man so 'ne Frage mal beachtet oder beobachtet. Was ist denn, wenn ich sage, das Projekt ist im Dezember abgeschlossen und Schluss. Und ich ordne das an. Dann passiert aber zwei Jahre später ein Einbruch. Die Erde gibt nach, irgendetwas öffnet sich, reißt einige Häuser mit sich, fünf Menschen sind tot. Und dann gucken alle denjenigen an, der gesagt hat, die Arbeiten müssen jetzt abgeschlossen werden, und sagen: Weil Sie das so entschieden haben, sind jetzt die Menschenleben zu beklagen. Sie sind verantwortlich dafür. Niemand hätte sich diese Verantwortung übergezogen. Und somit konnte niemand argumentativ ankommen, wenn gesagt wurde, wir müssen leider noch zwei Jahre länger arbeiten. Denn wir sind hier in einer Region gerade, die unberechenbar ist und wir haben dahinten noch einige Sachen gefunden, die haben wir überhaupt nicht beachtet. Und wir sind hier drüben mal tiefer eingedrungen und wir sind ganz erschrocken, wie kaputt das hier alles ist, ich glaube das zieht sich. Man kann denen das Gegenteil nicht beweisen. Auch wenn unterschwellig jeder geahnt hat, na klar, da ist schon bissel was gezogen worden, hätte niemand sagen können, ihr beendet das jetzt aber, raus aus dem Schacht und macht an 'ner anderen Stelle weiter. Und dann passiert ein Unglück. Und dann ist jemand verantwortlich, der genau diesen Schnitt angeordnet hat. Und so - also ich gehör wirklich zu denen auch, die sehr sehr froh sind, dass es die Möglichkeit des Ziehens von Projekten überhaupt gibt. #01:45:54-4#
Astrid Kirchhof: Wenn wir davon ausgehen oder wie Sie gesagt haben, viele haben oder eigentlich ja sehr viele jedenfalls sind in Arbeit geblieben. Dann eben in Sanierungsarbeit. Und die gehen dann in Rente. Würden Sie sagen, dass die ähm Rente gut ist, der Wismut-Beschäftigten? Also sind die auskömmlich finanziert? #01:46:15-3#
Oliver Titzmann: Da ich ja nun aus der Familie niemanden habe und ich es nur weiß von anderen, die Wismut-Renten sind überproportional hoch. Die liegen über den normalen Renten. Hat jemand 40 Jahre lang in einem DDR-Betrieb gearbeitet als Ingenieur zum Beispiel oder als Fabrikarbeiter, dann hat er einfach eine geringere Rente als jemand, der in einem Bergbaubetrieb gearbeitet hat. Die Renten der Wismut-Rentner sind deutlich höher im Schnitt als die normalen Renten von Menschen, die im gleichen Zeitraum in einem anderen Betrieb gearbeitet haben. Das ist auf jeden Fall so. #01:46:50-8#
Astrid Kirchhof: Sie haben vorher gesagt, ab den 60er Jahren hat sich die Wismut schon wieder verschlankt. #01:46:57-9#
Oliver Titzmann: Ja. #01:46:57-9#
Astrid Kirchhof: Was würden Sie sagen ist die Hochzeit des Wismutbetriebs dann gewesen? #01:47:03-2#
Oliver Titzmann: Die Hochzeit kann man sogar mit einem einzigen Jahr festmachen. Dafür gibt es Statistiken, da kann man sich die Zahlen anschauen. Fördermengen zum Beispiel sind ein Aufschluss oder die Personalstärke der Wismut oder die Größe der Betriebsanlagen. Und das Jahr ist 1950. Das ist das Hochjahr der Wismut. Dort sind die meisten Menschen beschäftigt in der Wismut, dort liegen die höchsten Produktionszahlen. Dort gibt es die meisten Schächte. 1950 ist in der Wismut-Geschichte eine wichtige Zäsur, weil mit dem Jahr 1950 auch die Wismut von einem wilden Raubbergbau zu einem geordneten Bergbau übergegangen ist. Das ist also ein Übergangsjahr, ein Wendejahr. Das hat so 'ne Angelfunktion in der Wismut-Geschichte. Vor 1950 dieser raue, wilde unkontrollierte Zeit - die so genannten wilden Jahre - und nach 1950 die Entwicklung zu einem geordneten Staatsbetrieb hin. In den 70er Jahren war die Wismut ein fast schon weltweit vorbildlicher Betrieb. Wenn es Delegationen gab aus ausländischen Staaten, aus vielleicht Kanada oder es gab sogar Delegationen aus den westlichen Staaten. Und die durften sich solche Dinge mal anschauen. Die Wismut war immerhin ein Betrieb mit großer Geheimhaltung und mit Uranbergbau. Also da ist ein / nicht ein Amerikaner einfach mal so in so 'n Wismut-Schacht gekommen. Aber Technologietransfer hat es im Prinzip auch schon in der DDR gegeben. Und die DDR konnte sich mit der Wismut in den 70er Jahren zum Beispiel durchaus sehen lassen. Im Gegensatz zur anderen DDR-Wirtschaft, die auf Verschleiß gefahren wurde, in der nur wenige partielle Investitionen überhaupt noch vorgenommen wurden, war die Wismut ein technologisch sehr gut aufgestellter Großbetrieb, der international verglichen mit Bergbau in anderen der Welt sehr konkurrenzfähig war. Die Bedingungen waren gut, die Sicherheit war gut gewesen. Im Gegensatz zu den 50er Jahren oder zu den 40er Jahren. Da gab es keine Sicherheit. Da wurde das Erz heraus gerissen, ob nun Menschen dort verschüttet wurden, ob Stollen eingebrochen sind, das hat nur am Rande jemanden interessiert. Da wurde Sabotage gerufen, da wurden die Toten weg geschafft, dann wurde der Stollen aufgebaut und dann ging 's einfach weiter. Da spielte Sicherheit keine Rolle, da gab es die Devise: Erz um jeden Preis! Aber 20, 25 Jahre später war die Wismut ein geordneter Großbetrieb, in dem alle sicherheitsrelevanten Dinge, die man beachten konnte, auch eine Rolle spielten. Deswegen, beim letzten Interview hab ich immer den wichtigen Satz gesagt. Den müssen Sie sich auf ein Schild schreiben und ganz groß an die Wand hängen und jeden Tag drauf gucken, wenn Sie über das Thema reden: Die Wismut darf man nie im Komplex bewerten. Nie generalisieren. Nie mit einem Pauschalurteil versehen. Sondern immer muss man sagen, hey Sicherheitsbestimmungen, Unfallschutz, reden wir jetzt grad über die 40er Jahre, 50er, 60er, 70er, 80er Jahre? Also über welches Jahrzehnt reden wir? Denn jedes Jahrzehnt verlangt ein anderes Urteil. Das Urteil muss differenziert erfolgen. Nie pauschalisiert über die Wismut. \"Bei der Wismut da gab 's gar kein or / gar kein richtigen Sicherheitsschutz\" oder ähnliche Dinge. Solche Urteile sind hanebüchen, sind schwachsinnig. Sondern man muss sagen in den 40er Jahren da gab es ja praktisch keine Sicherheitsbestimmungen. Da wurde darauf keine Rücksicht genommen. Aber in den 70er Jahren wurde oder in den 80er Jahren wurde eine große Rücksicht darauf genommen. Genau. Jetzt hab ich sogar den Faden verloren und sogar die Frage vergessen! #01:50:32-4#
Astrid Kirchhof: Ich glaube, Sie haben die Frage schon beantwortet, die ich gestellt hab. Aber da hätte ich noch 'ne Nachfrage. #01:50:38-9#
Oliver Titzmann: Ja. #01:50:38-9#
Astrid Kirchhof: Wenn sich die Wismut langsam, wenn Stollen geschlossen werden ... #01:50:43-8#
Oliver Titzmann: Ja. #01:50:43-8#
Astrid Kirchhof: ... wieso / wir haben einige Zeitzeugen, die kamen erst in den 70er, 80er Jahren wurden die erst geworben. #01:50:51-9#
Oliver Titzmann: Genau! Sie müssen ja bedenken, dass die Wismut natürlich auch Bergarbeiter in Rente schickt. Und ein großer Teil, der in den 40er Jahren mit 20 Jahren oder mit 30 angefangen hat, der ist dann eben in den 60er Jahren oder 70ern in Rente gegangen. Und dafür brauchte die Wismut wieder junge Bergarbeiter. Aber nicht nur Bergarbeiter, sondern auch in der gewissen Verwaltung, in der gesamten Wismut-Logistik, die aufgebaut wurde. Es gab ja nicht nur den Bergarbeiter, der im Schacht gearbeitet hat, sondern die Wismut war ein komplexes System, in dem überall auch Nachwuchs heran gezogen werden musste. Und so sind in den 60er, 70er auch in 80er Jahren noch Menschen zur Wismut gegangen. Die wurden weniger geworben. Die Wismut musste nicht werben. Ihre Werbung bestand in überproportional höheren Löhnen. Das ist ihre Werbung gewesen. Die Wismut hat geworben in den 40er Jahren. Dort hatte sie einen eklatanten Arbeitskräftemangel. Aber in den 70er, 80er Jahren musste sie nicht werben, sondern da wurde über Mundpropaganda gesagt, bei der Wismut kannst du gut verdienen. Und so sind viele freiwillig zur Wismut gegangen und sind dort eben auch als Lehrlinge ausgebildet worden in den 70er Jahren, haben am Ende der 70er Jahre hier angefangen und damit wurde die große Masse der Ausscheidenden natürlich aufgefangen. Aber die Verschlankung fand statt. Seit 1950 gehen die Beschäftigungszahlen sukzessive zurück. Wenn man sich die beiden Diagramme mal anschaut, dann sieht man diese Entwicklung. Und dann geht das so zurück. Ja. Und ja in den 90er Jahren wäre es eh ausgelaufen. Irgendwann, wenn die Wismut noch weiter bestanden hätte. Aber die Zeitzeugen, die Sie interviewen können, sind meist Zeitzeugen, die in den 50er, 60er, 70er Jahren erst zur Wismut gekommen sind. Das ist ja die dritte, zweite, dritte, vielleicht auch die vierte Wismut-Generation erst. Denn vier Generationen denk ich, ja knapp, dürfte es schon gegeben haben. Von der ersten Generation werden Sie niemanden mehr interviewen können. Die sind alle tot. #01:52:42-2#
Astrid Kirchhof: Jetzt hab ich grad den Faden verloren (lacht) - hier müssen wir nachher einen Schnitt machen // #01:52:51-7#
Oliver Titzmann: (unv.) #01:52:51-7#
Astrid Kirchhof: Was wollt ich fragen, was haben wir grad geredet? Ach so ja, jetzt weiß ich: Vielleicht ist das ja auch ein ähm nur ein Mythos, den es im Westen gegeben hat, aber wenn Sie sagen das Geld war die beste Werbung ... #01:53:07-9#
Oliver Titzmann: Ja. #01:53:07-9#
Astrid Kirchhof: ... man denkt doch immer, soviel Geld konnte man in der DDR gar nicht ausgeben. Wieso kann dann Geld trotzdem eine Motivation oder so eine starke Motivation sein? #01:53:19-5#
Oliver Titzmann: Das Geld konnte man schon ausgeben. Also wer Geld in größerer Menge verdient hat, konnte auch 'ne Möglichkeit finden, Geld auszugeben. Was Sie grade sagen ist ein wichtiger, ein wichtiges Argument für diejenigen, denen man DDR-Wirtschaft erklären muss. Also das erklärt man zum Beispiel Westdeutschen. Westdeutschen, die fragen, wie waren denn die Verhältnisse in der DDR, die wirtschaftlichen Verhältnisse. Denen hat man gesagt, die Menschen haben Geld verdient, konnten sich dafür aber nichts kaufen. Damit die verstehen, wo das Problem denn bestand. Das stimmt aber nur zum Teil, denn mit Geld konnte man ja immerhin auch etwas tun. Mit Geld konnte man sich Material beschaffen zum Beispiel. Mit Geld konnte man sich Vorteile erkaufen. Wichtig ist natürlich auch, dass man immer bedenken muss, man konnte Geld bitteschön in der DDR auch (...) hach, jeder kannte irgendjemanden, auch in D-Mark umtauschen. Ich hab's selbst auch mehrmals gemacht und hab DDR-Geld in D-Mark umgetauscht in den 80er Jahren und habe mir dann eben für die Deutsche Mark im Westen was kaufen können. Also nicht ich konnte in den Westen, aber ich hab mir Sachen mitbringen lassen zum Beispiel. Oder im Intershop konnte man Sachen kaufen. Also Westwährung basierte zum Teil auch auf Ostwährung. Der Umtauschsatz den ich hatte war eins zu sieben, eins zu acht, eins zu neun. Für eine D-Mark musste man teilweise bis zu neun DDR Mark geben. Also war Geld zu haben durchaus ein Privileg. Und mit Geld konnte man auch in der DDR etwas tun. Allerdings war es häufig nicht möglich, gewisse Dinge sofort kaufen zu können, wie zum Beispiel \"Ich kauf mir jetzt ähm ja ein / zum Beispiel ein Auto.\" Was in der DDR durchaus nicht nur ein Gebrauchsgegenstand, sondern ein Luxusgegenstand war. Ein schönes Auto zu haben war ein Luxusgegenstand. Aber am Ende der DDR war auch ein Trabant zu haben. Mit 14 Jahren Wartezeit immerhin auch schon ein Luxus, ihn jetzt fahren zu dürfen. Und so war Geld durchaus eine Motivation gewesen, denn wer mehr Geld hatte, konnte sich einfach in der DDR auch mehr leisten. Was aber nicht bedeutet, dass jeder Traum mit Geld erfüllbar war. Und dass Luxus in der DDR mit Geld immer zu haben war. Das stimmt nicht. Aber Geld zu haben, generell Geld zu haben war natürlich immer etwas, was die eigene Arbeit als besonders wertvoll hat da stehen lassen. Das ist ein Unterschied, ob ich in der DDR als Lehrer 800 Mark verdient habe oder als Fabrikarbeite 1200 Mark verdient habe. Also sieht man daran, das ist ein Arbeiter- und Bauernstaat, das ist 'ne Diktatur der Proletarier. Der Arbeiter kriegt 1200 Mark und der Lehrer kriegt 800 Mark. Das ist also die / man erfährt auch über das Geld, was man bekommt, die Wertigkeit seiner Arbeit. Und da hat man schon gesehen, dass die Arbeit eines Arbeiters eine besondere Wertschätzung in der Diktatur des Proletariats, allein auch aus ideologischen Gründen, erfahren hat. #01:56:12-8#
Astrid Kirchhof: Vielleicht letzte Frage nochmal zur Wende. Wie haben Sie selber die Wende erlebt? #01:56:18-7#
Oliver Titzmann: Zur Wismut / zur Wendezeit war ich nicht hier, sondern in Leipzig und war Student. War also nicht vor Ort. Aber ein Student kommt am Wochenende nach Hause, sodass ich am Wochenende die Situation hier erleben konnte. Bin dann aber wieder unter der Woche in Leipzig gewesen und war dort bei den Montagdemos dabei, Montagsdemos dabei. Allerdings als Student nicht in erster Linie am ersten Tag. Das hätte sich niemand erlauben können. Sofort wurde uns auch mit Exmatrikulation gedroht, wenn man dort zu sehen war. Sondern die Wendezeit in Leipzig, die konnte ich live sehen. Hier die Wendezeit in der Region nur am Rande. Also Wochenende oder in vorlesungsfreier Zeit. #01:57:03-4#
Astrid Kirchhof: Ich wollt noch mal ganz kurz bei Ihnen bleiben. Sie haben ganz am Anfang, nicht heute, sondern des ersten Interviews erzählt, dass Sie von der Stasi beobachtet worden sind und in eine Kommission eingeladen worden. Wie lang haben Sie denn da drin gearbeitet und was war Ihre Aufgabe? #01:57:24-4#
