2021.03.10 - Martina Runge.mp4

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Transkript:

Astrid Kirchhof: Liebe Frau Martina Runge! Ich freue mich, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit unserem Wismut-Erbe-Projekt ein Interview zu führen. Wir führen dieses Interview online, weil es immer noch... wir sind immer noch in Pandemie- und Corona-Zeiten. Heute ist der 10.3.2021. Frau Runge ist in Oberlungwitz in der Nähe von Chemnitz. Und ich sitze in Berlin. Guten Tag, Frau Runge. #00:00:41-3#

Martina Runge: Guten Tag. #00:00:43-8#

Astrid Kirchhof: Meine erste Frage an Sie wäre, erzählen Sie mir doch ein bisschen was über die Wismut, wann Sie dahin gekommen sind, Sie können aber auch schon ein bisschen was aus der Familie erzählen, woher Sie kommen, wie es überhaupt dazu kam, dass Sie zur Wismut gekommen sind und was die Wismut in Ihrem Leben für eine Rolle spielte oder immer noch spielt. #00:01:05-7#

Martina Runge: Ja. Also ich hab am 1. Januar 1985 [1.1.1985] bei der Wismut in Grüna beim Geologischen Betrieb angefangen. Und dazu gekommen bin ich eigentlich dadurch, ich habe vorneweg in Böhlen, das ist in der Nähe von Leipzig, ein großes Chemiewerk, Laborantin gelernt. Und dort meinen späteren Mann kennengelernt. Wurde dann schwanger. Hab im April 84 [1984] entbunden. Und bin mit meinem Mann nach Chemnitz gezogen. Und ja, über die Wohnungssituation zu DDR-Zeiten brauch (lacht) ich nicht viel sagen. Wir haben erst mal bei meinen Schwiegereltern in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung gewohnt. Und zu DDR-Zeiten war es anders wie heute. Damals habe ich dann eine Annonce aufgegeben in der Tageszeitung, dass ich eine Arbeit suche. Und die Firmen haben sich bei mir gemeldet. Und da hatte ich mehrere Angebote. Und unter anderem eins von der Wismut. Mir persönlich, ich bin Preuße, komme aus der Gegend oberhalb von Berlin, hat Wismut überhaupt nichts gesagt. Aber die ganze Familie brüllte sofort, los, geh zur Wismut, die haben Wohnungen! Weil wir hätten in Chemnitz noch zwei Jahre noch auf eine Wohnung warten müssen. So. Dann habe ich dort zurückgeschrieben. Habe die Stelle auch bekommen. Hatte mich am Anfang ein bisschen gewundert, dass ich sie bekommen habe. Weil nach den Aussagen meiner Schwiegereltern, dass es doch sehr staatsnah war und ich für meine Westverwandtschaft noch einen extra Einleger in den Personalbogen packen musste, weil ich (lacht) soviel davon hatte. Aber die haben Leute gesucht und haben mich eingestellt. Und so habe ich dann im April... am 1. Januar 85 [1.1.1985] in Grüna im Geologischen Betrieb begonnen. Muss auch dazu sagen, ich hatte dann Anfang Juni [1985] eine Neubauwohnung. Hat also sich gelohnt (lacht). Ja. Und habe dann dort im Labor gearbeitet. Lustig war es am ersten Tag. Ich bin, ja, wie ich es vorneweg gewohnt war, mit meinen Sachen in einem bunt bedruckten Plaste-Beutel auf Arbeit gegangen. Den durfte ich gleich mal beim Posten am Einlass abgeben. Und durfte meine Sachen in der Hand reintragen (lacht). Weil mit sowas durfte man die Firma nicht mal betreten. Mit einem West-Beutel (lacht). Da war... da habe ich erst mal gemerkt, dass ich ein bisschen in einer anderen Welt war (lacht). Aber dann, es war ein sehr schönes Labor. Wir... der Geologische Betrieb war ja der Teil der Wismut, die die Erkundungen gemacht haben. Und sich um die, ja, an Analytik für den Produktionsprozess haben wir eigentlich nur die Haldenwässer gemacht und die Schachtwässer. Diese Sachen. Aber keine Erze oder sowas. Aber sämtliche Erkundungsbohrungen landeten bei uns und wurden dort erst mal in etlichen Abteilungen untersucht. Ich war in der chemischen Analytik. Und das hat auch sehr viel Spaß gemacht. War dann dort nach ein paar Jahren in der Schwermetall-Analytik spezialisiert. Und das war wirklich sehr schön gewesen. Wir hatten dort schon zu DDR-Zeiten Messgeräte gehabt aus dem Nichtsozialistischen Ausland. Also das Labor war für DDR-Verhältnisse sehr gut ausgerüstet. Und es wurde wirklich auch sehr interessante, vielseitige Analytik gemacht. Also in der Zeit haben wir dann auch neben... kaum noch Uran erkundet nach einer Weile. In den ersten Jahren war da noch einiges. Dann später haben wir Flussspat erkundet, Kohle erkundet, Gold in der Mongolei erkundet. Also für alle möglichen Sachen dort Analysen gemacht. Sodass auch immer mal wieder was Neues kam. Daneben aber auch die ganzen Routinen für die Schachtwässer und ähnliches. Haben auch immer noch sehr viele Uran-Analysen gemacht. Aber das ging sukzessive zurück. Ja. Ich war dann auch über die Wende noch im Labor. Nach der Wende ist das ja ausgegliedert worden. Landete dann ja in, zuerst bei der Siepe-Gruppe. Und wurde dann später Consulting-Engeneering. Diesen ganzen Prozess habe ich bis 2003 mitgemacht. Und war bis 2003 dort im Labor. Bis dahin war das Labor auch in Grüna. Nach... 2004 ist es dann umgezogen nach Chemnitz. Da war ich, hatte mich aber mal für vier Jahre verabschiedet. Und war, hab in Jena und Freiberg in einem anderen Unternehmen im Labor gearbeitet. Und 2007 hat der damalige Besitzer das von der Siepe-Gruppe abgekauft hatte, Herr Zollner, mich dann zurückgeholt. Und dann hab... inzwischen war das Labor auch auf die Jagdschenkenstraße gezogen. In den ehemaligen Speiseraum vom Planungsbetrieb der Wismut. Der dort neben der Wismut angegliedert war. Das wurde ausgebaut zum Labor. Und ich habe dann 2007 die Leitung des Labors übernommen, weil es, ja, qualitätsmäßig ziemlich heruntergewirtschaftet war. Ich hatte in der Zwischenzeit 1988 ein Fernstudium begonnen, Laboratoriumstechnik in Berlin. Habe das bis 93 [1993] abgeschlossen. Es gehörte aber zu denen, bei denen das nicht anerkannt wurde. Die dann nur einen Techniker gekriegt haben. Und habe noch mal vier Semester an der TFH dann rangehangen. Und habe dann 2006 mit dem Ingenieur-FH das abgeschlossen. (6 Sekunden Pause) Das war erst mal so der Weg. Und ja, wie habe ich das Labor empfunden? Es war eigentlich... es war eine interessante Arbeitsaufgabe unter für damalige Verhältnisse sehr guten Bedingungen. Man musste sich aber auch erst mal an ein paar Sachen gewöhnen, wenn man aus der Nicht-Wismut kam. Zum Beispiel, dass man während der Arbeitszeit die Firma nicht verlassen konnte. Also es war ja zu DDR-Zeiten schon nicht unüblich gewesen, während der Arbeitszeit mal einzukaufen oder sonstwo hinzugehen. Das ging nicht. Weil wir hatten unseren Posten vorne. Der da schon aufgepasst hat. Aber man hatte auch, man hatte einen Arzt in der Firma. Da kam der Zahnarzt, da kam der Frauenarzt, also das war alles da. Und es gab ja auch einiges zu kaufen. Also gerade, bei uns war es so, das Labor war gegenüber der Verkaufsstelle gewesen. Und die konnten nichts ausladen, was das Labor nicht gesehen hat. Es war ziemlich lustig, wenn sich mehr wie drei Laboranten unten an der Kantine angestellt haben, war eine halbe Stunde später, stand die ganze Firma da. Weil sie dachten, es gibt irgendwas (lacht). Weil wir immer die Ersten waren. Aber wir haben sehr viel und auch sehr gute Analytik gemacht. Und ich muss sagen, es waren damals auch in der Leitung des Labors sehr kompetente Mitarbeiter. Also gerade der Herr Lohs, der das dann später geleitet hat, also erst das Chemische Labor, später das ganze Labor geleitet hat, der war eine analytische Enzyklopädie. Also von dem habe ich auch sehr, sehr viel gelernt. Und durch die technischen Möglichkeiten des Labores konnten wir auch sehr zeitig sehr gute Analytik machen. Und hochwertige Analytik. Und das hat uns dann auch mit dem Labor geholfen nach der Wende. Als die Wende dann kam, wurde überlegt, was mit dem Labor passieren sollte. Ob es bei der Wismut bleibt oder ob es mit ausgegliedert werden sollte. Und dann hat man aber gesagt, die Wismut braucht ein akkreditiertes externes Prüflabor für ihre Sanierungsanalytik. Also wurde das Labor ausgegliedert. Und wir waren 1992 eins der ersten akkreditierten Prüflabore in den neuen Bundesländern. Und haben dann in den ganzen nächsten Jahren die Sanierungsbegleitung für die Wismut-Sanierung gemacht. Überhaupt erst mal die ganzen Kataster-Analysen und alles. Die sind dann bei uns im Labor gelaufen. Und so wie die zurückgingen, hat sich das Labor dann dem Markt geöffnet. Das war für uns eine sehr gute Chance, weil wir am Anfang eine hohe Auslastung hatten. Und dann sukzessive uns Kunden suchen konnten. Denn ganz am Anfang nach der Wende war der Name Wismut ein Makel. #00:10:17-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:10:18-5#

Martina Runge: Da wollte man nicht unbedingt wirklich was mit uns zutun haben. Ich kann mich noch erinnern, dass so in den, in der Wendezeit... in Grüna das Labor war von einer hohen Mauer umgeben. Und da sah man immer nur oben so die Gebäude. Und dann, wo dann das nicht mehr bewacht wurde, kam da eine Bürgerinitiative rein, die wissen wollten, wo wir die Teile für die Atombomben gebaut haben. Also da hat man dann erst mal gemerkt, welche Gerüchte überhaupt überall im Umlauf waren. War dort ja wirklich nur auf dem Gelände, war der Geologische Betrieb. Und das Wissenschaftlich-Technische Zentrum. Das waren also die, die für die Erkundung und für den Bergbau Messgeräte und ähnliches entwickelt haben. Ansonsten war dort auf dem Gelände nichts Verbotenes und (lacht) kein Hexenwerk. Ja, und ab Mitte der 90er Jahre [1990er Jahre], Ende der 90er Jahre [1990er Jahre] hat das Labor dann, als die Sanierung weitestgehend abgeschlossen war, komplett am Markt gearbeitet. Immer noch viel in der Altlasten-Analytik gemacht, weil man dort natürlich durch diese Sanierung der Wismut auch eine sehr, sehr hohe Kompetenz hat. Und gehörte dann ja zur Consulting-Engeneering. Das war eine Firma, die ist entstanden aus dem Projektierungsbetrieb, aus dem WTZ und dem Geologischen Betrieb, ist dieses Ingenieurbüro entstanden. Das es heute noch gibt in Chemnitz. Ich habe dann aber 2013 die Firma verlassen und bin seitdem in der Wasserversorgung, in der Wasserwirtschaft, tätig, im Labor. #00:12:06-5#

Astrid Kirchhof: Dann würde ich jetzt einfach ein paar Sachen nachfragen, die mich bei Ihrer Erzählung interessiert haben und wo ich einfach mal was wissen will. Also, gehen wir noch mal zurück. Sie sagten, Sie kommen ja aus Preußen. Hatten nie was zutun mit der Wismut. Also einmal würde mich interessieren, ich weiß gar nicht, wenn Sie es sagen möchten, wann Sie geboren sind. Und hatten Sie Geschwister, würde mich interessieren. Und wie kamen Sie überhaupt dann in die Gegend? #00:12:33-2#

Martina Runge: Ich bin 1964 geboren. War die, bin die Jüngste von vier Geschwistern. Und ja, ich bin in die Gegend gekommen, weil ich, ich... ich bin von, aus einem Dorf oberhalb von Berlin, aus Wagenitz. Das liegt zwischen Nauen und Friesack. Und wollte nicht in die Landwirtschaft. Aber ich wollte auch absolut nicht ins Büro oder in den Verkauf. Ich wollte irgendwas machen, was mich interessiert. Mein Traum wäre gewesen, Archäologie zu studieren. Aber meine Eltern wollten nicht, dass ich auf die EOS gehe. Ich sollte einen Beruf lernen. So. Und also war Laborant für mich was, wo ich gesagt habe, das ist interessant, das hat auch Niveau und das ist auch was, wo ich praktisch arbeite. #00:13:19-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:13:19-8#

Martina Runge: Ich bin vom Typ her wirklich sehr pragmatisch. Und da habe ich mich dann in Böhlen beworben, weil im Kreis Nauen, wo ich her war, gab's eine Lehrstelle in der Molkerei. Da braucht man sich nicht bewerben, weil das ging immer an ein Kind von dem Mitarbeiter (lacht). Also es gab ja da oben keine Industrie, die Laboranten ausgebildet hat. Ich hatte noch eine zweite Lehrstelle gehabt. Ich hätte nach Berlin gehen können an die Charité, als medizinisch-technische Assistentin. Dort hätten meine Eltern mir aber in Berlin ein Zimmer buchen müssen. Weil die hatten kein Wohnheim und nichts. Und als jüngste von vier Kindern, Eltern in der Landwirtschaft, das konnten meine Eltern nicht stemmen. Mir in Berlin das Leben zu finanzieren. So, und dann hatte ich die Zusage von Böhlen. Die haben aus jedem Kreis auch nur zwei genommen. Aber eben unvoreingenommen. Und da ich einen Notendurchschnitt von eins Komma eins hatte, war das kein Problem, die Lehrstelle dann zu bekommen. Und so habe ich in Böhlen dann Laborantin gelernt. Es gab damals solche Austauschprogramme zwischen den Bezirken bei der Lehrlingssuche. Also unsere Klasse dort bestand zur Hälfte aus Lehrlingen aus der Region. Und zur Hälfte aus, von, aus Lehrlingen aus dem Bezirk Potsdam. #00:14:38-6#

Astrid Kirchhof: Heißt das Böhlen? B, Ö,... #00:14:41-0#

Martina Runge: Böhlen, ja. B, Ö, H, L, E, N. Das ist bei Leipzig. Dort gibt's immer noch... das Chemiewerk gehört mittlerweile zu Dow Chemical. #00:14:50-9#

Astrid Kirchhof: Okay, Böhlen, okay. #00:14:52-8#

Martina Runge: Das war früher mal der VEB Otto Grotewohl Böhlen. #00:14:56-7#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Otto Grotewohl Böhlen! Und also, in der Klasse, gab's da hauptsächlich Frauen oder halb / Martina Runge (niest) / Astrid Kirchhof Männer und Frauen, die den Ausbildungsberuf gewählt haben? #00:15:10-7#

Martina Runge: Wir hatten einen Mann in der Klasse (hustet). Entschuldigung. Wir hatten in der Lehre nur einen einzigen Jungen. Also (räuspert sich) Labor war damals wie heute weitestgehend ein Frauenberuf. Das ändert sich erst dann, wenn ins, Richtung Studium geht. Da gleicht sich das etwas mehr heute aus. Damals auch noch nicht so. In der, im Studium hatten wir auch nur zwei Jungen. Damals waren es dann ja schon Männer. #00:15:46-9#

Astrid Kirchhof: Erzählen Sie / Martina Runge (räuspert sich) / Astrid Kirchhof noch mal, was man, damit ich das besser verstehen kann, was man da für Fächer hatte in der Ausbildung, so. #00:15:54-1#