Oliver Titzmann: Ich glaube, ich hab nur anderthalb Jahre dort gearbeitet und das ist nie zum Arbeiten bin ich dort gekommen. Als das Abitur dann durch war und in der DDR ist man, wenn man studieren wollte, sofort zwischen Abitur und Studium zum Militärdienst einberufen worden. Und so war ich vielleicht anderthalb Jahre höchstens in dieser Kommission zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterklasse im Kreis Aue. So nannte die sich und dort gab es keine wirkliche Mitarbeit. Ich weiß, dass ich eins, zwei, dreimal Mal irgendwo mit alten Herren, ich war mit Abstand der Jüngste gewesen, zu Tagungen war in Aue oder in Zwickau, hab mich auch mit einigen ausgetauscht, hab auch ein Manuskript mal geschrieben. Aber das endete mit dem Eintritt in die Militärzeit. Also war das für mich keine Etappe, die in irgendeiner Weise eine Bedeutung hatte. Rückblickend ist sie für mich nur verständlich, weil ich damals nicht wusste, warum ich als viel zu junger Mensch dort hin berufen wurde. Das konnte ich mir nicht erklären. Denn ich wusste nicht, dass die Staatssicherheit mich auf 'm Kieker hatte. Das hab ich erst beim Lesen meiner Stasiakte gesehen. Wenn man dann an den Anfang blättert, warum wird denn ab 14 Jahre ein FDJler in der DDR von der Stasi überwacht? Was für ein Grund gibt es denn? Und dann kam die Fragestellung oder da kam die Antwort aus der Akte heraus, der hat die falschen Fragen gestellt. Der hat Fragen gestellt nach, warum ist das so? Warum, was hat das mit der Wismut-Geschichte auf sich? Ja früher gab es mal ein bedeutendes Radiumbad in Oberschlema. Warum ist es kaputt gegangen? Warum ist, warum ist alles so geworden, wie es jetzt ist? Diese Fragestellungen waren nicht legitim. Das waren Fragestellungen, die an einem Tabuthema gekratzt haben. Da aber der junge Mann, der Junge, der Jugendliche, der 14Jährige für die DDR als wertvoll erschien und auch von seinen Lehrern gelobt wurde, hat man gesagt, okay, den bringen wir in die richtige Spur, der stellt gute Fragen, aber die falschen Fragen. Bringen wir ihn mal in eine solches Gleis hinein und lassen den mal dorthin fahren, dann kann er sich gut entwickeln als sozialistische Persönlichkeit. Aber wir müssen aufpassen - das steht übrigens wirklich in der Akte drin - wir müssen aufpassen, dass der keinen Anschluss an bürgerliche und kirchliche Kreise des Ortes findet. Bürgerliche, Handwerker, Kirchliche, die Kirche befragt. Und das ist, das ist nicht gut. Das ist nicht gut. Die Antworten machen den nur kirre. Bringen wir ihn in die richtige Umgebung und dort kann er dann laufen, so wir das auch gerne möchten. Das ist ein guter Kerl, aber der muss ja schon auch 'ne eindeutige Linie bekommen, wohin er sich entwickeln darf. So etwa spricht 's aus den ersten Akten heraus, die man so lesen kann. #02:00:10-6#
Astrid Kirchhof: Welches Jahr war das, wo das gesagt wurde mit kirchlichen und bürgerlichen Kreisen? #02:00:12-1#
Oliver Titzmann: 1983. #02:00:16-2#
Astrid Kirchhof: Und ist die Rechnung aufgegangen? #02:00:16-5#
Oliver Titzmann: Nö. (lacht) #02:00:19-3#
Astrid Kirchhof: (lacht) #02:00:20-3#
Oliver Titzmann: Überhaupt nicht (lacht). #02:00:21-6#
Astrid Kirchhof: (lacht) #02:00:22-3#
Oliver Titzmann: Keine Chance! Ich hab nie abgelassen, die anderen Fragen zu stellen. Aber ich bin aus der ganzen Geschichte insofern heraus genommen worden, da Militärdienst bei den Grenztruppen der DDR bedeutete, dass man aus dem ganzen System erst mal heraus genommen wurde. Personalausweis abgeben, Wehrdienstausweis in die Hand, in eine isolierte Umgebung. Das sind schon mal drei Jahre, das sind die Gorbatschow-Jahre, die dann entstanden sind, die an mir zum großen Teil vorbei gegangen sind, weil ich nicht mehr im zivilen Bereich gelebt habe. Und dann begann das Studium und damit auch das Ende der DDR. Also ist das, was man vielleicht mit mir vor hatte, nie wirksam geworden. Weil 's den Staat gar nicht mehr gab. Und ich nie, Gott sei Dank, in den Gewissenskonflikt gebracht wurde für meine Überzeugung härter eintreten zu müssen oder mit dem Strom zu schwimmen. Die Frage musste ich mir nie ernsthaft stellen. Weil der Staat nicht mehr da war, der mich in die Situation gezwungen hätte. #02:01:23-0#
Astrid Kirchhof: Also obwohl Sie kritische Fragen gestellt hatten, durften Sie studieren. #02:01:28-5#
Oliver Titzmann: Ja klar. Weil die Fragen waren nur falsche Fragen. Aber es waren Fragen, die ein Jugendlicher stellt und das galt als ja so ist es nun mal. Ich mein, der wohnt dort und sieht das. Und natürlich wachsen die Fragen. Das für die, für die Staatsmacht erklärbar. Aber wichtig war dann die, die Folgerung daraus. Wird er sich jetzt in dieser Fragestellung verfangen und wird er zunehmend Fragen stellen, auf die wir keine Antworten geben wollen und können. Oder können wir den Fragesteller nicht andere Fragen vor den Kopf legen, so dass er mit der Energie, die er besitzt, mit dem Forschungsdrang nicht vielleicht Dinge erforscht, die uns genehm sind. Das war das Ansinnen gewesen. Deswegen gab es in keiner Weise irgendeine Schwierigkeit. Im Gegenteil, es war ja sogar fast schon ein Hofieren. Denn ich war damals 14, 15, 16 Jahre alt gewesen. Das war ein Privileg mit den anderen Herren, mit Professoren zum Beispiel, zusammen zu sitzen. Und ich hab mich immer gefragt, wie ich denn zu der Ehre komm. Also das Gegenteil ist der Fall. Ich wurde also, ich hab keine Schwierigkeiten daraus bekommen. Sondern es war ja fast schon ein kleiner Ritterschlag, auf einmal mit Menschen zusammen arbeiten zu können, die natürlich staatsnah und auch ja mit den richtigen Fragestellungen in historischer Forschung schon tätig waren. #02:02:57-0#
Astrid Kirchhof: Wir hatten hier eine Zeitzeugin, die hat erzählt, dass man, also das pro Klasse nur drei Schüler studieren durften. #02:03:07-3#
Oliver Titzmann: Ja. Das ist ein Schnitt, den sie nennt. Also es hat nie die Regelung gegeben, pro Klasse drei, sondern im Schnitt. Man muss ja rückblickend immer sagen, wie viel aus einer POS-Klasse zum Beispiel sind denn zu einer EOS gegangen. Die EOS war das Gymnasium in der DDR und die EOS war Voraussetzung für ein Hochschulstudium. Also jeder, der in der DDR studieren wollte, musste eine Erweiterte Oberschule in der DDR besuchen. Sogar diejenigen, die Berufsoffizier werden wollten und später an einer Militärhochschule studieren wollten. Auch die mussten in eine EOS gehen. Und der Übergang von der POS zur EOS war im Schnitt zwei bis drei im Schnitt pro Klasse konnten gehen, weil auch die Plätze an den EOS-Schulen, also an den Erweiterten Oberschulen ja nur begrenzt waren. Also konnten nur diejenigen gehen, denen auch ein seriöses Studium voraus gesagt werden konnte. Die DDR war eine Planwirtschaft, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich wurde geplant. Und jeder in der DDR wusste, wenn ich mich frühzeitig in ein Gleis begebe, werde ich dieses Gleis durchfahren in meinem Leben. Ich weiß also mit 14 Jahren schon wie mein Leben verläuft. Ich werde dann das machen, dann kommt das und dann kommt das und dann kommt das. Immer wenn ich fleißig bin und auch staatsnah bin, dann werde ich in der DDR ein sorgenfreies Leben haben können. Ich darf nicht die falschen Fragen stellen, ich darf nicht unangenehm auffallen, ich muss fleißig sein, ich muss etwas tun für den Aufbau des Sozialismus. Gleichzeitig meine eigene sozialistische Persönlichkeit entwickeln und festigen. Und wenn ich in diesen Gleis fahre, war in der DDR das Leben bis zum Tod planbar. Heute weiß niemand was morgen kommt. In der DDR wussten 90 Prozent geschätzt der DDR-Bevölkerung, was denn in ihrem Leben noch so kommen wird. Nämlich ich gehe den Weg und wenn ich keine Schwierigkeiten mach, wird mir auch keiner was in den Weg legen, keine Schwierigkeit. Und so war es klar, mich hat man in der siebenten Klasse gefragt, was möchtest du denn später mal werden? Ja ich möchte gerne Lehrer werden. Da ham sie gesagt, das ist schön, dann streng dich an! Bring gute Zensuren, dann kommst du an die EOS. Ich bin mit einem Mädchen zusammen als Einziger aus meiner Klasse dann an die EOS gegangen. Und durfte dann mein Abitur machen und durfte nach erfolgtem Wehrdienst noch in der DDR anfangen zu studieren. Und hab damals Lehrer studiert. Und die Wende kam dann nach dem zweiten Semester schon. #02:05:39-3#
Astrid Kirchhof: Das heißt, weil Ihre Schulleistungen eben sehr gut waren und Sie auch sonst nicht zu kritisch aufgefallen sind. #02:05:50-6#
Oliver Titzmann: Genau. (...) Das kann man so sagen. Die beiden Dinge sind die wichtigsten Dinge. Man muss also als Jugendlicher systemkonform sein und zum anderen Leistung bringen. Wenn diese beiden Parameter zu sehen sind, war man in der DDR dafür prädestiniert auch einen erfolgreichen Lebensweg nehmen zu können. Das war die Voraussetzung. #02:06:13-2#
Astrid Kirchhof: Ham Sie da Ihre Kritik, die Sie hatten runter geschluckt oder war die gar nicht so schlimm, weil Sie eigentlich den Sozialismus schon richtig fanden und vielleicht er ging in die falsche Richtung. #02:06:28-8#
Oliver Titzmann: Den Sozialismus fand ich bis zum etwa 14. Lebensjahr richtig. Hätten Sie mich mit 10 - also ich war 10 Jahre oder 11 Jahre - gefragt über meine Auffassung zur DDR, meine Auffassung zum Sozialismus, da hätte ich Ihnen genau das gesagt, was meine Lehrer mir beigebracht haben. Und Sie hätten mit dem Kopf genickt, wenn Sie das gut finden und hätten mit dem Kopf geschüttelt, wären erschrocken gewesen, was ich so gesagt hätte. Mit etwa 14 Jahren, wenn man da langsam jugendlich wird und auch anders denkt und kritischer denkt, in dem Jahr etwa, mit 14 Jahren hab ich kritischer über viele Dinge auch über die DDR, auch über mein Leben nachgedacht. Auch über gesellschaftliche Prozesse, die in unserem Land verlaufen. Und hab das gemacht, was ein Großteil der DDR-Bürger auch gemacht hat. Es gab den offiziellen und es gab den inoffiziellen. Es gab also ein offizielles Gesicht gehabt und ein inoffizielles Gesicht. In meiner Familie konnte ich meine kritischen Äußerungen, die ich hatte mit 15, 16 Jahren offen sagen. Meine Eltern haben sich das angehört und haben zu mir gesagt, aber da musst du aufpassen, ne! Erzähl das ja nicht draußen rum. Das kann man so nicht sagen. Nicht, dass du in der Schule sowas sagst, ne! Also da wurde immer gesagt, in der DDR gab den privaten Raum, in den kritisch gesprochen werden durfte und auch kritisch gesprochen werden konnte. Wenn die Familienangehörigen das auch geteilt haben selbstverständlich. Und es gab den öffentlichen Raum. Und die meisten DDR-Bürger hatten eben eine offizielle Meinung, die ich natürlich nur dann sagen kann - jetzt im DDR-Witz gewesen - wenn man gefragt wurde, was hältst du denn da und davon? Oh, da kann ich noch nix dazu sagen, ich hab das Neue Deutschland noch nicht gelesen. Jeder wusste in der DDR, erst musste ich mal wissen, was die von mir hören wollen, dann sage ich denen, was sie von mir hören wollen. Aber ich muss es erst mal wissen. Und privat konnte ich das und das äußern. Also gab es da schon eine Spaltung. Die Frage ist halt nur, wie lang man als Mensch durchhält mit zwei Gesichtern zu leben. Ich glaube mit 15, 16,17, 18 Jahren ist das noch möglich, diesen Spagat zu machen. Aber irgendwann, wenn die Persönlichkeit eines Menschen sich verfestigt, muss man sich in seinem Leben die Frage stellen, wie lang man noch bereit ist, etwas mitzutragen und zu tun, das man aber gar nicht teilt. Und das führte oft dazu, dass in Biografien solche Brüche auftreten. Das Menschen von heute auf morgen ausgebrochen sind und gesagt haben, ich mach das nicht mehr mit. Aber bis dahin ham sie aber mit gemacht. Aber von heute auf morgen sind sie eben nicht mehr mit dabei. Das sind dann die Brüche und zu diesem Bruch kam es in meiner Biografie nur deshalb nicht, weil es die DDR nicht mehr gab. Und im militärischen Bereich war ab 1985 beim Militärdienst, muss man ganz sehr aufpassen, was man überhaupt noch gesagt hat. Dort galt ein totales Schweigen. Und im DDR-Militär, müssen Sie bedenken, unterstand man nicht mehr dem zivilen Strafrecht. Sondern dem so genannten Militärstrafrecht. Im Militärstrafrecht gab es auch das Mittel der Folter, was heute oft viele nicht mehr hören wollen. Dann sollte man mal recherchieren und mal gucken, wie in Schwedt im zentralen DDR-Gefängnis Gefangene behandelt wurden. Dort war Folter ein legitimes Mittel, um einem Menschen das Rückgrat zu brechen und als seelisches Wrack wieder auszustoßen. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Das ist Beispiel von vielen Beispielen dafür, dass die DDR kein Rechtsstaat war. Und dann ist man zurück ins zivile Leben gekommen und da unterstand man wieder dem DDR-zivilen Strafrecht. Aber wer beim Militär ist, kann auf Grund nur der Behauptung eines Vorgesetzten nach Schwedt in das DDR-Militärgefängnis eingewiesen werden. Das war eine Disziplinarstrafe. Da gab es keinen Anwalt, keinen Staatsanwalt, keinen Richter, sondern das war Teil des DDR-Militärstrafsystems. Wegen dieser Äußerung bringe ich dich jetzt drei Monate nach Schwedt, war eine Drohung, die ein Offizier einem Soldaten gegenüber aussprechen konnte. Und die Drohung konnte auch verwirklicht werden. Also heißt es, in der / mit der Militärzeit, in diesen drei Jahren besonders aufpassen, was man so sagt. Denn ich will nicht nach Schwedt, ich will nicht in dieses Gefängnis. Ich will nicht, dass man mir dort solche Dinge antut. #02:10:44-5#
Astrid Kirchhof: Ich, mir ist grad mal kalt, ich muss mir mal schn / kurz ... #02:10:48-4#
Oliver Titzmann: (lacht) #02:10:48-4#
Astrid Kirchhof: ... 'n Umhang holen. Ein Moment. (...) Ein Moment. Ich mach mal grad die Heizung an. (...) Sie kennen doch diese / dass man sagt, die Wismut war ein Staat im Staat. Wie sehen Sie das? Ist das ein Mythos oder ist das richtig? #02:11:24-9#
Oliver Titzmann: Das ist durchaus richtig. Und die Beweisführung, dass es so ist, ist ja unschwer zu machen, denn das System Wismut war in der DDR relativ autark. Die Wismut war zu ihrer Gründung eine Sowjetische Aktiengesellschaft. In der DDR, in der sowjetischen Besatzungszone, gab es aber tausende sowjetische Aktiengesellschaften. Diese aber, war ausschließlich damit beschäftigt, Uran aus dem Fels zu holen. War also ein Bergbaubetrieb. Und damit war sie eine besondere SAG im Gegensatz zu anderen Aktiengesellschaften, sowjetischen Aktiengesellschaften und ist von Anfang an als autarkes System aufgebaut worden. Mit einem Sperrgebiet umgeben worden. Mit eigenen Gesetzen, mit eigenen Loh / Löhnen, die gezahlt wurden. Mit eigener Polizei, mit eigener Verwaltung, mit eigenem Gesundheitssystem, mit eigener Kulturbetreuung, mit eigener, eigenem Fußballklub. Erzgebirge Aue ist der Nachfolger heut noch von Wismut-Aue. So ist der gesamte, die gesamte Lebenswelt der Wismut-Angehörigen ist im Grunde genommen autark gewesen. Die Wismut-Leute, Angestellten der Wismut sind auch nicht unbedingt mit anderen Zivilen irgendwo in Urlaub gefahren. Weil die Wismut privilegierte Urlaubsplätze hatte, die sie vergeben konnte. So gab es in Zinnowitz, in einem der bevorzugten DDR-Ferienorte, gab es nur für Wismutangehörige Ferienheime, die eine besondere Versorgung hatten. Die Versorgung in den Wismut-Ferienheimen war überproportional besser als in den FDGB-Ferienheimen in der DDR. Die Wismuter sind also überall privilegiert gewesen. Selbst im Urlaub. Und sind durch diese Privilegien auch sicherlich auch geködert worden. Denn wer so hofiert wird, wer so viele Privilegien bekommt, der ist auch einfach staatsnäher und der ist auch einfach bereit, unkritisch zu sein, auch dem eigenen Arbeiten gegenüber. Also ein Staat im Staate in jedem Fall. Und die Hauptargumente sind eben eigene Verwaltung, eigenes Energiesystem. Das ist dann immer so schön, wenn in der ganzen DDR das Energiesystem zusammen gebrochen wäre und alle hätten in einem dunklen Raum gesessen, dann wäre im Wismut-Sperrgebiet Licht an gewesen. Also so müssen Sie sich das vorstellen, weil die eigene autarke Energieversorgung hatten, ein eigenes Telefonsystem vom DD / vom Telefonsystem hier, musste man sich erst mal in das zivile wieder hinein wählen. Also auf Energieversorgung, Telefonsystem, Verwaltung, Gesundheitssystem, Kulturbetreuung, Fußballklub, Wismut-Stasi. Es hat neben der DDR-Stasi eine Wismut-Stasi gegeben. In Aue gibt 's 'ne Straße, da steht heute noch das DDR-Stasi-Haus und es / noch daneben, da war die Wismut-Stasi drin. Also sie war in allen Lebensbereichen, in allen, ob Gesundheit, Freizeit, Arbeitswelt, in allen Lebensbereichen war die Wismut autark und war damit im Paket, im Gesamtsystem ein Staat im Staate. Auch mit eigenen Gesetzen. Also natürlich nicht die / die über den Gesetzen der DDR standen, aber in der Wismut, meinte ich, gab es einfach andere Regeln. #02:14:36-5#
Astrid Kirchhof: Ich wollte etwas fragen zu dem Komplex Krankheiten. Also Bergbau ist ja auch mit Gefahren verbunden (...) gar nicht mal nur, weil es Uran ist, sondern auch im Kohlebergbau gibt es ja ... #02:14:53-2#
Oliver Titzmann: ja klar. #02:14:53-2#
Astrid Kirchhof: ... schwere Krankheiten. Würden Sie sagen, es war gefährlich in Ihrer Region zu leben ähm Genau. Also zum Beispiel hatten wir Zeitzeugen, von denen hatte ich schon gesprochen, die weg gezogen sind und die ham viele in der Familie, die krank geworden sind. Aber auch andere, die nicht krank geworden sind. Und verstehen selber nicht genau, was ist denn jetzt hier richtig: Hat das was mit dem zu tun, dass wir da gearbeitet haben oder nicht. Oder gelebt haben. #02:15:19-6#
Oliver Titzmann: Das ist eine sehr sehr schwierige Frage, die auch damals kaum beantwortet werden konnte. Familien, in denen gehäuft Krebsfälle aufgetreten sind, die haben sich gefragt, hat das etwas mit der ganze Uranstrahlung zu tun? Wenn ja, wie hoch ist denn die Uranstrahlung? Wenn ja, wo ist denn die Uranstrahlung? Strahlt das hier überall? Also so in der gesamten Region, so 100 Meter Höhe? Oder strahlt nur mal so in den Schacht raus? Darauf gab es ja zu DDR-Zeiten keine Antworten. Also gab es immer diese latente Gefahr und die latente Angst, die man dadurch auch hatte. Man wird krank, aber man weiß nicht wodurch und ja, sind die Krebsfälle in der Familie jetzt darauf zurück zu führen oder wären wir auch krebskrank gewesen ohne, dass wir in der Wismut-Region gewohnt hätten? Diese Frage konnte sich niemand beantworten. Viele Menschen können sie sich heute nicht beantworten. Aber das Uranbergbaugebiet ist natürlich eine gefährlichere Region als eine ganz normale zivile Region irgendwo im Thüringer Wald oder im, was weiß ich, in Erfurt oder in anderen Gegenden. Alleine dadurch, dass man in einem Bergbaugebiet wohnt, in einem Bergbaubetrieb ist der Berg nie berechenbar. Es gab immer mal Tagebrüche. Da sind nicht dort Menschen hinein gezogen worden, aber es gab immer die Gefahr, dass der Berg an sich als System nie Hundertprozent beherrschbar war. Das war aber nicht die große Angst, die die Menschen hatten, sondern die Angst war immer gewesen, wie wirkt sich denn die Uranstrahlung aus? Strahlen zum Beispiel Halden, strahlen die Schächte, ist es denn schon schlimm, wenn man überhaupt hier wohnt oder ist es nur schlimm, wenn man als Bergarbeiter untertage gearbeitet hat? Wie ist denn die Gefahrenlage? Keine Antwort zu DDR-Zeiten. In den 90er Jahren beginnen langsam Antworten auf diese Fragen zu kommen. Und die ersten Antworten sind ernüchternd für die meisten. Denn die lauten, ja so gefährlich ist es dann doch nicht. Dann doch nicht? Also wird jetzt wieder alles marginalisiert? Wird jetzt wieder alles bagatellisiert, wie früher, es muss doch schlimm sein! Naja, die Gefahrenlage ist schon höher, aber sie ist nicht generell so. Was bedeutet denn das? Also dann muss man erklären, gefährlich ist es immer dann, wenn man in einer Bergbauregion wohnt, wie hier im Erzgebirge in einer Uranbergbauregion und es befinden sich Häuser auf zum Beispiel einem Berg oder über Schachtanlagen oder in der Nähe von Schachtanlagen. Und das Radon ist ein Zerfallsprodukt des Urans. Ein gasförmiges Element, ein strahlendes Element. Radon ist ein Edelgas, das in geringen Konzentrationen und nur temporär auf den Organismus wirkend, heilfördernd ist. Deswegen ist Schlema ein Radonbad. Wir heilen mit Radon Menschen von Krankheiten. Mit großem Erfolg. Das schon über Jahrzehnte hinweg. Radon kann unkontrolliert sich ansammeln und kann in Wohnräumen sich sammeln und dort ist es kreuzgefährlich für die Menschen, die dort leben. Denn wer hohe Konzentrationen von Radon dauerhaft ausgesetzt wird, wird krank. Diese Konzentrationen führen zum Beispiel zu Krebs. Radon partiell in niedrigen Konzentrationen heilt. Radon unkontrolliert in hohen Konzentrationen, zeitlich unbefristet auf den Organismus einwirkend, macht krank, kann im schlimmsten Fall sogar töten. Somit ist der Umgang mit Radon verdammt kompliziert. #02:18:49-2#
Astrid Kirchhof: Ist man Radon / wann ist man Radonkonzentration in hohen Mengen ausgesetzt? Nur untertage oder einfach weil man da lebt? #02:18:59-8#
Oliver Titzmann: Das ist schwierig. Untertage sowieso. Untertage sind die Bergleute natürlich am Erz, haben dort die Strahlung des Erzes. Alleine das Erz strahlt auf den Organismus. Das ist zum Beispiel eine Strahlungsart, die man beachten muss. Untertage wird aber Erz angebohrt zum Beispiel, aufgewirbelt, zu Staub gemacht. Vor allen Dingen dann, wenn das nicht abgezogen wird über die Luft oder wenn das nicht mit Wasser benetzt wird ja, zum Beispiel die Bohrstange. Wenn man so genannt trocken bohrt, dann befindet sich dieses, der Erzstaub auch in der Luft und gelangt in die Lunge, führt dazu, dass sich das anlagert und es entsteht eine Silikose, eine Zersetzung der Lunge. Lungenkrebs, das ist eine typische Krankheit der Bergarbeiter der frühen 40er oder der frühen 50er und späten 40er Jahre. Radon ist also untertage eine Gefahr und auch die Uranstrahlung ist untertage eine Gefahr. Übertage ist die Uranstrahlung praktisch gegen Null. Es strahlt also kein Uran, weil kein Uran rumliegt. Es müsste Uran rumliegen. Auch die Halden, die vorhanden waren, haben nur an einigen Stellen eine geringe Strahlung gehabt. Die ganzen Halden sind aber heute überschüttet und sind heute abgedeckt. So dass von den Halden praktisch keine Gefahr mehr ausgeht. Auch nicht durch Reste des Urans. Aber das Radon, ein Zerfallsprodukt des Urans, kann auch übertage Menschen in ihren Wohnräumen krank machen, wenn diese Wohnräume nicht Radon-gesichert sind. Somit gab es mehrmals, beginnend in den 90er Jahren flächendeckend so genannte Dosimeter, die die Menschen bekommen haben, mussten die 'ne Woche lang auf ihren Schrank stellen in jedem Zimmer. Die wurden wieder eingesammelt, wurden dann eingeschickt und dann bekam man eine Analyse. Dann stand drin, also der Grenzwert liegt dort und dort und in ihrem Wohnzimmer wird der Grenzwert 15fach überschritten. Sie müssen also dringend etwas tun! Die Frage der Einwohner war dann, was soll ich 'n jetzt tun? Wegziehen? Nee, lüften. Sie müssen mehr lüften als normal. Sie müssen also einmal in der Stunde für fünf Minuten einen Durchzug in ihrer Wohnung machen. Und da hilft das? Naja, dann hilft 's erst mal nur, dass Sie jetzt nicht mehr dieser Strahlung ausgesetzt oder dieser hohen Radonbelastung, sie müssen Ihr Haus isolieren. Ja, gibt es dafür Geld? Ja, der Staat hat einen Fonds eingerichtet und aus dem können Sie eine Sanierung, Unterstützung beantragen. Also haben die Bewohner hier, die eine erhöhte Radonkonzentration in ihren Häusern nachgewiesen bekommen haben, die durften aus diesem Fonds sich bedienen und ihre Häuser wurden Radon-saniert. Das führt dazu, dass man einfach untertage oder dass man die Keller abgeschnitten hat, dass man Beton in den Keller gegossen hat, dass man also das Haus von unmittelbaren, vom unmittelbaren Kontakt zum Untergrund abgezogen hat. Neubauten wurden in solchen Becken gemacht. Also hat man dann ja die Baugrube praktisch wie Beton so ausgestrahlt oder ausgestattet. Und dort hinein durfte erst gebaut werden. Und selbst wenn man dort gebaut hatte, musste man an einigen Stellen noch solche Radonentlüftungen anbringen, so dass das Radongas sich unter dem Baukörper konzentrieren könnte, musste an der Außenwand abgeleiten und wurde dann sofort in die Umwelt abgeführt, ohne dass es die Möglichkeit hat in die Wohnräume zu kommen. Also untertage waren die Bergleute. Alle die untertage waren, auch die Markscheider, auch die Steiger, die Ingenieure, die untertage waren, waren einer weitaus höheren Belastung an direkter Uranstrahlung und auch an Radonkonzentration ausgesetzt. Und übertage war die Uranstrahlung zu vernachlässigen, aber die Radonkonzentration konnte - musste nicht - ein Problem sein. Vielleicht abschließend noch, wenn Sie ein Haus in einem Ort haben, mitten im Uranbergbaugebiet und keinen Kontakt zum Untergrund oder dort war kein löchriger Fels, und es gab keine erhöhte Radonkonzentration, war das Leben in diesem Haus, in diesem Grundstück ungefährlich. Also muss man immer angucken, wo arbeitet der Mensch, wo wohnt der Mensch, denn auch hier ist ein Pauschalurteil falsch, zu sagen, das ist ja für alle schlimm gewesen. Nee, nee das stimmt nicht. Es war für einige Menschen partiell schlimm. Aber für Menschen, die mitten in dem Bergbaugebiet gewohnt haben in den 70er, 80er, 90er Jahren gab es keine erhöhte Strahlenbelastung. Oder die Strahlenbelastung ist nur so gering erhöht, dass sie zu vernachlässigen ist. Das ist auch keine Bagatellisierung, was ich jetzt gerade mach, sondern das ist ein Versuch einer rationalen objektiven Erklärung. Denn zum Beispiel Uranstrahlung oder überhaupt Radonbelastung - das Zerfallsprodukt ist fast wichtiger als die Uranstrahlung selbst - gibt es überall wo es Bergbaugebiete gibt, wo es Granitgebiete gibt. Ob das jetzt im Harz ist oder im Bayerischen Wald. Dort gibt es stärkere Radonkonzentration in der Luft, auch im Erzgebirge, als zum Beispiel im Thüringer Becken. Oder irgendwo in Brandenburg. Aber, man muss immer fragen, ab welchem Wert wird denn eine Radondauerbelastung für einen Menschen gesundheitsgefährdend? Dieser Wert ist wichtig, den zu wissen. In welcher Umgebung lebt also dieser Mensch. Pauschal jemand der in Schlema, in Aue oder in Schneeberg, Johanngeorgenstadt, Ronneburg wohnt, der ist nicht pauschal einer höheren Gefahr ausgesetzt, als jemand, der in Berlin wohnt. Damit meine ich jetzt nicht Straßenverkehr oder Luftverschmutzung, sonder wirklich die Radonbelastung. So man muss angucken, wo wohnt der Mensch denn in Aue? An welcher Stelle, wo arbeitet der? Ach der arbeitet in der Stadtverwaltung? Aha. Und der wohnt dort auf dem Hang? Ja. Na dann hat er ja eine genauso geringe Strahlenbelastung wie ein Mensch, der in Dresden am Weißen Hirsch wohnt. Dann ist es wieder gleich / da kann man also das erklären. Die Radonbelastung ist nicht höher. Aber ein Mensch, der in Schneeberg in einem alten, 300 Jahre alten Haus wohnt auf dem löchrigen Schneeberg drauf, der untertage abgemauert ist, wo sich Radon konzentrieren konnte. Und der zudem zum Beispiel noch im Berg arbeitet als Bergarbeiter, der hat natürlich eine weitaus höhere Strahlenbelastung und eine weitaus höhere Gefahr an Krebs zu erkranken, als ein Mensch, der nur 300 Meter entfernt wohnt, nicht bei der Wismut arbeitet und dessen Haus auf einem Untergrund steht, durch den kein Radon dringen kann. Das ist also ein himmelweiter, großer Unterschied. Deswegen rate ich in der Besprechung einer solchen Problematik immer zu Objektivität und zur konkreten Fallsituation. Welche Person betrachte ich jetzt. Nur so kann ich ein gerechtes Urteil auch über die Strahlenbelastung geben. Spekulationen sind / helfen uns nicht weiter. #02:25:38-3#