Martina Runge: Also gut. In, in der Theorie hatte man erst mal ganz normal die Grundlagen, Mathe, Deutsch, Staatsbürgerkunde und alles. Und dann gab's aber physikalische Chemie, anorganische Chemie, organische Chemie. Dann Verfahrenstechnik, diese Sachen hat man gelernt. Und dann gab es ein großes Lehrlabor. In dem man wirklich alle analytischen Fertigkeiten, also alle Grundlagenmethoden wirklich erst mal im Lehrlabor gelernt hat. Und erst ab einem, Anfang des zweiten Lehrjahres ist man dann auch in den Betrieb ins Praktikum gegangen. Wo man dann im Labor praktisch gearbeitet hat. Man hat also wirklich eine sehr solide Grundausbildung gekriegt im Lehrlabor. #00:16:44-4#

Astrid Kirchhof: Also diese klassischen, sage ich mal, naturwissenschaftlichen Fächer, das ist Ihnen aber leicht gefallen? #00:16:50-9#

Martina Runge: Das ist mit leicht gefallen, ja. Da hatte ich nie ein Problem damit gehabt. Das war auch was, was mich interessierte. #00:16:59-0#

Astrid Kirchhof: Und Sie sind ja dann weggegangen. Wie alt waren Sie da? (unv.) #00:17:03-6#

Martina Runge: Ich meine, also als ich wegging, war ich 19. Ich bin mit 16 in der, also Schule abgeschlossen. Und damals hat eine Lehre ja zwei Jahre gedauert. Ich war also 18, wo ich ausgelernt hatte. Und habe dann in Böhlen noch gearbeitet im Vier, also Drei-Schicht-System. Und bin dann mit 19, als ich in die Wochen ging, mit meinem Mann nach Chemnitz gezogen. Meinen Mann hatte ich dort kennengelernt, weil der war in Böhlen auf Montage. #00:17:36-3#

Astrid Kirchhof: Okay. Also Sie sind quasi mit 16 von Ihrem Elternhaus weggegangen? #00:17:41-1#

Martina Runge: Ja. #00:17:42-0#

Astrid Kirchhof: Und haben dann da alleine gewohnt in Böhlen? #00:17:45-2#

Martina Runge: Nein, im Lehrlingswohnheim. #00:17:47-2#

Astrid Kirchhof: Ah! #00:17:47-5#

Martina Runge: Das war zu DDR-Zeiten in den großen Firmen so üblich gewesen. Es gab Lehrlingswohnheime. Denn Böhlen hatte sogar zweie. Eins in Markkleeberg und eins direkt in Böhlen. Und dort war man dann mit den ganzen anderen Lehrlingen zusammen. Da gab es Erzieher, die auf... aufgepasst haben, dass man nicht zu viele Dummheiten (lacht) gemacht hat. #00:18:09-3#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:18:09-9#

Martina Runge: Und dort blieb man während der Lehre. #00:18:12-5#

Astrid Kirchhof: Okay. Also das war dann also zwei Jahre. Und hatte man da auch Freiheiten in dem Lehrlingsheim, oder war das sehr überwacht? #00:18:22-8#

Martina Runge: Also es gab ja zwei Lehrlingswohnheime. Das eine... ich war in Böhlen, das war ziemlich frei. Also das war ein Barackenlager gewesen. Das hatte irgendwann mal die Armee aufgegeben. Und war auch ganz in der Nähe der Berufsschule. Und wir hatten wirklich sehr viele Freiheiten dort. Wir konnten auch zur Disko gehen und wenn man mal später kam, war das auch nicht weiter schlimm. Weil in die Baracke kam man auch sehr gut durchs Fenster rein. #00:18:53-4#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:18:55-1#

Martina Runge: Und in Markkleeberg gabs eins, das war eine Villa gewesen. Das war von außen, war das richtig schön. Aber die hatten Schlafsäle mit acht Betten. Wir hatten Zwei- bis Dreibettzimmer. Und dort war es richtig streng. Also am Anfang war ich enttäuscht, als ich in dieses Barackenlager kam und nicht in das schöne Wohnheim aus dem Prospekt. Aber dann später habe ich das sehr (lacht) genossen und die aus Markkleeberg haben uns wirklich beneidet (lacht). Weil wir viel mehr Freiheiten hatten. #00:19:26-3#

Astrid Kirchhof: Das... weil Sie gerade sagen, Prospekt. Das heißt, die Wismut hat auch ein bisschen geworben? #00:19:31-8#

Martina Runge: Nee. Das war nicht die Wismut. Das war ja noch Böhlen. Und die haben... #00:19:36-3#

Astrid Kirchhof: Achso. #00:19:37-0#

Martina Runge: ...wenn man die Lehrstelle gekriegt hat, hat man erst mal so eine... wie eine Infobroschüre gekriegt. Und dort haben die natürlich nur das schöne Wohnheim abgebildet. Und nicht das andere (lacht) #00:19:48-2#

Astrid Kirchhof: Ja, klar. Das habe ich noch nicht ganz verstanden. War Ihr Abschluss ein Abitur? #00:19:53-2#

Martina Runge: Nein. #00:19:54-8#

Astrid Kirchhof: Was war das dann ein...? #00:19:56-1#

Martina Runge: Das war ein Lehr-, ein Lehrabschluss. #00:19:58-7#

Astrid Kirchhof: Lehr... #00:19:59-0#

Martina Runge: Ich habe Laborantin gelernt. Und habe dann später ein Fachschulstudium gemacht. #00:20:03-4#

Astrid Kirchhof: Ich meinte jetzt ihenr Abschluss, bis Sie 16 waren, war... #00:20:06-5#

Martina Runge: Das war... nee, das war eine normale zehn... POS-Abschluss. #00:20:09-6#

Astrid Kirchhof: Ah ja. #00:20:10-1#

Martina Runge: Zehnte Klasse. #00:20:11-0#

Astrid Kirchhof: Okay. #00:20:11-7#

Martina Runge: Doch heute würde man sagen Realschulabschluss. #00:20:14-1#

Astrid Kirchhof: Ja, okay. Genau. Und dann haben Sie gesagt, Sie haben dann relativ bald Ihren Mann kennengelernt. #00:20:21-7#

Martina Runge: Ja. #00:20:22-8#

Astrid Kirchhof: Und waren dann auch schwanger? #00:20:24-9#

Martina Runge: Jo. Auch relativ rasch. #00:20:26-8#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:20:28-2#

Martina Runge: (Lacht) Es war ja damals durchaus üblich gewesen, mit 19, 20 das erste Kind zu kriegen. #00:20:34-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Wie viele Kinder haben Sie denn zusammen? #00:20:37-0#

Martina Runge: Ich habe einen Sohn. #00:20:38-4#

Astrid Kirchhof: Und der ist 54... 84 [1984] geboren, haben Sie...? #00:20:42-1#

Martina Runge: Der ist 84 [1984] geboren. #00:20:44-0#

Astrid Kirchhof: Und sind Sie dann... Sie sind gar nicht lange zu Hause geblieben? Oder gar nicht? Oder wie war das? #00:20:50-9#

Martina Runge: Na. Der ist am 1. April [1.4.1984] geboren. Ich hatte also einen richtigen Aprilscherz. #00:20:55-1#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:20:55-6#

Martina Runge: Und bin dann... normal hatte man damals 20 Wochen Mutter, Mütterzeit gehabt. Ich hatte einen Kaiserschnitt, deshalb hatte ich 22. Da gabs zwei Wochen mehr. Sodass ich dann ab Januar 15 wieder auf Arbeit gehen musste. Das mit dem Jahr zu Hause bleiben für Mütter, das kam erst ein paar Jahre später. #00:21:18-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Und... er kam dann in eine Krippe oder in einen Kindergarten (unv.)? #00:21:26-2#