Astrid Kirchhof: Sagt das der Historiker oder der Politiker jetzt alles? #02:25:44-4#
Oliver Titzmann: Beides. Hier trenne ich nicht. Das sagt, also der Historiker sagt das genau so, denn die Dinge, die ich / es sind ja Fragestellungen. Eine der wichtigsten Fragestellungen, die ich immer hatte, wie gefährlich ist denn das Leben hier? Wie ist es denn den Menschen ergangen? Wie hoch ist die Radonbelastung oder die Strahlenbelastung. Die Frage habe ich mir ja selbst auch gestellt. Ich lebe übrigens auch immer noch hier. Würde ich irgendeine Erkenntnis haben, wo ich dann sage: Um Gottes Willen! Dann würde ich sehr schnell meinen Wohnort wechseln. So kann ich - ich mein das sehen Sie aus meinem Wohnverhalten schon. Ich bin nicht durch Eigentum oder so jetzt hier gebunden, dass ich sage, ich muss nun hier bleiben, ich kann ja gar nicht weg, sondern es wäre durchaus möglich auch einige Orte weiter weg zu ziehen. Dann wär ich aber nicht mehr der Politiker hier in diesem Ort, das ist richtig. Aber auch der Historiker kann sagen, dass die Antwort, die ich jetzt grade Ihnen gegeben habe, eine ist, von der ich überzeugt bin. Und das durchaus auch mit entsprechendem Material untermauern könnte. Denn genug Literatur ist über dieses Thema schon veröffentlicht worden. Genug Studien gibt es, genug Gutachten, die sich mit den Fragen / seit 30 Jahren beschäftigen wir uns also mit dieser Frage und haben Antworten darauf gefunden, von denen ich jetzt versucht hab Ihnen eine Essenz mal zu geben. #02:26:55-4#
Astrid Kirchhof: Wir haben ja angefangen über Krankheiten zu reden und dann hat sich raus gestellt durch Ihre Antwort, das ist auch 'ne Schnittstelle zur Sanierung natürlich ... #02:27:06-0#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #02:27:06-0#
Astrid Kirchhof: ... (unv.) die Frage und die Antwort. Und Sie haben gesagt, der Staat hat Gelder bereit gestellt, damit man seine Häuslichkeiten abdichtet. #02:27:13-9#
Oliver Titzmann: Ja. #02:27:13-9#
Astrid Kirchhof: Ich weiß, dass bei den sanierten Gebieten sagt man, bei den Landschaften, da soll man nicht drauf wohnen, aber man kann zum Beispiel - wissen Sie auch - einen Golfplatz drauf bauen. Wenn es jetzt / ist das nur eine Vorsichtsmaßnahme oder warum verbietet - verbieten - also warum empfiehlt man darauf nicht zu wohnen? #02:27:37-3#
Oliver Titzmann: Genau. Das ist relativ leicht zu erklären. Denn die Flächen, von denen Sie jetzt grade sprechen, das sind Flächen, die aufgeschüttet sind. Und auf aufgeschütteten Flächen (...) zum Beispiel eine sanierte Bergbauhalde, die breit geschoben wurde, die mit Mineralboden, mit Kulturboden belegt wurde, bepflanzt wurde, die hat gar keine Standsicherheit. Die hat insofern eine Standsicherheit, dass sie so an sich als Gebilde existieren kann. Aber selbst dort übrigens gibt es immer mal wieder böse Überraschungen. Und eines Morgens öffnet man das Fenster und sieht, dass ein Bereich des Hanges abgerutscht ist. Das gibt es aktuell bis heute. Also eine hundertprozentige Standsicherheit der aufgeschütteten rekultivierten Landschaft, die gibt es nicht. Und so verbietet es sich, auf dieser Fläche, auf diesen Flächen überhaupt etwas zu bauen. Zum Beispiel Wohnhäuser. Diese Gelände, aufgeschütteten Gelände gelten als unbebaubar. Es sei denn, man hat dort in irgendeinem Bereich, wie ich das von einem kleinen Golfhotel, isses nicht ganz, sondern ein Golf - ja - Bereich. Wir haben einen Golfplatz, von dem Sie grad gesprochen haben. Da gibt es ein Sozialgebäude. Und dieses Sozialgebäude, das steht an einer Stelle, das eine Standsicherheit zu hundert Prozent garantiert. Und dort kann man natürlich noch was drauf bauen. Aber man wird 'en Teufel tun zum Beispiel Wohngebäude auf einer solchen, auf einem solchen Gelände zu bauen, das gar keine Standsicherheit bietet, sondern das einfach die Gefahr beinhaltet, dass der ganze Hang mal abrutschen kann, wenn dort noch schwere Elemente befestigt werden. Das ist der Grund. Nur auf den / Sie sprechen jetzt grade nur von den aufgeschütteten Gebieten. Dort kann man nix drauf bauen. Aber in der Region gibt es ja auch Flächen, die nicht aufgeschüttet sind, die also noch erdverbunden und original sind. Und dort wird natürlich fleißig gebaut. Das geht soweit, dass hier übrigens in dem Ort, in dem ich jetzt hier grad sitz, alles zugebaut ist. Wir haben gar keine Flächen mehr, um überhaupt noch was drauf zu bauen. Weil eben ein Drittel des Ortes, wie vorhin schon gesagt, nicht bebaut werden kann. Darauf gibt es einen Riesengolfplatz, darauf gibt es den größten Kurpark Sachsens in Bad Schlema. Dort sind also Naherholungsflächen. Und dafür sind diese Flächen jetzt auch geeignet, vielleicht geradezu auch prädestiniert. Und viele kommen hier her und sagen: Was habt ihr denn hier für einen Luxus? Ich mein, total dicht bebaut alles und hier mitten drin zwischen euch befindet sich 'ne riesige Kurparkanlage. (...) Ja, die könnten wir nicht mal bebauen, selbst wenn wir das wollten. Also freuen wir uns über die schöne große freie Fläche, die kein Ort so zu bieten hat. Wir könnten es nicht mal anders tun. Jetzt hat der Politiker gesprochen. #02:30:23-3#
Astrid Kirchhof: Können Sie für den Laien, sag ich mal, noch mal ein bisschen detaillierte erklären, was für Schritte in der Sanierung unternommen wurden nach 89 [1989]/ 90 [1990]? #02:30:37-5#
Oliver Titzmann: Es waren schon mehrere Schritte. Denn der erste Schritt war erst mal die, die unmittelbare Sanierung der Uranbergbauhinterlassenschaften. Also sprich, die Halde an sich. Die Halden sind meist viel zu steil geschüttet worden und diese musste man in einen normalen Modus verbringen. Also eine steil geschüttete Halde hat immer die Gefahr, dass sie abgleiten kann. Also wurden diese Halden der Landschaft, einer Mittelgebirgslandschaft zum Beispiel, angepasst. Das ist wie in so 'nem Sandkasten, in dem anfängt zu modellieren. Und so wurden dann modellierte Landschaften geschaffen (...) über einen jahrzehntelangen Prozess. Zum anderen mussten die Schächte, die in der DDR nur grob verwahrt wurden, weil es wurde nach 20 Metern eine Betonplombe eingebracht. Diese Betonplomben sind aber irgendwann mal lose und stürzen wie so 'n Flaschenkorken, der schrumpft, in die Schachtröhre hinein. So kann man sich das vorstellen. Sind diese Schächte immer ein Gefahrenherd. Diese Schächte mussten komplett neu saniert werden. Die wurden also noch mal frei gelegt. Dann wurden die Röhren mit Beton ausgefüllt und wurden standsicher gemacht. Auch Untertagebereiche, der Bergbau ist zum Beispiel in vielen Bereichen auch in Oberschlema bis an die Tagesoberfläche gekommen. Und diese grubennahen Tagebaue - Tagebaue (lacht) - diese grubennahen, diese tagenahen Grubenbaue, tage nahe Grubenbaue, die mussten (...) ausstaffiert werden. Die mussten mit Beton ausgegossen werden, die mussten gesichert werden. Das sind so die untersten, das nennt man in der Wismutsprache auch, das war eine unmittelbare Gefahrenabwehr. Ein Schacht darf nicht nachstürzen. Eine Halde darf nicht nachrutschen. Das war immer der Schritt Nummer Eins. Der Schritt Nummer Zwei war dann die kosmetische Sanierung. Also nicht nur die Halde breit machen, sondern wie kann man sie denn jetzt gestalten. Wollen wir da hübsche Buschwerk oder Bäume anpflanzen? Wollen wir da einen Golfplatz drauf machen oder wollen wir dort eine Kurparkanlage, wollen wir dort Wanderwege anlegen? Das war dann der nächste Schritt, der gemacht wurde. Und der dritte Schritt, der auch mit beachtet werden musste, ist, wie kann denn eine sinnvolle, auch wirtschaftliche Nutzung der Flächen erfolgen? Denn alles zum Beispiel an Haldenmaterial oder Haldenlandschaft jetzt als unproduktives Gelände mitten in einer dicht besiedelten Region liegen zu lassen, das geht auch nicht. Also muss man überlegen, welche Nachnutzung gibt es denn da? Golf bietet eine sportliche Nutzung zum Beispiel. Wanderwege eine Freizeitmöglich / eine Nutzung über Freizeitaktivitäten. Oder der Kurpark, der ein Teil der Kuranlagen dann geworden ist. Also musste man auch eine wirtschaftliche Nutzung im Hinterkopf haben. Gefahrenabwehr, kosmetische - ja Kosmetisierung (sic!) - die kosmetische Gestaltung des Ganzen und eine langfristige Nachnutzung sind für mich die drei großen Schritte, die seit 30 Jahren hier in der Region gemacht wurden. #02:33:33-1#
Astrid Kirchhof: Ich hab eine Frage zur Rolle der SED. Sie ham doch vorher, als Sie über den Staat im Staat gesprochen haben, sehr deutlich gemacht, wie abhängig die Wismut von der sowjetischen Politik eigentlich gewesen ist. Hätte denn die SED irgendetwas anders machen können, als was sie gemacht hat im Lauf der Jahrzehnte? #02:33:55-2#
Oliver Titzmann: Die Frage stellt sich vielleicht, warum hätte sie denn etwas anders machen sollen? Also ich / die Frage stellt sich insofern nicht, da es aus meiner Sicht keinen Grund aus Sicht der SED gegeben hätte irgendetwas an der Lage zu ändern. Denn die Wismut hat ja eins verwirklicht, was der SED sehr wichtig war, auf diesem Gebiet mit der Sowjetunion eng zusammen arbeiten zu können. Das war der DDR wichtig, von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen. Eine enge gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche Kooperation war angestrebt, war Staatsdoktrin auch in der DDR. Und die Wismut war ein Vorzeigebeispiel für eine gelungene Deutsch-Sowjetische Zusammenarbeit. Nirgendwo hat die Deutsch-Sowjetische Freundschaft mehr Früchte und größere Früchte getragen, als in der Wismut. Das ist fast wie aus so 'nem alten DDR-Buch, ne, was ich Ihnen grad gesagt habe. Das heißt, die DDR-Genossen waren sogar sehr stolz darauf, auf die Wismut und auf die Funktionsweise der Wismut. Denn hier - das ist wirklich so 'n Propagandasatz, den ich Ihnen sage - denn hier findet sich gelebte Deutsch-Sowjetische Freundschaft! Ja. #02:35:09-5#
Astrid Kirchhof: Galt die Wismut für die Wismut-Arbeiter oder für die SED auch als (...) Inbegriff, Sinnbild von Modernität? #02:35:19-9#
Oliver Titzmann: (...) Schwer zu beantworten, weil die DDR war ja ein Sinnbild für alles was unmodern war. DDR galt als überlebt, unmodern, abgewirtschaftet. Die Wismut war insofern 'ne Ausnahme, da die Wismut-Technologie über dem Standard der DDR lag und nicht abgewirtschaftet wurde. Also die Wismut wurde 1989 / war nicht in einem abgewirtschafteten Zustand wie das Gros der DDR-Betriebe. Und somit war die Wismut vielleicht (...) Vorzeigeobjekt kann man nicht sagen, weil wem wollte man die Wismut denn vorzeigen? War ja nicht ein Objekt, das man / ja wo man sagen konnte, kommt rein und schaut euch an, wie sowas auch funktionieren konnte. In die Wismut durfte überhaupt niemand rein, der nichts hier zu suchen hatte. Und ja sie war am Ende der DDR weit über dem Standard der DDR und war auch was die Technologie betraf, schon das Beste was der Osten zu bieten hatte. So ist meine Erfahrung beziehungsweise mein Blickwinkel. #02:36:21-1#
Astrid Kirchhof: Nochmal zu der Frage, ob die SED überhaupt was anders hätte machen wollen. Uran an die UdSSR zu liefern war ja Teil der Reparationszahlungen, nein? Dann ... #02:36:36-7#
Oliver Titzmann: ... Teil, teil, teil. Bis Dezember 53 [1953] ja. Ab Januar 54 [1954] nein. Da war das / die Uranlieferung der DDR über die SDAG Wismut, die dann entstanden ist, in die Sowjetunion war einfach eine Möglichkeit, um aus der Sowjetunion Rohstoffe kaufen zu können. Über das Uran wurde zum Beispiel der Einkauf von Erdgas und Erdöl abgerechnet. Die DDR hat ihr Erdöl und ihr Erdgas von der Sowjetunion bezogen. Mit was hat sie das verrechnet? Mit dem Uran. Und dafür gab es einen Verrechnungssatz, der alle paar Jahre modernisiert, geändert und angepasst wurde. Aber für die DDR war die Lieferung des Urans in die Sowjetunion ab 1954 überlebenswichtig. Und die DDR hat mit zunehmendem Gruseln gesehen in den 80er Jahren, wie die Sowjetunion sich sukzessive aus der SDAG Wismut zurück gezogen hat. Und am Ende 1991 hat die Sowjetunion (...) nichts mehr gekauft. Die war also kein Abnehmer mehr für den Uranbergbau. Das war der Grund für die Schließung des Bergwerks. Die Sowjetunion wollte kein Uran mehr. #02:37:52-3#
Astrid Kirchhof: Und der Grund dafür war die Groß / die politische Großwetterlage ... #02:37:56-4#
Oliver Titzmann: Natürlich ja. #02:37:56-4#
Astrid Kirchhof: ... und der Abrüstung und ... #02:37:59-9#