Martina Runge: Er ist dann zuerst in die Krippe gegangen. Und da mein Mann keine drei Jahre zur Armee wollte, war es auch so, am 1. April [1.4.1984] ist unser Sohn geboren. 10. August [10.8.1984] haben wir geheiratet und Ende Oktober durfte mein Mann dann anderthalb Jahre zur Armee einziehen. Und ich war dann erst mal die erste Zeit bei meinen Schwiegereltern mit dem Kind alleine. Habe, ja, in Chemnitz im Beimlergebiet gewohnt. Und in Grüna gearbeitet. Also ich war früh um sechs die Erste in der Krippe. Damit ich den Zug schaffte, um nach Grüna auf Arbeit zu fahren. Und war dann abends so ziemlich die Letzte, die das Kind auch wieder geholt hat. Weil ich ja von Grüna erst wieder mit dem Zug rein nach Chemnitz und dann mit dem Bus ins Beimlergebiet fahren musste, um das Kind dort wieder abzuholen. Und nachdem ich dann eine Wohnung hatte, die lag in Stadtmitte, hatte ich aber noch ein Dreivierteljahr lang den Krippenplatz draußen. Musste also von Stadtmitte erst raus ans andere Stadtende mit dem Kind, früh. Dann wieder ein ganzes Stück zurück zum Zug. Mit dem Zug nach Grüna auf Arbeit. Und abends das Ganze retour. #00:22:43-7#

Astrid Kirchhof: War... aber Ihre Schwiegereltern haben jetzt Ihnen das jetzt nicht abgenommen? Oder manchmal gesagt, ach, wir holen das Kind? Oder Sie wollten das ja vielleicht auch gar nicht? #00:22:53-6#

Martina Runge: Ich hätte es schon ganz gern gehabt, aber mein Schwiegervater war selber sehr lange auf Arbeit. Und meine Schwiegermutter hat das nie gemacht. Die hat auch jede zweite Woche, die hatte vier Stunden in einem Einkaufszentrum gearbeitet. Hat sie auch nachmittags gearbeitet, sodass es da auch nicht gegangen wäre. Und sie war jetzt nicht die, die das Kind geholt hat. #00:23:20-4#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:23:21-2#

Martina Runge: Sie hat das Kind eher bestrickt und so (lacht) #00:23:23-5#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay. Und... aber sonst war das eine Erleichterung, bei Ihren Groß... Schwiegereltern zu wohnen in der Zeit? Oder war das nicht so einfach? #00:23:34-9#

Martina Runge: Ja, wir haben uns gut verstanden. Aber mit vier Mann, oder zeitweise fünf, in einer Zweieinhalbzimmerwohnung, ich war dann schon froh, wo ich eine eigene Wohnung hatte. Weil es auch einfach so Kleinigkeiten waren. Zum Beispiel, ich durfte mein Kind nachts nicht heulen lassen. Also habe ich... und mein Sohn war nicht dumm. Also der hat das sehr schnell rausgehabt, dass er entweder in meinem Bett schläft oder ich ihn stundenlang spazieren trage. #00:24:03-5#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:24:04-1#

Martina Runge: So wo wir dann eine Wohnung hatten, habe ich ihn eine Woche lang weinen lassen und dann hat er durchgeschlafen (lacht). #00:24:10-8#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay. #00:24:13-9#

Martina Runge: Waren einfach so Sachen. Man hatte dann sein eigenes Leben. So wie es jeder junge Mensch eigentlich irgendwann mit einer eigenen Familie will. Es war nicht schlecht. Und wir haben uns gut vertragen. Und es hatte Vor- und Nachteile. Es war immer jemand da, wenn man doch mal sich mit jemandem treffen wollte, der aufs Kind aufpasste oder so. Da war man wieder freier. Aber man musste halt Rücksicht aufeinander nehmen. Aber es ging. #00:24:42-7#

Astrid Kirchhof: Und Sie mussten vermutlich ja auch nicht einkaufen gehen und kochen? Haben das, hat das Ihre Schwiegermutter gemacht? Oder...? #00:24:49-1#

Martina Runge: Ja, unter der Woche wurde ja abends nicht gekocht. Da gab es Schnitten. #00:24:54-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:24:54-5#

Martina Runge: Und da hat das einkaufen da auch meine Schwiegermutter gemacht. Und am Wochenende haben wir dann uns die Arbeit aufgeteilt. Eine hat gekocht und eine hat geputzt und gewaschen. #00:25:07-4#

Astrid Kirchhof: Wenn Sie jetzt sagen, meinen Sie die Frauen im Haus? #00:25:10-7#

Martina Runge: Genau. #00:25:13-1#

Astrid Kirchhof: Und ist Ihr Mann zu der Zeit am Wochenende, durfte der nach Hause kommen oder haben Sie ihn dann nicht so oft gesehen? #00:25:20-7#

Martina Runge: Ich hatte das Glück, dass er in Chemnitz station... stationiert war bei der Bereitschaftspolizei. Dadurch kam er doch für DDR-Verhältnisse relativ häufig. Also er war ungefähr alle zwei Wochen mal da. Aber da kam er nach Dienst. Also er kam dann irgendwann so 18 Uhr. Und musste aber 24 Uhr wieder drin sein. Also er war dann so von 18 bis 23.30 Uhr, 23 Uhr da. Weil er dann um 24.00 Uhr wieder... er hatte keinen Urlaub, sondern nur Ausgang. Aber da es in Chemnitz war, konnte er dann kommen. Da haben wir uns gesehen, aber sein Sohn, der schlief dann natürlich schon, wenn er kam. Den hat er dann nur schlafend gesehen. #00:26:12-3#

Astrid Kirchhof: Würden Sie sagen, das hat... also, das merkt man noch in der Beziehung zwischen Ihrem Mann und Ihrem Sohn, dass die sich am Anfang des Lebens wenig gesehen haben? Oder ist das heute kein... kein...? #00:26:25-0#

Martina Runge: Jetzt nicht mehr. Man hat es lange gemerkt. Also es war... ich würde mal sagen, bis zur Pubertät von meinem Sohn, oder bis nach der Pubertät, hat man das gemerkt. #00:26:36-3#

Astrid Kirchhof: hm, hm (bejahend) #00:26:37-4#

Martina Runge: Weil diese erste Zeit fehlte. Und ich weiß auch, wo mein Mann dann, wo die Armeezeit vorbei war und er kam, hat das meinem Sohn gar nicht gepasst, dass der jetzt für immer da blieb. #00:26:48-7#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:26:49-9#

Martina Runge: (Lacht) Also das hat ihm am Anfang, war das ihm gar nicht recht gewesen, dass er mich dann nicht mehr alleine hatte. Die haben Jahre gebraucht, um zusammenzufinden. #00:27:00-2#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Okay. War das denn für Sie so einfach, dass plötzlich Ihr Mann da war? Oder war es schön einfach? #00:27:09-5#

Martina Runge: Es war schön. Es gab natürlich am Anfang auch... wir mussten uns erst wieder aneinander gewöhnen. Wir hatten ja vorneweg nicht so lange miteinander gelebt. Aber das ging eigentlich relativ schnell. #00:27:20-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Erzählen Sie mir doch noch was also aus dem Labor. Sie haben gesagt, dass Sie verschiedene... nee, warten Sie mal. Was... Gesteine... Gesteine erkundet haben? Haben Sie...? #00:27:34-1#

Martina Runge: Ja. Das Labor gehörte zum Geologischen Betrieb der Wismut. Also das war der Bereich, der für Erkundungsarbeiten zuständig war. Zu dem Betrieb gehörten sehr viele Bohrtrupps, die überall Tiefenbohrungen gemacht haben. Und dann kamen diese Bohrkerne. Die gingen dann in die Markscheiderei. Das waren die Bereiche, die das dann erst mal angeguckt haben. Und daraus haben wir dann Proben bekommen später. Und da wurden die verschiedensten Untersuchungen gemacht. Also Dünnschliffe, wo man das unter dem Mikroskop angeguckt hat, um die Gesteinsart festzustellen. Und dann RFA. Also Röntgenfluoreszenzanalytik auf Uran und chemische Analytik. Und Spektralanalytik. Also ganz verschiedene Analysenverfahren für bestimmte Sachen. Die Spektralanalytik ging schnell. Man schaffte unglaublich viele Proben, war aber nicht so genau. Das war so für Vorerkundung. Und dann wurde geguckt, was weiter untersucht wird, was dann richtig chemisch untersucht wird. Dort haben wir eben die Gesteine auf die interess... Sachen, die von Interesse waren, untersucht. Das war also Uran gewesen. Aber auch auf Sachen, die stören konnten. Wir haben also auch viele Sachen auf andere Stoffe gemacht, die einfach wichtig waren dann für den Aufbereitungsprozess. Oder um auch zu wissen, in welcher Gesteinsart liegt jetzt dort vor. Es arbeiteten ja viele Geologen in dem Betrieb. Und daneben haben wir eben diese ganzen Schachtwässer mit untersucht. Die angefallen sind auf alles mögliche. Also wir haben auch sehr viele Vollanalysen gemacht. Vollanalyse bedeutet, man untersucht alle Anionen, alle Kationen. Was jene Verbindung immer besteht. Und das musste am Ende nach Möglichkeit zu 100 Prozent aufgehen. #00:29:38-6#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:29:39-3#

Martina Runge: Da wurde dann wirklich eine Bilanz gerechnet. Und das haben wir dort gemacht. Damit hat man auch gewusst, was rausgeht eigentlich. Was in die Umwelt geht. Und ob sich dort auch irgendwo was lohnt noch aufzuarbeiten. Und im Laufe der Zeit wurde eben der Uranerkundung der Geologische Betrieb auch zunehmend eingesetzt, um andere Wertstoffe zu erkunden. Also die haben dann auch viel Kohle und Flussspat und Ähnliches gebohrt. Um dort Lagerstätten zu erkunden. #00:30:16-0#

Astrid Kirchhof: Also die... die Gesteine, die Sie bekommen haben zum Analysieren, waren die alle aus der, also aus dem Gebiet Sachsen, Thüringen, in Deutschland, oder auch aus anderen Ländern? Oder...? #00:30:27-4#

Martina Runge: Die meisten waren aus Sachsen, Thüringen. Aber wir haben zum Beispiel auch Gold in der Mongolei Untersuchungen gemacht. Das waren aber kleine Bereiche nur. Also das war jetzt nicht der Hauptteil der Untersuchung. Der Hauptteil der Untersuchung war wirklich aus dem Gebiet der DDR. Nicht nur Sachsen, Thüringen. Das ging dann auch schon weiter, dass die auch in Richtung Brandenburg. #00:30:56-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:30:57-5#

Martina Runge: Oben im Bereich der Kohle und so, dort erkundet haben. #00:31:01-0#

Astrid Kirchhof: Was, was ist denn das Ziel gewesen der Erkun...? Einfach, um zu wissen, was es gibt? Also an Gesteinen? #00:31:07-6#

Martina Runge: Ja, es war Lagerstättenerkundung. Es wurden der... Bodenschätze der DDR feinerkundet, um auszuloten, was abbauwürdig war und was nicht. Weil die DDR ja nun kein rohstoffreiches Land war. Und gucken musste, wo sie eventuell noch einen Bodenschatz findet, den sie nutzen konnte. Um Devisen einzusparen. #00:31:31-2#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Okay, hm (bejahend) Wo hat eigentlich Ihr Mann dann gearbeitet? Was ist sein Beruf? #00:31:38-5#

Martina Runge: Ja, mein Mann hat ein paar, mehrere Lehren gemacht. Damals hat man... also, als ich meinen Mann kennengelernt habe, hat er auf dem Bau gearbeitet. Die haben Industriebau gemacht. Und nachdem unser Sohn geboren wurde und er nach Chemnitz zurückging, hat er zuerst im Strickmaschinenbau gearbeitet. Erst als Kraftfahrer und später hat er dann noch mal eine Ausbildung gemacht zum Hebezeugwärter. Und war in der Gabelstaplerwerkstatt. #00:32:07-6#

Astrid Kirchhof: Okay. Und das hat aber gar nichts mit der Wismut zutun? #00:32:10-8#

Martina Runge: Gar nicht! Nein. #00:32:12-4#

Astrid Kirchhof: Okay. Und bei Ihren Analysen, das muss ich noch mal fragen, Sie haben im Vorgespräch er..., das habe ich gelesen, haben Sie gesagt, ja, von Uran wurde nicht so gesprochen, man hat dann immer von Metall gesprochen? #00:32:25-4#

Martina Runge: Ja. Das Wort, das war ganz lustig. Das Wort Uran gab es bei der Wismut nicht. Also, wenn Sie dort Unterlagen oder Prüfberichte gesehen haben, dort gab's das Formelzeichen. Aber es gab nicht das Wort Uran. Das wurde nicht ausgesprochen. Das gab's nicht. Das war Geheimhaltung. Also es war eh, die Wismut war ja mit Geheimhaltung eh ganz groß. Und dieses Wort hat man in keiner Unterlage gefunden irgendwo. Wenn eben ausgeschrieben wurde, stand dort Metall. #00:32:58-6#

Astrid Kirchhof: Aber dann weiß man ja nicht, welches Metall gemeint ist? #00:33:01-6#

Martina Runge: Naja, doch. Es war ja auf dem Prüfbericht dann... also alle anderen Metalle wurden ja ausgesprochen. #00:33:07-0#

Astrid Kirchhof: Achso! #00:33:07-4#

Martina Runge: Alle anderen Metalle (lacht) wurden ja benannt. Nur Uran wurde nicht benannt. #00:33:12-3#

Astrid Kirchhof: Ach! #00:33:12-9#

Martina Runge: Aber es gab das Formelzeichen. #00:33:15-3#

Astrid Kirchhof: Ach. #00:33:15-6#

Martina Runge: Das war da. Aber nicht der Name. #00:33:18-5#

Astrid Kirchhof: Sie wussten ja, Sie sind ja Expertin darin, Sie wussten ja genau, mit welchen Materialien Sie zutun haben. Ist denn das gefährlich, wenn man jetzt als Laborantin mit Uran in Berührung kommt? #00:33:32-0#

Martina Runge: Nee. Das, was wir dort untersucht haben, waren zum einen nicht die hohen Konzentrationen. Es gab ja noch ein anderes Labor, das dann wirklich die hochkonzentrierten Erze untersucht hat. Dort haben aber zu DDR-Zeiten keine DDR-Bürger, sondern nur Sowjetbürger gearbeitet. Weil...? #00:33:54-3#

Astrid Kirchhof: Warum? #00:33:55-1#

Martina Runge: Naja, das, dort waren ja wirklich die konzentrierten Materialien. Und so sehr hat man uns wahrscheinlich doch nicht vertraut (lacht). Es war ja bei der Wismut auch so, auf jeden deutschen Chef kam ja noch mal ein sowjetischer Chef. Der da aufgepasst hat. #00:34:07-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), okay, hm (bejahend) #00:34:09-1#

Martina Runge: Und in dem Labor haben wirklich keine... also erst ganz spät, kurz vor der Wende, die ersten Deutschen gearbeitet. Ansonsten haben dort alles Sowjets gearbeitet. Und die Konzentration bei uns war nicht so hoch. Und ich muss auch ehrlich sagen, es hat sich auch keiner einen Kopf drüber gemacht. Weil die Arbeitsbedingungen vom Arbeitsschutz her waren in Ordnung. Zumindest für DDR-Verhältnisse waren die wirklich gut. Und viele Sachen, wo man heute sagen würde um Gottes Willen... es war damals so. Also da hatte ich, ich muss ganz ehrlich sagen, da hatte ich in Böhlen im Chemiewerk wesentlich schlimmere Arbeitsbedingungen vom Arbeits- und Gesundheitsschutz gehabt wie bei der Wismut. Ich habe mich mit dem Wechsel deutlich verbessert. Und es war ja natürliches Uran. Und natürliches Uran ist ja jetzt nicht so stark radioaktiv. #00:35:06-3#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:35:06-7#

Martina Runge: Das sind ja die Isotope, die nur... also natürliches Uran strahlt nicht so stark. Das ist nicht gefährlich. #00:35:16-6#

Astrid Kirchhof: Also das würden Sie auch heute im Rückblick sagen, das war in Ordnung, das ist nicht...? #00:35:21-2#

Martina Runge: Das war vollkommen in Ordnung. #00:35:23-1#

Astrid Kirchhof: Und können Sie... was heißt denn genau, was gab es denn für Arbeitsschutzvorrichtungen oder Gesetze oder... haben Sie da ein Beispiel? #00:35:31-3#