Oliver Titzmann: Ja, genau. Das wird in dem Zusammenhang gerne ausgeblendet. Wenn man über das Ende der Wismut spricht, dann sagt man meistens, irgendwie war die Zeit vorbei oder das war marode oder sonst was. Aber die Antworten kann man nur finden, wenn man sich die weltpolitische Großwetterlage anschaut und die Zeichen der Zeit haben sich Mitte der 80er Jahre um 180 Grad gedreht. Bis etwa Mitte der 80er Jahre wurde gerüstet und gerüstet und gerüstet und gerüstet. Ab Mitte der 80er Jahre - eigentlich Beginn der 80er Jahre - war / mit Gorbatschow, begann das Gegenteil. Nämlich abrüsten, und zwar ein gegenseitiges Abrüsten. Und jetzt war einfach die Menge an gefördertem Uran nicht notwendig. Nicht mal mehr als strategische Reserve. Wir wissen heute, dass etwa 90 Prozent des gesamten geförderten Urans heute noch auf Halde in Russland liegt. Als strategische Reserve. Das ist nie verarbeitet worden. Das Uran ist nie zu hundert Prozent zum Beispiel in Atomkraftwerke gewandert oder in Kernkraftwerke, sondern nur ein kleiner Teil des Urans, das hier produziert wurde, ist je in der Sowjetunion verarbeitet worden. Der größte Teil, weitaus größte Teil liegt heute noch als eine Uranreserve. Und irgendwann hat die Sowjetunion das auch gar nicht mehr gebraucht. Denn wenn abgerüstet wird und Atomkraft sowieso im weltweiten Maßstab in Frage gestellt wird - nicht explizit für den Osten, der weiter hin Atomkraftwerke gebaut hätte, da bin ich mir ganz sicher, der diese Frage nicht aufgegriffen hätte - aber für die große Zeit der Uranproduktion war Mitte der 80er Jahre schon überschritten gewesen. Und zwar hat sich die Frage gestellt, was tun wir denn eigentlich hier? Uran ist ja heute noch vorhanden. Würde jemand sagen, wir brauchen dringend Uran, könnte hier bei uns der Uranbergbau mit großen Schwierigkeiten wieder aufgenommen werden. Denn Uran liegt heute noch hier. Das Uranlager hier in unserer Region ist nicht vollständig abgebaut worden. Es ist noch zu einem Teil in großer Tiefe, ab zwei Kilometer Tiefe muss man dann schon gehen, ist Uran noch vorhanden. Es wurde also eingestellt, der Uranbergbau ist nicht beendet worden, weil die Lagerstätte erschöpft war, sondern weil es keine Notwendigkeit mehr gab, Uran überhaupt noch herzustellen, zu produzieren, zu verarbeiten, auf Halde zu lagern. #02:40:24-5#
Astrid Kirchhof: Sie haben vorher gesagt, dass ja, ich glaube ab den 60er Jahren der Bergbaubetrieb eingestellt wurde, aber da wurde ja noch aufgerüstet. #02:40:33-3#
Oliver Titzmann: Genau. Aber der Bedarf in den / im gesamten Ostblock ist in den 50er Jahren am größten gewesen. In den 60er Jahren ist der Bedarf schon geringer geworden, in den 70er Jahren auch. Und man muss 'ne zweite Sache mit beachten, die Uranlagerstätte wird ja abgebaut. Und so konnte man sehen, wie die Schächte langsam im Tal abwärts gewandert sind. Also ein Schacht nach dem anderen wurde Anfang der 50er Jahre in Oberschlema geschlossen, ist weiter in Richtung Ortsteil - damals noch ein Stadtteil - Niederschlema gewandert. Und dann sind sukzessive die ganzen Schächte immer mehr geschlossen worden und dann zog sich der Uranbergbau runter in das Muldetal und ist mit den letzten großen Großschächten dort verblieben. Aber die Menge an Uran ist dadurch gar nicht mehr produziert worden. Die Uran / die größte Uranmenge ist in den 50er Jahren produziert worden. Dann sukzessive zurück gefahren worden, weil die Lagerstätte in den leicht zugänglichen Bereichen abgebaut war. Das muss ich mal kurz an der Armhaltung zeigen. Die Lagerstätte verläuft so. Hier begann man mit dem Uranbergbau in den 40er Jahren und hat sich dann / hat die Lagerstätte so abgebaut. In den 60er Jahren war man hier und in den 80er Jahren war man auf etwa zwei Kilometer Tiefe schon angelangt. Und der Rest hier unten ist heute noch vorhanden. Die Uranlagerstätte streckt sich weiter hier runter und ist bis hier oben hin abgebaut worden. Und so haben sich die Schächte zurück gezogen. Alles was hier nicht mehr in die Lagerstätte hinein gepasst hat, wurde dann abgeworfen und nur noch über die letzten Großschächte ist man dann über Blindschächte bis auf zwei Kilometer Tiefe in den Rest der Uranlagerstätte runter gekommen. Und damit war 1991 Schluss. #02:42:19-1#
Astrid Kirchhof: Wenn Sie sagen, das wurde nicht mehr so gebraucht, meinen Sie die zivile oder die militärische Nutzung des Urans? #02:42:25-7#
Oliver Titzmann: Die militärische. Die militärische. Das Uran ist ja in erster Linie auch propagandistisch für die militärische Nutzung produziert worden. In der DDR gab es zum Beispiel nie ein Propagandaplakat auf dem ein Atomkraftwerk zu sehen war: Wir produzieren Uran für die Atomenergie. Das ist weder mal geäußert worden, noch gibt es einen Spruch, noch wurde es in irgendeinen Zusammenhang gebracht. Sondern die Uranproduktion in der DDR wurde ausschließlich damit gerechtfertigt, dass man das Uran für Atomwaffen braucht. Das Wort Atomwaffe hat aber niemand gesagt, weil das klingt bedrohlich. Also hat man das Ganze in einen Euphemismus gesteckt und hat gesagt, wir produzieren Uran für den Frieden, hat bewusst den ganzen Zwischenschritt weg gelassen. Nee, aus dem Uran, das erst angereichert wird, produzieren wir Waffen, die aus unserer Sicht den Frieden schützen. Den Bereich nehm ich raus, schieb den Rest ran und sage, wir produzieren Uran für den - unserer Meinung nach - Frieden der Welt. Also nicht für die Atomkraftwerke, sondern für den Frieden der Welt. Für - jeder wusste es, keiner hat 's ausgesprochen - für Atomwaffen. #02:43:36-4#
Astrid Kirchhof: Ist das Uran der DDR auch ins Kernkraftwerk ähm Rheinsberg zum Beispiel gegangen oder Greifswald? #02:43:45-1#
Oliver Titzmann: Das vermute ich. Ich weiß es aber nicht. Woher sonst? Ich weiß es aber wirklich nicht. #02:43:51-1#
Astrid Kirchhof: Und ähm wenn Sie sagen, Atom hat sich immer so bisschen bedrohlich angehört, ist das der Grund warum man in der DDR von Kernkraftwerk gesprochen hat und nicht von Atomkraftwerk? #02:44:05-7#
Oliver Titzmann: Das Wort Atom ist ja in den 50er Jahren fast zu einem Allheilmittel erklärt worden: Mit Atom werden wir demnächst unsere Wohnungen heizen! Mit Atom werden wir umher fliegen, haben Atomreaktoren hinten in unseren Autos drin, was weiß ich! Also Atom wird die Energiequelle der Zukunft sein. Das war in den 50er Jahren allgemein üblich und hat sich in den 60er Jahren erst langsam verändert. Aber das Wort Uran und Atom ist auch immer in Verbindung mit Kernwaffen gebracht worden. Also mit Atomwaffen. Und man hat in Hiroshima und Nagasaki ja weniger von einer Kernwaffenexplosion (unv.), sondern nur von Atombomben gesprochen. Und das war, ob man im Osten oder Westen gelebt hat, war Hiroshima und Nagasaki, das waren immer solche Menetekel. Egal ob man das Menetekel aus US-Amerikanischer Hinsicht oder Sichtweise zumindest begründen kann, warum der Abwurf auf Hiroshima militärisch einfach 'ne Notwendigkeit war. Das kann man begründen, aber es ist trotzdem auch in der westlichen Welt ein Menetekel. In der östlichen Welt war das eine Katastrophe für die Menschheit gewesen, und Zeichen eben dieses menschenfeindlichen US-Amerikanischen Imperialismus, der auf das japanische Volk diese beiden Waffen gewor / die beiden Atombomben / Und in Hiroshima und Nagasaki hat man immer das Wort Atombombe gebraucht. Somit war das Wort vorbelastet, auch moralisch vorbelastet. Und zu einem Anderen hat man nie hier in unserer Region in den 50ern und 60ern und 70er Jahren vom Uranbergbau gesprochen, sondern ausschließlich vom Erzbergbau. So heißt auch der Slogan \"Erz für den Frieden!\". Das Wort Uranbergbau kommt erst in den 80er Jahren auf. Dort wagt man zum ersten Mal hier in der DDR in der Öffentlichkeit vom Uran zu sprechen. Vorher wurde das immer wieder fast in den Euphemismus gebracht, es ist ja nur Erz, Kobalt oder Nickel oder Silber oder Wismut und Erz wie alle anderen. Wir haben ja den Erzbergbau. Erst in den 80er Jahren spricht man dezidiert vom Uranbergbau. Bis dahin ist das Wort verpönt. Uran wird zu schnell in Verbindung mit Atomwaffen gebracht. Und Atom und Uran sind in den 80er Jahren schon Worte, die zunehmend negativ besetzt sind. #02:46:23-1#
Astrid Kirchhof: Sie wissen ja, dass / also wir haben ja in Westdeutschland in der Bundesrepublik Atomkraftwerke und die jetzt abgeschaltet werden ... #02:46:32-8#
Oliver Titzmann: Ja. #02:46:32-8#
Astrid Kirchhof: ... endgültig. Aber in den letzten 30 Jahren liefen die ja noch. #02:46:39-5#
Oliver Titzmann: Ja. #02:46:39-5#
Astrid Kirchhof: Zumindest einige. Warum wurde / wissen Sie zufällig warum das Uran, das für die Brennstäbe gebraucht wird, importiert wurde, statt sie zu nutzen eben aus den Uranbergwerken der DDR, also der ja der ehemaligen DDR? #02:46:56-5#
Oliver Titzmann: Sie meinen jetzt aber die Bundesrepublik Deutschland, die alte noch vor 1990? #02:47:03-3#
Astrid Kirchhof: Nee, ich mein danach. Warum hat man ... #02:47:04-0#
Oliver Titzmann: danach? #02:47:04-0#
Astrid Kirchhof: ... nicht das genommen, das Uran, das dann im vereinten Deutschland da war? #02:47:09-0#
Oliver Titzmann: Die DDR hat kein Uran gelagert. Es gab also keine Lagerstätten bei uns. Sondern das gesamte Uran, das in der DDR abgebaut wurde, wurde sofort in die Sowjetunion verbracht. Nun ist nur eine Frage offen, die ich Ihnen nicht beantworten kann: Wie groß ist die Menge geblieben, die in Rheinsberg zum Beispiel gebraucht wurde, in einem DDR-Kernkraftwerk. Denn ich nehm mal an, dass über die Sowjetunion nicht Erz zurück gekommen ist, sondern sicherlich ist aus der Uranproduktion der DDR auch ein Quantum nach Rheinsberg gebracht worden. Das vermute ich, das weiß ich wirklich nicht. Aber Sie dürfen nicht denken, dass 1990 in der DDR große Uranberge lagen, sondern das lag alles in der Sowjetunion. Somit konnte das vereinte Deutschland zum Beispiel gar nicht auf die Uranreserven zurück greifen, weil es gar keine gab in der DDR. Zumindest nur marginale Reserven. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass größere Bestände aufbereitenden Urans in der DDR schon bereit lagen zur Nutzung im Kernkraftwerk. Da hat man das einfach nach Brunsbüttel gebracht zum Beispiel und hat es dann dort verarbeitet. Also ich glaube dieser Schritt ist gar nicht möglich gewesen, weil 's diese Lager gar nicht gab. #02:48:13-2#
Astrid Kirchhof: Aber hätte man nicht einfach weiter abbauen können und diese Reserven anhäufen? #02:48:20-1#
Oliver Titzmann: Nein, hätte man nicht können, weil der Abbau war schon ab den 70er Jahren unwirtschaftlich und wurde bezuschusst. Also die Wismut war ein Zuschussbetrieb gewesen. Die hat mehr Geld verbraucht, als das Uran noch Nutzen gebracht hat. Auch in den ganzen 80er Jahren ist mit jedem Jahr die Unwirtschaftlichkeit des Uranbergbaubetriebes hier gestiegen. So war der Ausstieg 1991 der Sowjetunion in starkem Maße nicht nur weltpolitisch - wie man das immer gerne begründet - gewesen, sondern auch unwirtschaftlich. Also wirtschaftlich nicht mehr möglich. Oder anders gesagt. Die Bundesrepublik Deutschland hätte 1991 auf dem Weltmarkt Uran zu einem Zehntel des Preises kaufen können, wie die Förderkosten für das Uran im eigenen Land gebracht hätten. Also es ist einfacher auf dem Weltmarktpreis Uran einzukaufen, als selbst zu fördern. Das mein ich mit dem unwirtschaftlich. Wer auf zwei Kilometer Tiefe gehen muss, findet dort geologische Bedingungen, die einen Abbau nahezu zum Erliegen bringen. Vielleicht für den Laien mal nur eine Sache, die Gesteinstemperatur in zwei Kilometer Tiefe beträgt 67 Grad Celsius. Dort unten kann kein Mensch arbeiten in dieser Tiefe. Er würde sofort einen Hitzschlag bekommen. Also muss das gesamte Grubengebäude, das hunderte Kilometer Streckennetz hat, künstlich bewettert werden. Bewettert heißt, belüftet werden. Da wird also Kaltluft von Übertage hinein gesaugt, über ein kompliziertes Bewetterungssystem vor Ort gebracht und das / die warmen Wetter, belasteten Wetter werden an anderer Stelle wieder heraus gebracht. Alleine die Energie, die ein einziger Großschacht 1990 verbraucht hat, war genau die Energie, die die Kreisstadt Aue mit 25tausend Einwohnern verbraucht hat. Ein Großschacht hat so viel Energie verbraucht, wie eine gesamte Kreisstadt in der DDR. Das war ein völlig unwirtschaftlicher Uranbergbau, der am Ende vor allem auch in einer Zeit der (...) ja ab 1990 befinden wir uns mit vollem Schlag in der Marktwirtschaft, der marktwirtschaftlich vollkommener Unsinn gewesen wäre. Somit musste der Uranbergbau aus vielen Gründen, auch aus wirtschaftlicher Sicht selbstverständlich so schnell wie möglich eingestellt werden. #02:50:54-7#
Astrid Kirchhof: Sie haben jetzt immer mal wieder über die Sowjetunion und die Rolle der Sowjetunion gesprochen - hatten Sie selber oder kannten Leute, die engere Freundschaften hatten zu sowjetischen Mitarbeitern der Wismut, die hier waren in der DDR? #02:51:18-5#
Oliver Titzmann: Diese Verbindungen gab es in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin - und ich sprech jetzt von den 70er, 80er Jahren - nicht. Diese Verbindungen gab es vorher. Das heißt in den 40er und 50er Jahren. Als der Bergbau wieder losging waren die Verbindungen noch weitaus enger zwischen den deutschen Arbeitern, der deutschen Zivilbevölkerung und der sowjetischen Besatzungsmacht. Auch wenn damals schon die sowjetischen Soldaten in Kasernen autark und von der Öffentlichkeit isoliert untergebracht wurden, gab es aber im Uranbergbau selbst eine ganze starke Vernetzung zwischen den deutschen Arbeitern und einer sowjetischen Verwaltung. Die Sowjets haben den Bergbau verwaltet und gesichert und die Deutschen haben gearbeitet. So begann das in den 40er Jahren. Und zunehmend gab es dort auch einfach Verbindungen, die über die Arbeitswelt entstanden sind. Also zum Beispiel wenn ein deutscher Steiger im Uranbergwerk mit einem sowjetischen Geologen oder Markscheider zusammen arbeitet, dann haben beide zusammen einen Arbeitsauftrag, und der lautet: Wir müssen so schnell wie möglich das Uran raus holen. Und beide arbeiten dafür oder wie man damals gesagt hat, kämpfen auch dafür. Der deutsche Steiger und der sowjetische Markscheider, der untertage den Fortgang der Uranader misst, der deutsche Steiger plant das Ganze, der deutsche Hauer bricht das Erz heraus. So war die Arbeitsteilung. Dass bei einem solchen Zusammenarbeiten auch durchaus Freundschaften entstanden sind, ist unbestritten. Und das hat es in den 40er und 50er Jahren auch gegeben. Nach der Schicht hat sich der deutsche Steiger dann auch mit dem sowjetischen Markscheider, die hier alle zusammen gelebt haben, zwar auch getrennte in Wohnhäusern, aber die haben sich dann auch getroffen in irgendeinem Kulturhaus oder auch privat. Und haben dann abends zusammen einen gehoben. Und so gab es auch eine gelebte Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die insofern auch spannend ist - und das wird in dem Film Sonnensucher an einer Stelle mal sogar angedeutet, wenn man sich die Biografien der beiden anschaut, dann war der deutsche Steiger zum Beispiel vorher Soldat der deutschen Wehrmacht und hat vier Jahre in der Sowjetunion gekämpft. Der hätte also den sowjetischen Markscheider, der in dieser Zeit Offizier der Roten Armee war, töten müssen und umgedreht. Aber mit dem Ende des Krieges ist die Sowjetunion Besatzungsmacht, die Deutschen können hier nur noch die Heloten hier sein, um überleben zu wollen. Und auf einmal arbeiten diejenigen, die vor zwei, drei Jahren sich im Krieg noch hätten töten müssen, zusammen in einer neuen großen gestellten Aufgabe. Das ist schon biografisch total spannend, finde ich. Und in dem Film „Sonnensucher“ kommt das mal ganz kurz zutage. (unv.) da wird mal angedeutet, dass eben einer von diesen Bergarbeitern in der Sowjetunion Soldat war und der andere war dort Offizier. Also diesen Spannungsbogen, der wird schon mal gesetzt in dem Film, ohne ihn auszuloten. Das ist auch kreuzgefährlich sowas damals zu thematisieren. Über solche Sachen hat man auch gerne geschwiegen. Ein alter Wismuter hat mir mal erzählt - das ist sogar ein ganz prominenter Wismuter - der hat in der Brigade zusammen gearbeitet als junger Mann und da hat der Brigadier gesagt, es ist schon spannend wie unser Leben ist. Heute bin ich der Leiter der Ortsgruppe hier, der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft - als Brigadier ne - und ich war bis 45 [1945] Maschinengewehrschütze an der Ostfront. Damals hab ich also Russen gemäht, hat er gesagt - also mit Maschinengewehr getötet - damals hab ich Russen gemäht und heute bin ich der Chef der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Das ist zum Beispiel so ein Zitat, das mir in Erinnerung geblieben ist. Also unglaublich spannend, die gebrochenen Biografien der Männer, die hier zusammen gearbeitet haben. Diese Freundschaften hat es sicherlich partiell gegeben. Trotzdem waren die Sowjets isoliert und wurden immer weiter isoliert. Und als ich Kind war gab es hier ein sowjetisches Viertel, da gab es einen russischen Klub, da gab es ein sowjetisches Kaufhaus. Russenmagazin haben wir das genannt. Dort sind die sowjetischen Staatsbürger einkaufen gegangen. Und zu Feiertagen, zum Beispiel am 8. Mai oder am 7. Oktober, dort gab es dann Delegationen von Deutschen und Sowjets, die haben sich im Kulturhaus getroffen, Blumen überreicht, Hände geschüttelt und damit war der Kontakt wieder beendet. Es war (...) dort keine Verbindung, die ich jemals erlebt habe. Also muss man auch hier wieder anschauen, reden wir jetzt über die 40er, 50er, 60er Jahre, über die 70er, 80er Jahre. Da hat sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen schon ganz schön geändert. Aus meiner Sicht war es in den letzten Jahrzehnten schon sehr unpersönlich gewesen, weil auch die sowjetische Besatzungsmacht hier keine mehr war. Die Sowjets haben sich ja zunehmend aus dem ganzen Uranbergbaugebiet zurück gezogen und es gab auch keine, keine, keine, keinen sowjetischen Alltag mehr bei uns. Da war nur noch so 'ne Folie gewesen. Und selbst das Russenmagazin und der sowjetische Klub in Aue zum Beispiel oder die Häuser, in denen sowjetische Staatsbürger - wir haben natürlich Russen gesagt, ne - gelebt haben, das für uns immer so was etwas Fernes, auch Surreales. Es war also kein gelebter Alltag, denen ist im Grunde genommen nicht begegnet. Während in den 50er Jahren und in den 40er Jahren die Sowjets das Straßenbild hier geprägt haben, mit ihren Autos, mit ihren Uniformen, waren sie ein wesentliches Element des Uranbergbaugebietes. Und in den 70er, 80er Jahren waren sie für mich unsichtbar. So hat sich das gewandelt. #02:56:50-7#
Astrid Kirchhof: Wir haben immer wieder gehört, dass die Kontakte zwischen der Besatzungsmacht oder den Sowjets und den Deutschen in der DDR oder in de SBZ zuerst, nicht gewünscht waren. #02:57:04-6#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #02:57:05-6#
Astrid Kirchhof: Kann das sein, wenn man hochblickt zur, zum großen Bruder oder wie auch immer das genannt / also wenn man da ja auch dankbar ja zum Teil war, dass es die auch gab. #02:57:17-7#
Oliver Titzmann: Ich denk das hat was mit der / damit zu tun, dass es diese gelebte Deutsch-Sowjetische Freundschaft nie gegeben hat, nicht wirklich, vielleicht aus Kulturunterschieden heraus. Offiziell war das zwar ein Credo, das zu leben und die Verbindung auf Plakaten und bei Veranstaltungen immer wieder zu manifestieren, aber es war kein Alltag. Es gab also kein gelebtes Alltagsleben zwischen Deutschen und Sowjets hier. Ich denke die Sowjets haben bis zum Schluss uns Deutschen gegenüber ein ständiges latentes Misstrauen. Ich denke das ist nicht falsch das zu sagen. So ganz trauen wir den Deutschen nicht so. Die Deutschen sind schon irgendwie noch bisschen anders. Sie sind auch vielleicht nicht die wahren Freunde, denn wenn die Deutschen mal unter sich sind und dann reden die, die Russen. Sollen die / reden die dann offiziell miteinander, da sind 's die Freunde. Und nur wenn die jetzt mit uns was zu tun haben, dann sind 's die Sowjets. Also alleine wie sie die Begriffe gebrauchen, die Deutschen. Beim Bier untereinander sind 's die Russen. Müssen die offiziell miteinander was zu tun haben die Deutschen sind 's die Freunde. Und sonst sind 's die sowjetischen Staatsbürger. Also alleine schon diese Klassifizierung der Begriffe zeigt, dass das Verhältnis von beiden Seiten von einem ständigen Misstrauen geprägt war. Und ich denke auch, dass die DDR-Bürger nie ein (...) ein un / ja ein ungetrübtes Verhältnis zu sowjetischen Staatsbürgern aufbauen konnten. Dazu sind in der Familiengeschichte der Deutschen zu sehr auch die Verbindungen noch aus der Kriegszeit da. Wo dann der Großvater noch erzählt hat, dass er an der Ostfront gekämpft hat. Die Russen, die primitiven Russen, die zu Hauf gegen die deutsche Front gestürmt sind und man die abgemäht hat ohne Ende. Der Untermensch, den man als solchen nicht bezeichnen darf, aber irgendwo ist es immer der primitive rückständige Russe aus der Steppe, der gar nicht so zivilisiert war, wie eigentlich der kulturvolle Deutsche. Ich denke dieses Denken war unterschwellig noch massiv vorhanden gewesen. In den 50er und 60er Jahren von diesem \"wir haben zwar den Krieg verloren, aber trotzdem sind wir kulturell denen überlegen\", das hat's / das ist nie rausgekommen. Ich glaub diese gewisse Arroganz den Russen gegenüber, die ist auch in den 50er, 60er, 70er Jahren immer da gewesen. Vielleicht wussten die Sowjets das auch und haben deswegen den Deutschen gegenüber dieses latente Misstrauen immer aufrecht erhalten. Vielleicht waren auch die Kulturunterschiede zu groß, vielleicht auch die Sprachbarriere. Denn wir haben zwar Russisch gelernt, in der DDR konnten wir es aber aktiv nie einsetzen. Wir hatten immer Brieffreundschaften und haben dann immer standardisierte Briefe geschrieben und nach dem fünften Brief ist alles eingeschlafen. Auch irgendwelcher Austausch von Brigaden und ein Hin und Her, das war alles nur an der Oberfläche, das ist nie in der Tiefe gelebt worden. Weil wir Deutschen einfach eine stärkere Verbindung Richtung Westen spüren, als in Richtung Osten. Das hat sicherlich mit der Vergangenheit zu tun, viel auch mit der Vertriebenengeschichte. Das steckt schon tief drin. Fragen Sie heute mal Deutsche. Deutsche sind viel näher Holländern, Franzosen, Italienern als Tschechen, Polen, Russen. Die Grenze in Richtung Westen empfinde ich auch heute noch in Richtung Süden fließend. Franzosen, Italiener sind uns doch Deutschen als Polen. Der Unterschied ist krass, finde ich, auch heute noch. Wir machen herrlich schön Austausch mit Schulen, mit französischen, mit amerikanischen, mit englischen Schulen. Wir fahren nach London und nach Paris. Fahren unsere Kinder nach Smolensk? Nach Minsk? Nach Leningrad, nach Moskau, nach Novosibirsk, nach Wolgograd? Wir haben den kulturellen Austausch nicht. Wir Deutschen, wir gucken in Richtung Westen, wir schauen nicht Richtung Osten. Ich denke - um das mal zusammen zu fassen - der Osten ist auch in der Zeit der DDR immer fremd geblieben. Es gab nicht diese große sozialistische Brüderverschmelzung, die offiziell angestrebt und propagiert wurde, sondern es gab in den Familien, in den Menschen drin, bis auf Ausnahmen, immer noch die große Trennung in West und Ost. Auch was Sprache, Kultur und Menschenbild betrifft. Ich hoffe, ich bin jetzt zu breit (lacht) aus / hab nicht zu breit ausgeholt. #03:01:41-2#
Astrid Kirchhof: Gar nicht. Ich find das sehr interessant. Ich denke von der Sowjetunion ausgehend kommt das Misstrauen natürlich auch daher, durch die hohen Kriegsverluste, ... #03:01:52-7#
Oliver Titzmann: Ja. Na klar. #03:01:53-1#
Astrid Kirchhof: ... die die Deutschen ihnen zugefügt haben. Und es ist sicherlich eine schwere Hypothek gewesen, die es in der Bundesrepublik nicht gab, den Amerikanern gegenüber. #03:02:02-6#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) ja. #03:02:02-6#
Astrid Kirchhof: Aber Sie haben auch recht, denk ich, Amerika überzieht mit Jeans und Coca Cola und weiß ich nicht, Hollywood die ganze Welt. Und das hat auch ... #03:02:15-1#
Oliver Titzmann: auf jeden Fall. #03:02:15-1#
Astrid Kirchhof: ... viel damit zu tun, also ich hatte auch zwei Kinder, zwei Söhne. Ich seh das ja, was, was, was sie annehmen / es gibt auch 'ne ganz ganz große Amerika-Ablehnung, gab 's auch in der Bundesrepublik, auch grad unter Linken. #03:02:33-8#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #03:02:33-8#
Astrid Kirchhof: Und unter Rechten. Also Rechts und Links war immer Amerika feindlich. Ich seh das an meinem älteren Sohn, wie (...) USA feindlich er eigentlich ist. Obwohl ich ihn eher unt / als Grünen, sag ich mal, einschätzen würde, seit dem er wählen kann, ist da / und mit Trump ist da / aber das ist / geht tiefer, hab ich das Gefühl. #03:03:00-3#
Oliver Titzmann: Ja. #03:03:00-3#
Astrid Kirchhof: Das ist / hat nicht nur / und wenn wir uns st / also ich streit mich manchmal mit ihm, weil ich behaupte, diese USA-Feindlichkeit hat nicht nur mit Trump begonnen. Aber er macht das immer an Trump fest. Ich will ... #03:03:12-1#
Oliver Titzmann: Nee, nee, die war schon ... #03:03:12-1#
Astrid Kirchhof: ... aber einfach nur sagen, das gibt es auch, also dass Amerika uns überzieht mit / also wir absorbieren die Kultur ... #03:03:22-3#
Oliver Titzmann: Ja. #03:03:22-3#
Astrid Kirchhof: ... und gleichzeitig wird aber das als Hoheit, die uns zudeckt mit ihrer Präsenz auch abgelehnt, hab ich so den Eindruck. Also das ist / und Sie haben aber völlig recht, Richtung Osten das wird eigentlich überhaupt nicht ähm wie soll ich sagen. Also das wird gar nicht absorbiert. Oder keine Ahnung. Es kommen auch viel weniger Nachrichten dazu, finde ich so. Ja also es ist, genau. Ja. Also seh ich auch so. Ich hab 'ne Frage zum Themenkomplex Identität, da sind wir ja eigentlich jetzt schon die ganze Zeit zufällig hinein gerutscht. Was ist eigentlich Identität. Die Bergmänner, mit denen ich gesprochen hab, identifizieren sich ganz stark mit der Wismut. Jenseits dessen als es auch so kritisiert wurde und so abgerutscht ist in seinem Ansehen. Oder wenn ich gefragt hab: Wie sehen Sie sich? Als Europäer, als Deutscher, als m m m. Nee, das ist regional. Also als ... #03:04:33-3#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #03:04:33-3#
Astrid Kirchhof: ... Mensch aus 'm Erzgebirge zum Beispiel. Gar nicht mal als Deutscher so, das fand ich auch ganz interessant. Wie würden Sie sagen ist die / oder eine Sache war auch manchmal / ich frag auch: Was war Ihre schönste Zeit? Und dann kommt immer vor 89 [1989], also obwohl die Leute, mit denen ich gesprochen habe, hab ich ja schon gesagt, auch die / ja 30 Jahre danach, es ging ihnen gut. Also die haben den Anschluss gut geschafft an den Systemwechsel. Trotzdem sagen die Bergmänner jedenfalls, es ist die Zeit davor, wo sie noch aktiv für die Wismut ge / also untertage zum Beispiel gearbeitet haben. Wie würden Sie diese Gemengelage von Identität und Wismut und Bergbau und Region einschätzen? #03:05:24-2#