Martina Runge: Ja. Es gab erstens ordentliche Arbeitskleidung. Und vom Arbeitsschutz her, es gab eben wirklich auch, also wir hatten ordentliche Abzüge im Labor. Und auch ausreichend Abzüge. Wo ich vorneweg gearbeitet hatte in Böhlen, dort war das bei Weitem nicht so. Dort haben wir viele Sachen, die unter einen Abzug gehört hätten, so gemacht. Das gab's bei der Wismut nicht. Dort hatten wir eigentlich schon ordentliche Bedingungen gehabt, wo man auch dem Gesundheitsschutz entsprechend arbeiten konnte. Und es war ja zu DDR-Zeiten sowieso so, man hat ja jeden Tag nun auch seine Milch bekommen (lacht). #00:36:14-6#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:36:16-8#

Martina Runge: (Lacht) Ja, es war so. Man bekam seine Milch jeden Tag. Seine Flasche Milch. Und wenn es heiß war gab es Tee und Kaltschale. Und solche Sachen wurden ja wirklich gemacht. Und bei der Wismut gab es ja auch... wir hatten ja im Geologischen Betrieb eine eigene Arztpraxis da. Und es gab wirklich regelmäßige Untersuchungen auch... man wurde regelmätig geröntgt. Da kam so ein Röntgenwagen und so. Also da wurde wirklich schon viel gemacht. Also wir mussten für einen Arztbesuch nicht die Firma verlassen. Haben natürlich auch dementsprechend gleich den Krankenschein gekriegt. #00:36:58-7#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Sie haben gesagt, dass sogar der Zahnarzt und der Frauenarzt war vor Ort, also man hatte... #00:37:04-8#

Martina Runge: Die kamen dann zu... also die waren nicht immer vor Ort. Die kamen immer so in regelmäßigen Abständen. Also es war wirklich so. Und die Wismut hatte ja auch in Siegmar, das ist praktisch der äußerste Zipfel von Chemnitz, eine eigene Polyklinik. Und die hatte ja auch mehrere eigene Krankenhäuser gehabt. Die alle für DDR-Verhältnisse sehr gut ausgestattet waren. #00:37:32-8#

Astrid Kirchhof: Haben Sie viele Leute kennengelernt, die krank geworden sind bei der Wismut? Wo Sie sagen würden, das hat mit den Arbeitsbedingungen zu tun? #00:37:41-9#

Martina Runge: Nee. / Astrid Kirchhof (unv.) / Martina Runge Eigentlich nicht. Also, wir waren aber eben auch nicht unter Tage. Wir waren ja ein Bereich, der wirklich über Tage gearbeitet hat und nicht unter Tage. Aber bei uns da draußen gab's eigentlich... also ich wüsste jetzt niemanden, der eine berufsbedingte Erkrankung hatte. #00:38:02-6#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Sie haben dann gesagt, Sie blieben dort bis 2003. #00:38:10-1#

Martina Runge: Ja. #00:38:10-9#

Astrid Kirchhof: Wie hat sich denn Ihre Arbeit dann nach dem Mauerfall, nach der Wiedervereinigung, verändert? Oder war das dieselbe Arbeit? #00:38:20-5#

Martina Runge: Na, der Druck wurde größer. Der Druck wurde deutlich größer, weil zum einen dann... hatten dann gerätetechnisch über die Jahre neue Möglichkeiten. Ich bin dann natürlich auch... ich habe ja so ab Mitte des Studiums, habe ich eine etwas höhere Funktion bekommen. Da war ich dann verantwortlich für die Schwermetallanalytik. Später dann war ich Verantwortliche des... für das chemische Labor und die Qualitätssicherung. Hab also mich ja am Ende des Studiums von der Funktion her verändert. Damit mehr Verantwortung, auch mehr Druck. Weil wir mussten uns dann selber finanzieren. Wir hatten dann also auch, ja, die Aufgabe, Geld zu verdienen. Und in den ersten Jahren des, von C&E, war es auch so gewesen, da, der, das Ingenieurbüro nicht angenommen wurde von, von der Bevölkerung, oder von der anderen Industrie. In den ersten paar Jahren hat das Labor, weil das so viel Anal... Katasteranalysen gemacht hat, ein bisschen die ganze Firma über Wasser gehalten. Weil wir dort wirklich sehr hohe Gewinne erwirtschaftet hatten durch die Unzahl an Analysen. Ich... für mich war es ja so, 88 [1988] war es die ersten, bis zur Wende war es so, dass ich einen Tag freigestellt wurde, um zum Studium zu fahren nach Berlin. War ja ein Fernstudium. Und nach der Wende war es erst so, da habe ich einen Tag Kurzarbeit bekommen. An dem bin ich dann zum Studium gefahren. Und danach war das sonnabends. Und an den Sonnabenden, wo ich nicht im Studium war, war ich arbeiten. Also wir hatten so viel Arbeit gehabt, dass wir über weite Strecken wirklich sechs Tage die Woche gearbeitet haben. Um die Arbeit zu schaffen. Und auch sehr viele Überstunden gemacht haben. Weil ganz einfach durch den Sanierungsdruck bei der Wismut waren die Katasteranalysen ja wichtig. Und die waren die Grundlage dafür. Und da hatten wir wirklich, und haben riesen Probenserien in der Zeit durchgezogen. #00:40:36-6#

Astrid Kirchhof: Was ist denn eine Katasteranalyse? #00:40:39-7#

Martina Runge: Katasteranalyse ist eine Bestandsaufnahme. Es wurden ja die Halden der Wismut saniert. Und das, was auf die Halde kam, hat ja im Vorfeld niemanden weiter groß interessiert. Und das musste jetzt untersucht werden, dass man wusste, wie man es sanieren kann. Es wurde ja bei der Sanierung zum Teil wieder in die Schächte verfüllt. Zum Teil aber auch abgedeckt. Und da waren umfassende Analysen notwendig. Weil hinterher war weniger das Uran das Problem. Sondern die anderen Metalle. Gerade Arsen, was in großen Konzentrationen dort drinne war, in dem Gestein. Und natürlich mit hochgeholt wurde. #00:41:22-9#

Astrid Kirchhof: War... Sie meinen, das war mit auf den, ja, in den Halden lag? #00:41:27-4#

Martina Runge: In den Halden drinne, genau. #00:41:29-3#

Astrid Kirchhof: Und das ist so gefährlich, weil Arsen einfach giftig ist? #00:41:32-8#

Martina Runge: Ja, ja. Arsen ist ein starkes Umweltgift. Das ist auch heute, wenn man heute Sanierungsuntersuchungen macht, sind die Gehalte, die zulässig sind an Arsen, sehr niedrig. Und da hat man hier im Erzgebirge, weil es geogen überall vorhanden ist, immer ein Problem, dass man dort Grenzwerte einhalten muss, die... wenn ich irgendwo hier im Erzgebirge eine Schaufel Boden aushebe, wird die sofort zur Altlast. Weil geogenbedingt, ohne, dass dort ein Mensch was dran getan hat, so viel Metalle oder hauptsächlich Arsen dort drinne ist, dass ich die Grenzwerte überschreite und die Schaufel eigentlich nicht wieder an der Stelle verbuddeln darf, wo ich sie rausgebuddelt habe. #00:42:22-1#

Astrid Kirchhof: Okay. Wenn Sie dann sechs Tage die Woche gearbeitet hat, irgendwann war ja Ihr Sohn auch in der Pubertät. Der muss ja sehr selbstständig gewesen sein. #00:42:33-7#

Martina Runge: Ja, na zu dem Zeitpunkt war das, das war mit den sechs Tagen, das war so die ersten zwei Jahre nach der Wende. #00:42:40-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:42:41-5#

Martina Runge: Zwei, drei Jahre nach der Wende. Dann hat sich das... dann ging ja die Analytik für die Wismut sukzessive zurück. Und dann normalisierte sich das. Dann waren die Arbeitstage wieder normal. Und mein Sohn war selbstständig. Aber es war, ja, der war ja noch zur Hälfte ein DDR-Kind. Und die Kinder wurden damals auch selbstständiger erzogen, weil in der DDR eigentlich alle Mütter arbeiten gingen. #00:43:09-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend) #00:43:10-5#

Martina Runge: Und die Kinder da gingen in, in Kinderkrippe, in Kindergarten. Und dann in den Hort. Und... #00:43:18-8#