Oliver Titzmann: Hmm, das ist nicht einfach. Ich denke aber, dass die Menschen, die hier leben, sehr stark regional geprägt sind. Also wenn man hier die Menschen fragt, verorten die sich schon sehr stark als Erzgebirger. Weil man mit dem Begriff des Erzgebirges was anfangen kann. Der ist also nicht mehr determiniert, wie vor einigen Jahren, dass die Frauen klöppeln und die Männer schnitzen und / oder im Bergwerk arbeiten. Sondern es wird auch so 'ne gewisse Eigenständigkeit, auch ein eigenbrötlerischer Charakter, den die Erzgebirger durchaus haben, mit dem kann man sich gut identifizieren. Weil er auch als positiv wahrgenommen wird. Stolz ist man auf die Tradition, auf (...) auf erzgebirgische Folklore, auf den Fußballverein, der in der Zweiten Bundesliga spielt und deutschlandweit damit auch das Erzgebirge bekannt macht. Das heißt, die regionale Verortung und Identifizierung ist hier im Erzgebirge sehr sehr stark ausgeprägt. Und so ist die Antwort nicht überraschend, die Ihnen manche geben, die sagen, also ich fühle mich von meiner Identität her als Erzgebirger. Das geht auch deswegen ganz gut, weil man dann relativ schnell Grenzen ziehen kann. Das Erzgebirge ist auch territorial eingegrenzt. Und in dem Gebiet da fühl ich mich zu Hause. Da reden die Leute so wie ich und da denken die Leute so wie ich. Und da hat man auch nicht das ganze bundespolitische Gealber, was man ja jeden Tag ertragen muss. Also hier sind wir noch unter uns. Da gibt es eine gewisse Homogenität und da fühlt man sich wohl. Das ist aber ein Prozess, den kann man weltweit beobachten. Immer dann, wenn es eine Globalisierung gibt, versuchen Menschen in einem immer größer werdenden Raum Wände zu finden, an denen sie sich noch abstützen können. Also in einem wachsenden Europa, einem vereinten Europa, in einer globalisierten Welt suchen Menschen Halt. Den Halt findet man immer in der Region. Dort wo man lebt, findet man das Geländer und die Wand an die man sich noch anlehnen kann, wenn alles / der Raum wird immer größer, also suche ich Dinge, an denen ich mich fest halten kann. Und das ist die regionale Verortung. Der Dialekt, die Geschichte, die Bergbauregion, die uns verbindet, die Tradition. Nirgendwo ist es um Weihnachten so schön, wie hier. Den Test kann man machen. Berlin ist langweilig Weihnachten, ist eine wunderschöne Stadt, aber ich möchte in Berlin keinen Weihnachtstag verbringen. Ich möchte ihn auch nicht in München verbringen. Der Erzgebirger muss Weihnachten zu Hause sein, der muss seinen Schwibbogen anmachen, sein Räucherkerzel rein. Und diese Tradition schweißt zusammen und bringt auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das Menschen empfinden. Und sogar den erzgebirgischen Dialekt empfindet man im Gegensatz zur sächsischen Mundart als angenehm. Erzgebirgisch klingt einfach schön, während Sächsisch unschön klingt. So empfinden zum Beispiel Erzgebirger das. Und das hat viel zu tun / die Gemengelage ist also schon sehr vielschichtig, die ein Wiederfinden in der Region mit sich bringt. Wir sind zum Beispiel auch sehr stolz auf das Autokennzeichen ERZ. Das steht dann eben Erz drauf und wenn man irgendwo hinfährt, da weiß man genau: Aha, der kommt aus 'm Erzgebirge, weil er das ERZ dran hat. Das sind so kleine Elemente. Also ganz beliebtes Autokennzeichen hier. Und die zweite Sache war ein bisschen schwieriger. Ach ja genau! Es geht um den Rückblick. Warum gucken Menschen so zurück. Da gibt es für mich zwei Erklärungen. Zum Einen verklären Menschen sowieso immer die Zeit. Das ist eine generelle Sache, die man in jeder Generation findet. Immer die Generation, die zurück schaut findet - obwohl die Zeit schlimm war - im Rückblick die Zeit trotzdem nicht mehr als so schlimm. Die Generation der 20er und 30er Jahre hat sich mit größter Freude an die wilhelminische Zeit zurück erinnert. Als wir noch 'n Kaiser hatten, da war noch der Himmel blau und die Welt war noch in Ordnung. Danach kam das ganze Chaos mit Weimar und so weiter. Also hat die alte Generation immer verklärt in die Kaiserzeit zurück geschaut. Hätte man die gleichen Menschen aber 1905 mal gefragt oder 1910, dann hätten sie geschimpft. Auf den Staat, auf ihr Leben. Aber in der Rückschau sind die Momente über die man sich geärgert hat ausgeblendet und die Verklärung setzt ein. Das geht manchmal soweit, dass man viele Rückschaumomente gar nicht teilen kann. Und ich kenn die auch noch sehr intensiv, wenn die Älteren zurück geschaut haben, und haben gesagt, also beim Hitler war nicht alles schlecht. Da war wirk / ich war da / wir waren damals in der Hitlerjugend, da kann man sagen, was man will, da haben wir was gelernt. Da haben wir wirklich was gelernt. Sportlich und Zucht und Ordnung war da noch gewesen und wir haben viel für 's Leben mitgekriegt. Wo man denkt, wie bitte? Wie kannst du denn das alles ausblenden, das alles drum rum? Das war aber deren Kindheit und Jugend. Und Jugend ist immer schön. Die haben sich in der Hitlerjugendzeit den ersten Kuss gegeben, die hatten die erste Freundin gehabt. Dort beginnt das Leben und das sind die Momente, die auch für die Wismuter in der Rückschau die angenehme Zeit war. Die waren in den 80er Jahren jung, die waren in den 70er Jahren jung und in den 60er Jahren jung. Die sind dort jung gewesen, die haben dort die Musik gehört, die sind dort aufgewachsen. Die ersten Freundschaften, auch die lebenslangen Freundschaften haben sich in der Zeit gebildet. Und das bringt immer die sentimentale Rückschau, denn mit der Zeit des Lebens wachsen die Probleme. Je älter man wird, umso mehr Probleme haben Menschen. Je jünger sie sind, umso weniger Probleme haben sie. Wenn du jung bist, bist du nur für dich verantwortlich. Jeder sagt dir, was du machen musst und du musst gut lernen und du musst einen guten Beruf finden. Ja, lasst mich in Ruhe. Dann komm ich irgendwann rein ins Leben und ich kann mir immer noch meine Freundin aussuchen, ich kann sie wieder raus tun. Ich kann 'ne neue Freundin finden. Ich bin immer noch flexibel und irgendwann wird das Leben starr. Es werden Beziehungsstrukturen, in denen viele Menschen unglücklich sind. Die Eltern werden immer älter, werden immer kränker, werden immer schwieriger. Freundschaften belasten sich dadurch, dass viele Biografien Brüche erleiden. Und dann machen die Kinder Sorgen. Irgendwann, wenn die Leute älter werden, werden die Probleme größer und immer schwieriger zu lösen. In der Rückschau ist das Leben in jungen Jahren immer so schön gewesen, problemlos. Und so verketten sich viele Dinge miteinander. Der sentimentale Rückschau, den man eh sowieso immer hat, der führt auch dazu, dass man eben ein totalitäres System, wie es die DDR war, in der Rückschau als \"ja so schlecht war 's doch nun wirklich auch nicht\". War denn wirklich alles schlecht? Antwort: Nein, es war nicht alles schlecht. Wir hatten noch einen Zusammenhalt, die Leute waren bescheidener. Mein Gott, was haben wir früher gefeiert! Und dann kam eben die Zeit mit der Wende und dann ist alles so egoistisch geworden. Jeder hat nur an sich gedacht. Das hört man immer wieder aus den Gesprächen raus. Das hat mit dem Bergbau insofern aber was damit zu tun, dass Bergmänner - wie Soldaten - ein wichtiges Gefühl haben müssen, sonst können sie untertage nicht bestehen, das heißt Kameradschaft. Der Soldat muss sich auf den anderen Soldaten verlassen können. Man muss in schwierigen Situationen blind handeln können und muss wissen, der andere tut das Richtige. Wenn Bergleute untertage sind, sind sie in einer besonderen gefahrenvollen Welt. Untertage können Fehler tödlich sein. Man muss sich auf den Bergkameraden, auf den Kumpel nebenan verlassen können. So eine Brigade muss funktionieren. Und so entsteht eine Bergmännische Kameradschaft, die auch noch übertage mitgenommen wird und die über die Familien zu einem größeren Verschweißen einer Region führt. Nämlich auch über die Kameradschaft im Bergbau gemeinsam zu arbeiten. Und dieses Gefühl ist im Rückblick nicht mehr da. Das gab es damals, ist aber heute nicht mehr vorhanden, so dass man zurück schaut und sagt: Früher war - gut, es war nicht immer alles leicht, es war nicht alles in Ordnung, aber - früher war doch vieles einfach besser. Und wenn Menschen so urteilen, meinen sie meistens den sozialen Zusammenhalt, den sie als junge Menschen kennen gelernt haben. Und den sie als ältere Menschen jetzt schmerzlich vermissen. Würde man denen die DDR-Mark zurück geben und die DDR-Verhältnisse und die Wirtschaft mal zurück beamen in die DDR und die Städte und Gemeinden in die DDR-Jahre zurück versetzen, würden die aus allen Wolken fallen und sagen, Gott ich hab mich grandios geirrt. Holt mich wieder zurück, ich will meine D-Mark, ich will meinen EURO. Ich möchte jetzt leben. Man muss denen ab und zu mal wieder Fotos zeigen, wie es damals aussah und wie Menschen damals gelebt haben. Und wie Menschen übrigens auch gelebt haben, die sich dem System nicht angepasst haben. Denn diejenigen reden häufig nicht über die Zigtausenden, die die DDR in die Gefängnisse geworfen hat, die nicht mit dem System kollaboriert haben. Die nicht mit dem System klar kamen, die Opfer der Diktatur geworden sind. Die werden in diesen Gesprächen häufig komplett ausgeblendet. Und so erkläre ich mir in der Rückschau die Verklärung der Jugend, der früheren Bergkameradschaft, die es noch gegeben hat, als das Leben übersichtlicher war, planbar. Den kleinen Luxus konnte man besser früher genießen. Wenn man unter den Tisch gegriffen hat, hat 'ne Flasche auf den Tisch gestellt, die nicht im Handel war, haben alle gesagt: Hey ey ey! Und alle haben gesagt, dieses Besondere jetzt trinken zu dürfen. Heute ist für jeden praktisch alles erreichbar. Alles kann man kaufen. Es gibt kaum noch etwas Besonderes. Das Besondere heutzutage sind soziale Beziehungen. Die sind noch was Besonderes. Ansonsten ist über monetäre Eigenschaften praktisch alles kaufbar. Damals waren soziale Strukturen auch wichtig gewesen. Aber materiell konnte man immer wieder paar Highlights zaubern, immer wieder Luxus auf 'n Tisch bringen, der heute alltäglich geworden ist. Das alles verbindet sich zu einer sentimentalen Rückschau. Aber die haben glaube ich nur (...) Menschen die ansonsten auch nicht immer ganz kritisch sind. Ich denke unkritische Menschen neigen schnell zur Verklärung der Vergangenheit. (...) Was kein Vorwurf ist. Das ist einfach so, das ist menschlich. #03:14:55-8#
Astrid Kirchhof: Wir sind eigentlich jetzt bei meiner Frage, die ich unter Sonstiges subsumiere angekommen. Aber Sie haben drüber geredet, das eine waren Frauen im Uranbergbau und das andere war das Schulprojekt Gedenkstätte Amthor, wenn Sie sich erinnern? #03:15:17-9#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #03:15:17-9#
Astrid Kirchhof: Vielleicht bleiben wir mal zuerst bei den Frauen. Also das eine ist, wir interviewen ja Frauen und Männer, weil wir nicht nur Untertage-Personen interviewen, sondern eben auch zum Wismut-Komplex ganz allgemein. Wobei auch Frauen untertage gearbeitet haben. Und uns wird immer wieder gesagt: Aber es gab ja gar keine Frauen, die untertage gearbeitet haben. Wie würden Sie das sehen? Wie war dieses Verhältnis von Frauen und Männern, also anzahlsmäßig bei der Wismut? Haben Frauen da ihr Auskommen bekommen? Gab es sie untertage irgendwann dann nicht mehr und warum nicht? Haben Sie da was / 'ne Meinung dazu? #03:16:05-0#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) Das muss man aber auch wieder als Prozess betrachten beziehungsweise die Jahrzehnte anschauen. Da gibt es auch kein generelles Urteil. Vielleicht mit einem wichtigen Satz beginnend: Die Wismut war eine Männerwelt. Es gab keine - ja Gleichberechtigung insofern, dass Frauen und Männer gemeinsam das Leben gestaltet haben. Sondern es war eine Männerwelt. Die war von Männern dominiert. Der Bergmann ist ein Mann. So. Und die haben die Hauptarbeit gemacht. Das heißt in den 60ern, 70ern und 80er Jahren waren untertage ausschließlich Männer. Dort gab es keine Frauen. Frauen waren in dieser Zeit, in den 60ern, 70ern und 80er Jahren in der Logistik, in der Verwaltung, in der Küche, in der Kultur. In all den begleitenden Bereichen waren Frauen überproportional vertreten. Aber im wesentlichen Bereich ist ein Bergbaubetrieb ein Betrieb, der untertage Erz abbaut, wie hier zum Beispiel. Und dieser Abbau ist eine reine Männerwelt. Der Hauer ist ein Mann. Der Steiger ist ein Mann. Der Ingenieur ist ein Mann. Der Fördermaschinist ist ein Mann. Das heißt, alles was direkt mit dem Bergbau zu tun hat, ist eine reine Männerwelt. Die Begleitung drum rum von der Wismut-Küche bis zum Gesundheitswesen ist von Frauen dominiert. Der Mann arbeitet hart, die Frau begleitet ihn und macht das Leben für ihn erträglich. Das ist die Wismut-Welt, an die sich viele vielleicht auch sentimental zurück erinnern. Dort ist das Rollenverständnis sehr eindeutig. Jetzt kommt das Aber. Dieses Aber liegt in den 40er Jahren. In den 40er Jahren waren Frauen untertage mit tätig. Sie haben also mit den Männern untertage die gefahrenvolle Arbeit mit bewältigt. Das lag aber daran, dass es einen eklatanten Arbeitskräftemangel gab und jede Arbeitskraft, auch die Frauen brauchte man dringend, um die gestellten Aufgaben erfüllen zu können. Frauen waren nie Hauer. Frauen waren nie Steiger. Sie waren trotzdem untertage und waren Radiometristen, Geologinnen. Sie haben also dort auch vor- und nachbereitende Arbeiten gemacht. Aber direkt am Erz mit dem Presslufthammer, mit der Schaufel, mit dem Hunt waren auch nur immer in der gesamten Zeit der Wismut die Männer gewesen. Aber Frauen gab es untertage, aber in nie körperlich schweren Berufen. Aber in gefährlichen Berufen, denn Radiometristinnen zum Beispiel, Markscheiderinnen standen auch am Erz und waren einer sehr starken Strahlenbelastung ausgesetzt. Frauen waren in den Anfangsjahren - da red' ich aber von ersten vier bis fünf Jahren, danach nicht mehr - da waren sie Fördermaschinistinnen, saßen an der Fördermaschine, haben die Seilscheibe bedient oder Frauen haben auch Hunte geschoben übertage. Dort wurden Frauen eingesetzt. Aber mit den Jahren sind Frauen aus allen körperlich schweren Berufen heraus genommen worden und wurden in begleitenden und Verwaltungsbereichen eingesetzt. Frauen / Wismut war ein Männerbetrieb. Ich hab eine Sache, ich darf 's nicht vergessen. Ich muss eine Sache anfügen, weil sonst 'ne eklatante Lücke klafft. Die hab ich letztens erwähnt, die muss ich füllen: Frauen haben in einem Bereich der Wismut gearbeitet, fast ausschließlich Frauen, den man für körperlich leicht gehalten hat, und das war die Uranaufbereitung. Frauen haben also in der Uranaufbereitung sämtliche Arbeiten begleitet, mussten die machen, standen sogar an der Scheidebank und hatten einen Hammer in der Hand und haben taubes Gestein noch von Hand vom Erz abgeschlagen. Haben also grob vorsortiert und weiter geworfen. Das haben alles Frauen gemacht. Frauen waren dort unmittelbar am Erz und hatten dort die größte Strahlenbelastung, die sogar schlimmer war als sie teilweise Hauer vor Ort hatten. Diese Frauen, die so eine schwere gefährliche Arbeit, krank machende Arbeit machen mussten, hatten fast durch die Bank schwerste körperliche Schäden und haben, wie ich Ihnen schon mal gesagt habe, zu einem großen Teil behinderte Kinder zur Welt gebracht, über die nicht in der DDR gesprochen werden durfte. Das war ein absolutes Tabu. Über behinderte Kinder und Frauen aus dem Uranbergbau überhaupt nur denken zu dürfen - unvorstellbar. Denn dann hätte man nämlich zeigen können, Leute schaut mal an, was der Bergbau auch anrichtet. Also wenn man nicht darüber spricht, existiert 's auch nicht. Jeder, der es zur Sprache bringt, ist ein Feind unseres sozialistischen Aufbaus. Vor allem im Uranbergbau. #03:21:02-2#