Astrid Kirchhof: Das... ich hab noch nicht, warten Sie, ich muss gerade mal nachdenken. Sie haben vorher gesagt, Sie mussten ja Gewinne erwirtschaften. Und Sie waren unabängig von der Wismut. Ist das, was Sie meinten, mit Akkreditierung? #00:43:33-5#

Martina Runge: Ja. Naja, das Labor wurde nach der Wende aus der Wismut ausgegliedert. Also es war dann nach der Wende so, dass alle Bereiche, die nicht direkt mit dem Bergbau zutun hatten, die wurden aus der Wismut ausgegliedert. Wir waren von einem Tag auf den anderen, waren wir keine Wismut mehr. Wir mussten damals auch, wir hatten zwei Wochen Zeit, die Knappschaft zu verlassen. Und uns eine andere Krankenkasse zu suchen. So. Und diese Bereiche wurden verkauft. Die wurden ausgegliedert und verkauft. Und der, also der Bereich, in dem ich arbeitete, Geologischer Betrieb, WTZ und Projektierungsbetrieb, das wurde eben an diese damalige Siepe-Holding verkauft. Und die hat aus diesen Bereichen dann das Unternehmen Consulting & Engeneering gegründet. #00:44:26-9#

Astrid Kirchhof: Können Sie mir noch mal sagen, Liebe, wie schreibt man...? #00:44:29-6#

Martina Runge: Siepe. Mit S. Siepe. Mit Siegfried vorne. #00:44:33-9#

Astrid Kirchhof: A-ha, ah, okay. Siepe-Engeneering, achso, okay, verstehe. #00:44:37-6#

Martina Runge: hm (bejahend) Das war eben jemand aus den alten Bundesländern, der, ja, wir haben damals bösartig gesagt, der Ingenieurbüros sammelt. Der hatte eine Holding gehabt aus allen möglichen Ingenieurbüros. #00:44:52-0#

Astrid Kirchhof: Und wussten Sie, dass Sie da wieder eine neue Arbeit, also dass Sie nicht arbeitslos werden? Oder hatten Sie Angst, Sie könnten, oder...? #00:44:59-5#

Martina Runge: Ich hatte das Glück, dass ich ein Ausrufezeichen hatte. Also es ist damals, wo ich anfing in dem Labor, waren wir über 80 Mitarbeiter im Labor vom Geologischen Betrieb. Und nach der Wende waren wir dann knapp 20 die übrig blieben. Also über die Wendezeit wo, ist das Labor unglaublich geschrumpft. Es gab sehr viele Entlassungswellen in allen, in den ganzen Teilbereichen. #00:45:32-1#

Astrid Kirchhof: Und was heißt Ausrufezeichen? #00:45:34-7#

Martina Runge: (Lacht) Ausrufezeichen bedeutet, dass man irgendwas konnte, was gebraucht wurde. Also ein Alleinstellungsmerkmal. Bei mir war es die Schwermetallanalytik die ich dort konnte an den modernen Geräten. Und alle anderen in meinem Alter sind entlassen worden. Weil es ging ja nach Sozialauswahl. Und da blieben die Älteren. Und die, die noch mehr Kinder hatten und alle. Es gab so Sozialpunkte. Und es sei denn, man hatte im Prinzip dieses aus, also dieses Alleinstellungsmerkmal. #00:46:11-0#

Astrid Kirchhof: Und wie kam das, dass Sie Schwermetallspezialistin waren? #00:46:16-1#

Martina Runge: Na, es war... es gab eine Laborantin, die das gemacht hat. Und ich weiß jetzt nicht, warum der Herr Lohs mich ausgewählt hat, aber irgendwann wurde ich dort mit dazugestellt. Und wurde mit eingearbeitet. Und habe das dann eine ganze Zeit neben ihr gemacht. Also habe das sehr gründlich von ihr gelernt. Und musste, bevor ich das erste Mal alleine machen durfte, musste ich auch regelrecht vor dem Herrn Lohs eine Prüfung machen. Und habe dann in der Zeit erst mit ihr zusammen... und die ist dann aber krank geworden. Die ist sehr schwerhörig geworden. Und hat dann irgendwann das Unternehmen aus Krankheitsgründen verlassen nach... aber auch so in der Wende-Zeit. Und da war ich die, die diese gesamte Schwermetallanalytik halt beherrschte. #00:47:07-9#

Astrid Kirchhof: Sie haben vorher gesagt, irgendwann ging ja dann Anfang der 90er Jahre [1990er] die Analyse zurück. Aber Sanierung ist doch bis heute. Wie kann dann die Analyse zurückgehen? #00:47:19-4#

Martina Runge: Wir haben nur die Katasteranalytik gemacht. Also die Bestandsanalytik. Die, die Bestandsaufnahme. #00:47:26-9#

Astrid Kirchhof: Achso. #00:47:27-9#

Martina Runge: Die Sanierungsbegleitung, dafür hatte die Wismut immer noch mehrere eigene Labore, die das bis heute machen. #00:47:36-5#

Astrid Kirchhof: Ah, okay, verstehe. Und... #00:47:39-2#

Martina Runge: Wir haben nur diese Bestandsaufnahme gemacht. #00:47:42-0#

Astrid Kirchhof: Und sagen Sie mir noch mal, was kam denn dann danach? Also was inhaltlich. Was haben Sie dann danach...? #00:47:48-7#

Martina Runge: Inhaltlich kam dann Umwelt- und Altlastenanalytik, die wir gemacht haben mit dem Labor. Weil das ja auch, dort hatten wir ja eine sehr große Kompetenz. Also mit schwierigen Proben und mit Gestein und Feststoffen kannten wir uns ja aus. So. Und das, in dem Bereich Bau und Umwelt hat auch dieses Consulting&Engeneering, das war ja dann ein Ingenieurbüro, gearbeitet. Und da haben wir etliche Aufträge von dort bekommen. Und aber auch selber am Markt akquiriert. Wir haben dann über die Jahre behördliche Abwasseranalytik gemacht. Wir haben sehr, sehr viel Sanierungsanalytik gemacht. Es wurde ja nicht nur die Wismut saniert, sondern ganz viele Industrie- und Altlastenstandorte der DDR wurden ja nach der Wende saniert. Und dort musste ja überall erst mal die Analytik gemacht werden. Und am Anfang ein Sanierungskonzept gemacht werden. Die Sanierung begleitet werden. Und sowas haben wir über viele Jahre gemacht. Wir haben über viele Jahre auch Monitoringanalysen gemacht. Das bedeutet, Monitoring ist, wenn, ja eine begleitende Analytik. Entweder zu einer Sanierung oder auch, es gibt auch Monitorings, wo einfach nur geguckt wird, dass sich der schlechte Zustand nicht weiter verändert. Zum Beispiel in Leuna. Wir haben viele Jahre lang das Monitoring, das Grundwasser-Monitoring in Leuna gemacht. Das war ein sehr großer Auftrag. Das waren auch sehr viele Proben. Weil dort vieles gar nicht saniert werden kann. Da steht ein Werk und eine Stadt drauf. Und da passt man nur auf, dass sich das nicht weiter ausbreitet. Dass das wirklich so bleibt. #00:49:38-5#

Astrid Kirchhof: Ist es denn... #00:49:39-3#

Martina Runge: Und beobachtet das. #00:49:40-4#

Astrid Kirchhof: Ist es der Staat, der Sie beauftragt hat und da ein Interesse hat? Also...? #00:49:44-8#

Martina Runge: Nee. Es waren im Wesentlichen die Firmen. Wobei es in den ersten zehn Jahren nach der Wende ja so war, da gab's diese sogenannten Freistellungsaufträge. Also wenn man eine Fläche gekauft hat oder eine Fläche hatte, die altlastenverdächtig war, und diese Altlast in der DDR entstanden war, konnte man sich von der Altlast freistellen lassen. Da musste man Anträge stellen. Und dann wurde diese Sanierungsmaßnahme vom Staat bezahlt. Da floss damals sehr viel Geld vom Staat rein. #00:50:21-8#