Astrid Kirchhof: Wir haben einige Frauen, also jetzt noch nicht direkt gesprochen, aber auf jeden Fall / also eine werden wir demnächst sprechen. Wir haben / oder sagen wir mal so: Einige Frauen haben bis zum Ende gearbeitet untertage. Ich weiß nicht, ob Sie das wussten. #03:21:20-7#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #03:21:20-7#
Astrid Kirchhof: Und - also natürlich wenige - und gesetzlich kam erst das absolute Verbot für Frauen in den 70er Jahren, Anfang der 70er Jahre. Also es war (...) ja nicht nur in den fünf / nicht nur in den ersten vier, fünf Jahre. Das habe ich Ihnen aber letztens, sind wir dazu nicht gekommen, darüber zu reden. Ist auch vielleicht nicht so wichtig. Ich wollte wissen, was Sie denken warum wurden Frauen, sag ich jetzt mal, verdrängt von der Arbeit untertage? #03:21:54-0#
Oliver Titzmann: Verdrängt nicht im negativen Sinne, sondern Frauen hat man entlastet. Denn für viele Männer war es eine Zumutung gewesen, wenn Frauen in gefährlichen und schwierigen Positionen arbeiten mussten. Warum muss eine Frau zum Beispiel eine körperliche Arbeit leisten, für die sie körperlich überhaupt nicht in der Lage ist? Ich kann keiner Frau eine Schaufel in die Hand drücken und sagen: In einer Stunde haben Sie acht (...) Hunte voll (unv.) könnte es körperlich, drücke ich der (unv.) könnte es nicht. Drücke ich aber einem Mann die Schaufel in die Hand, kann ich von ihm / ist gar nicht gewollt, dass Frauen in solchen schwierigen, in solchen körperlichen, anspruchsvoll kann man nicht sagen, sondern körperlich fordernden Berufen überhaupt arbeiten. Was Frauen aber (unv.) noch gemacht haben sind - was ich auch meinte - sind die begleitenden Dinge. Also zum Beispiel im geologischen oder markscheiderischen Bereich, dort sind körperlich leichte Arbeiten. Und dort sind Frauen natürlich noch eingesetzt worden, auch später noch. Aber die Wismuter - ich weiß nicht, aber das Wort Mitleid ist unangebracht - aber ich denke in dieser Männerwelt Wismut war es für das Bewusstsein eines Bergarbeiters im Uranbergbau unangebracht, Frauen in Bereichen arbeiten zu sehen, für die sie augenscheinlich nicht geschaffen wurden. Das hat jetzt nichts mit Sexismus zu tun oder das vielleicht mit chauvinistischen Gedanken, sondern einfach, das hat was damit zu tun, dass viele Wismuter das als normal gesehen haben. Dass Frauen in leichten, körperlich leichten Berufen arbeiten und Männer die schwere, dreckige Arbeit machen. Aber dafür sich auch in der Gesellschaft sich Privilegien einfordern. Das ist so der Klassiker. Also wenn ich schwerer arbeiten muss als eine Frau, weil sie körperlich das nicht leisten kann, erwarte ich, wenn ich nach Hause komm, dass meine Frau mich umsorgt. Dass sie mir die Pantoffeln hinstellt, dass ich ein warmes Essen vorfinde, dass sie für mich da ist. Ich bring das Geld nach Hause, übrigens auch in der Menge, dass die Frau davon leben kann. Das ist in der Wismut übrigens nicht Praxis gewesen, weil die Frauen immer mit gearbeitet haben. Ich kenn also keine einzige Familie, wo der Bergarbeiter als der Ernährer zu Hause auftreten konnte und die Frau musste ihn umsorgen. Die Frauen hatten in der DDR, auch in der Wismut nahezu komplett alle einen Beruf. Und haben dann in einem körperlich leichter zu bewältigen, vielleicht auch geistig anspruchsvollen Beruf, ihre Arbeit gefunden. Aber für die Wismuter war das eine Männerwelt. Und die Frauen wurden nicht verdrängt. Ich denke man hat sie entlastet in den 50er, 40er und 50er Jahren. Denn dort sind sie zunehmend aus den schweren körperlichen Arbeiten heraus genommen worden. In den 60er Jahren gab es keine Frau als Fördermaschinistin. Keine einzige Frau hat mehr einen Hunt übertage zum Hang geschoben und hat dort mit anderen Frauen das taube Material auf Halde gestürzt. Sowas hat 's nicht mehr gegeben. Aber Frauen waren in den anderen Bereichen, wie zum Beispiel im gesamten großen Bereich der Verwaltung, des Kulturwesens, des Gesundheitswesens überproportional und stark vertreten. #03:25:02-7#
Astrid Kirchhof: Das wird Sie jetzt vielleicht bisschen wundern, aber alle Frauen, von denen wir wissen - es gibt ja auch Interviews, die schon vor uns geführt wurden - #03:25:12-8#
Oliver Titzmann: Ja. #03:25:12-8#
Astrid Kirchhof: - die haben sich verdrängt gefühlt ... #03:25:12-8#
Oliver Titzmann: Wirklich? #03:25:13-5#
Astrid Kirchhof: ... die haben sich mit Händen und Füßen beschwert dagegen ... #03:25:17-1#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) ... dass die nicht ... #03:25:17-1#
Astrid Kirchhof: ... nicht mehr untertage arbeiten zu dürfen. Bei vielen war es genau der Grund, weil es besser bezahlt war. #03:25:23-5#
Oliver Titzmann: hm (bejahend) #03:25:23-5#
Astrid Kirchhof: Und grade auch, wenn sie dann allein erziehend gewesen sind, haben sie / waren sie die Alleinernährerinnen und mussten einfach auch Geld mit nach / jedenfalls ist das das, was sie auch gesagt haben / nach Hause bringen. Also und auch bei den leichteren körperlichen Arbeiten untertage waren sie ja dann, durften sie die nicht mehr machen. Jedenfalls so hab ich das gelesen, dass seit den 70er Jahren sollten sie auch das nicht mehr machen. Und dagegen haben sich ganz viele offenbar, also was ich gelesen habe und aus Interviews, gewehrt, gewehrt, gewehrt und wollten diese Arbeit partout weiter machen. #03:25:56-9#
Oliver Titzmann: Ja. Das ist mir nicht bekannt. Aber interessant. #03:26:03-1#
Astrid Kirchhof: Sie sagten glaub ich zu mir, Sie hätten eine Gegenfrage, was die Repressalien denn beinhalten, gell? Oder was wollten ... #03:26:11-7#
Oliver Titzmann: Welche Form der Repressalien könnten es denn sein? #03:26:14-5#
Astrid Kirchhof: Also ich glaube, die haben das in unserem Gespräch nicht konkretisiert. Das einzige was ich mir vorstellen könnte, dass es manchen Wismutarbeitern wurde doch der Vorwurf der Spionagetätigkeit oder wie hat man das genannt? War das Spionage? #03:26:35-4#
Oliver Titzmann: Das war 40er, 50er Jahre. Also am Anfang der Wismut. (...) Jetzt müssen wir wieder über das Jahrzehnt reden. #03:26:42-5#
Astrid Kirchhof: Naja, wenn die Gymnasiasten Leute befragen wollen, dann können das ja nur Menschen sein, die jetzt noch leben. #03:26:47-7#
Oliver Titzmann: Genau. Und das war mein Einwand bei der letzten Sitzung. Und da hab ich gemeint zu Ihnen, was das Problem da betraf, die werden keine Antworten kriegen, die Gymnasiasten. Denn in den 70er, 80er Jahren gab es diese Repressalien, die manchmal in Büchern zu lesen sind, so nicht mehr. Denn Repressalien in den 40er, 50er Jahren waren ja zum Beispiel, dass die wegen Spionage ins Gefängnis geworfen wurden, wegen Spionageverdacht. Oder wegen mangelnder Arbeitsleistung ins Gefängnis geworfen und so weiter. Aber die Wismut war in den 60er, 70er, 80er Jahren ein schon recht elitärer Großbetrieb. Und das war ein Privileg dort arbeiten zu können. Repressalien kann ich mir vorstellen (...) Prämien werden nicht bezahlt. Also man erhält keine Prämie, man bekommt keine Leistungsprämie, keine Auszeichnung, man bekommt keinen Urlaubsplatz, man wird im schlimmsten Fall aus der Wismut entlassen. Ja, das hat es sicherlich gegeben. Wenn man ein Arbeitsbummelant war, wenn man alkoholisiert am Arbeitsplatz war, wenn man sich gegen das System ausgesprochen hat, wenn man politisch eine Meinung vertreten hat, die von der Wismut und von der Staatsmacht nicht toleriert wurde, wegen solchen so genannten Verfehlungen kann ich mir vorstellen, dass man darauf mit solchen Repressalien geantwortet hat, die ich Ihnen grade genannt habe. Genau. Aber, ja um das mal bisschen noch abzuschließen (lacht), das hab ich letztens schon mal gesagt. Ich denke das Ganze wird keinen Erfolg haben, weil die Menschen, die von wirklichen Repressalien noch reden können, aus der Anfangszeit der Wismut, die sind nicht mehr vorhanden. Und in den 70er, 80er Jahren, was könnten denn für Antworten kommen? Stell ich mir jetzt mal vor, dass jemand der irgendwie jetzt 70 ist oder 80 ist, sagt: Naja, die haben dann eben keene Prämien gezahlt, wenn die gebummelt haben, wenn die Leistung nicht erbracht wurde. Da wurden Löhne gekürzt. Ja, dann isses aber auch wieder schnell vorbei mit der Antwort. Ich frag mich dann immer, was Schülergruppen damit machen können. Denn es ist nicht ergiebig. Man hat zu wenig Substanz, weil die Fragestellung an die jetzige Generation, die Generation, die jetzt noch lebt, die kann nicht so beantwortet werden. Und ich frag mich immer, diejenigen, die den Auftrag geben den Gymnasiasten, was für eine Erwartungshaltung haben die denn? Was soll denn rauskommen? Was sollen denn die Schüler raus bekommen? Was ist denn das Ergebnis? Wie werde ich das Ergebnis verwerten? Mach ich da 'ne Ausstellung, mach ich ein Projekt draus? Ja, da frag ich mich immer, was kommt denn am Ende für die Schüler raus? Und ich befürchte, dass die ernüchtert sein werden, weil sie wenig Substanz heraus bekommen aus den Interviews. Aber das ist nur 'ne Vermutung. #03:29:34-8#
Astrid Kirchhof: Glauben Sie, dass jeder Interviewer (...) wenig substantielle Antworten hier erhalten könnte oder jemand der, was weiß ich, versierter ist oder älter, keine Ahnung, dass das dann besser laufen würde als bei Schülern? #03:29:54-9#
Oliver Titzmann: Ich denke nicht, weil die Fragestellung kann man ja nicht verändern. Ob jetzt ein 15 Jähriger oder eine 17Jährige fragt, welche Repressalien haben Sie denn damals bei der Wismut erfahren oder wenn Sie es nicht erfahren haben, welche Repressalien kennen Sie denn, die andere erfahren haben? Dann überlege ich mir, was man da antworten könnte. Das ist in etwa glaub ich das, was ich Ihnen jetzt grad gesagt habe. Aber das ist eine reine Vermutung. Kann auch sein, da sprudeln irgendwelche Quellen, die noch niemand gesehen hat, aber ich / mir tut 's / das ist alles legitim, ist auch alles schön, kann man alles machen. Ich bin auch selbst Lehrer. Mir tun dann die Schüler leid, wenn sie eine Arbeitsaufgabe haben, die sie nicht bewältigen können, weil sie überfordert sind, und zwar in jeder Beziehung. Nicht mit ihrem Alter, nicht mit dem / dass sie das mit 17 vielleicht nicht so fragen können, sondern dass sie nicht das heraus bekommen, was man glaubt, heraus bekommen zu können. Weil die Fragestellung an sich, nicht so zu beantworten ist. Ich hab also Angst vor oder die Befürchtung, dass die Schüler enttäuscht sind und sagen: Ja, war so nicht so schön gewesen. #03:31:00-8#
Astrid Kirchhof: Also dadurch, dass es ja jetzt nicht unser Projekt ist, kann ich da nicht viel machen. Aber ich behalt das mal im Hinterkopf und wir sind im Austausch mit der Gedenkstätte Amthor und da werd ich das auf jeden Fall noch mal konkretisierend nachfragen, wie das genau gemeint ist und das im Kopf behalten, ja was da für Schwierigkeiten sein könnten. #03:31:24-6#
Oliver Titzmann: Genau. Fragen Sie die Gedenkstätte einfach mal, was für eine Erwartungshaltung haben sie denn, was soll denn raus kommen? Das würde mich interessieren. Aber sollen die mal machen! (lacht). #03:31:36-5#
Astrid Kirchhof: (lacht) Ja, ich glaub erst mal das waren / ich mein waren jetzt meine Fragen zu zweiten Teil. #03:31:45-5#
Oliver Titzmann: Okay, schön. #03:31:45-5#
Astrid Kirchhof: Falls noch was ganz Dringendes ist, kann ich mich ja jeder Zeit an Sie noch mal wenden. #03:31:51-5#
Oliver Titzmann: Genau. Rufen Sie noch mal an oder das kriegen wir hin und genau. Damit haben wir jetzt das bisschen abgerundet und haben das Bild jetzt auch, dass wir zum Ton eh gebraucht hätten, genau. #03:32:01-9#
Astrid Kirchhof: Perfekt! #03:32:03-2#
Oliver Titzmann: Schön, wunderbar! #03:32:03-8#
Astrid Kirchhof: Vielen Dank für Ihre Hilfe! #03:32:05-8#
Oliver Titzmann: Ja, gerne. Und ja Ihnen noch einen schönen Tag und vielleicht bis demnächst mal wieder. #03:32:10-9#
Astrid Kirchhof: Ihnen auch Herr Titzmann. Tschüss! #03:32:16-6#