Astrid Kirchhof: Das heißt also, dass ich das noch mal verstehe, bis 2003 haben Sie zwar für die Wismut gearbeitet und analysiert, aber Sie waren kein Wismut-Labor mehr? #00:50:31-1#

Martina Runge: Wir waren kein Wismut mehr. #00:50:32-9#

Astrid Kirchhof: Ah, okay. #00:50:34-3#

Martina Runge: Wir waren ab Neunzehnhundert... ich müsste jetzt lügen, ab Ende, ob das schon 90 [1990] war? Aber ich glaube, 1991 sind wir ausgegliedert worden. #00:50:43-6#

Astrid Kirchhof: Okay. Und dann nach 2003, wie hieß dann die Firma, für die Sie ge...? Oder Sie haben dann gesagt, dann bin ich weggegangen von da. #00:50:53-0#

Martina Runge: Ich wurde dann ein bisschen abgeworben und habe dann in Jena bei der Food GmbH gearbeitet. Das gehörte zur Aua Gruppe. Das war das größte private Umweltlabor der neuen Bundesländer. Der Leiter war der Professor Grün. Die haben, wir haben Landwirtschafts-, Umwelt-, Lebensmittelanalytik dort gemacht. Auch schon ging dann in Richtung Gentechnikanalytik. Der hat das damals sehr breit gefächert. Und dort habe ich dann wieder (lacht) Schwermetallanalytik gemacht. Der hatte damals sich ein ganz neues hochmodernes Messgerät gekauft und brauchte jemanden, der das macht. Und die Bedingungen waren damals dann schlechter geworden. Hing auch mit der Leitung des Labors zusammen, mit dem Laborleiter. Und dann bin ich weggegangen. #00:51:48-5#

Astrid Kirchhof: War... heißt Aua Group Aua oder Au-E-R? #00:51:53-0#

Martina Runge: Nee, Aua. A-U-A. #00:51:54-7#

Astrid Kirchhof: Ah ja. #00:51:55-5#

Martina Runge: So wie wenn es... so wie wenn's einem weh tut. #00:51:57-8#

Astrid Kirchhof: Okay, aua (lacht) #00:51:59-2#

Martina Runge: Aber das gibt's jetzt in der Form nicht mehr. Das ist... nach und nach verkauft worden die Teile. Weil der Professor Grün dann auch älter wurde. #00:52:13-0#

Astrid Kirchhof: Und war das eine gute Entscheidung, sich noch mal zu verändern? Oder haben Sie am Schluss gedacht, ach, naja, hätte ich doch bleiben sollen? #00:52:20-6#

Martina Runge: Nee, es war eine sehr gute Entscheidung. Ich habe in den Jahren dort unglaublich viel gelernt. Weil ich plötzlich auch auf anderen Gebieten, also gerade Lebensmittelanalytik Ähnliches gearbeitet habe. Auch eben mal in andere Firmen reingucken konnte. Weil diese Aua-Gruppe, das wurde dann an einen Großkonz... also an Laborkonzern Eurofins verkauft. So, danach wusste ich, dass ich in so einem Konzern nicht arbeiten möchte. Also, es ist immer, ich sage immer, es ist der Unterschied. So ein kleines bis mittleres Labor, es ist Handwerk. Und in diesen Laboren, das ist Fabrik. Es ist einfach so. Und mir liegt Handwerk besser. Also ich will auch meine Kunden kennen und will auch wirklich gute Analytik machen. Und nicht bloß Proben schrubben. #00:53:14-8#

Astrid Kirchhof: Okay. Und Analytik machen war in der Aua-Group besser? #00:53:19-5#

Martina Runge: Das war sehr gut dort, ja. Es waren sehr gute Arbeitsbedingungen und auch ein sehr gutes Arbeitsklima dort. #00:53:28-6#

Astrid Kirchhof: Und mal so, dann kennen Sie sich ja sehr gut aus, wie belastet unsere Lebensmittel sind. Ist das immer da, auch im Privaten, wenn Sie kochen? Dass Sie gar nicht mehr davon an etwas anderes denken können? Oder ist es eher positiv? #00:53:46-6#

Martina Runge: Nee, ich bin da, also... ich bin eben, also ich bin niemand, der jetzt groß Fast Food oder Dosen oder Ähnliches verwendet. Aber eigentlich schon von jeher. Und... ich weiß einfach bei bestimmten Sachen, wenn ich Obst aus einer Plantage kaufe, weiß ich, dass es untersucht wird, bis es knapp unter dem Grenzwert ist mit den Pestiziden. Und dann geht es in den Handel. So. Es sei denn, ich kaufe Bio. Ich habe einen großen Garten, ich muss nicht viel kaufen. #00:54:23-3#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay. Und jetzt sind Sie wo angestellt? Sie arbeiten ja noch. #00:54:30-2#

Martina Runge: Ich arbeite. Ich bin jetzt bei der Südsachsen Wasser angestellt. Das ist einer der größten Wasserversorger hier in der Region. Wir betreiben neun Wasserwerke. Wir liefern aber nicht an den Endkunden. Wir liefern an andere Wasserversorger. Die unser Wasser mit ihren eigenen Dargeboten mischen. Und dann an die Endkunden liefern. #00:54:53-7#

Astrid Kirchhof: Wasserversorger heißt, in Flaschen abfüllen? #00:54:56-7#

Martina Runge: Nein. Wasserversorger heißt, aus der Leitung kommen. #00:54:59-7#

Astrid Kirchhof: Achso (lacht) #00:55:00-5#

Martina Runge: (Lacht) Wasserversorger sind die Zweckverbände, wo man zum Bei..., sein Wasser holt. Bei Ihnen sind es die Berliner Wasserbetriebe, sind der Wasserversorger. #00:55:13-1#

Astrid Kirchhof: Ah, okay, verstehe. #00:55:14-2#

Martina Runge: Ihre Laborleiterin kenne ich auch (lacht) #00:55:15-8#

Astrid Kirchhof: Ah, okay, gut (lacht) Das sagt mir was, Berliner Wasser. #00:55:19-1#

Martina Runge: Ja. So und, so in der Form ist es bei uns auch. Es ist nur hier in Sachsen in der Region ein bisschen anders. Oder in Südsachsen wurde das damals anders gegliedert. Das ist die ehemalige W... Wasserversorgung hier. Die wurde dann privatisiert. Und dann gibt es einen Zweckverband Fernwasser Südsachsen. Den gehören die neun Wasserwerke. Und wir sind die Süsachsen Wasser GmbH. Wir betreiben diese Wasserwerke für den Zweckverband. Also der Zweckverband, dem gehören die Wasserwerke. Der hat da nicht einen Mitarbeiter. Und wir sind die Mitarbeiter und sind bei dem im Prinzip im Dienstverhältnis zum Betreiben der Wasserwerke. Wir bereiten komplett nur Talsperrenwasser auf. Da können Sie als Berliner, ich kenne das Wasser von Berlin, nur davon träumen. Wir müssen unser Wasser aufhärten. Weil das so weich ist (6 Sekunden Pause) #00:56:21-7#

Astrid Kirchhof: Also Sie, Sie sind da weiterhin im Labor tätig und... #00:56:25-9#

Martina Runge: Ja. #00:56:26-1#

Astrid Kirchhof: ...untersuchen jetzt Wasser, nicht mehr Gestein? #00:56:28-5#

Martina Runge: Nein. Ich bin im, also das Labor untersucht nicht nur Wasser. Wir sind ein Labor mit 42 Mitarbeitern an drei Standorten. Der Hauptteil der Aufgabe ist natürlich Wasser, Trinkwasser, Kühlwasser, Grundwasser. Aber wir haben im Bereich Abwasser, untersuchen wir weiterhin auch Altlasten. Also Boden und auch Schutt. Aber keine geologischen Untersuchungen. Aber Altlastenuntersuchungen machen wir auch dort. Und ich bin Sachgebietsleiter Abwasser. Also ich habe, ich bin meinem Bereich nicht ganz (lacht) untreu geworden. Ich kümmere mich um die Abwasseranalytik. Wir machen sehr viel behördliche Abwasseranalytik. Und aber auch für private Leute Abwasseranalytik. Und Bodenanalytik, Bauschuttanalytik, Altlastenanalytik. #00:57:22-4#

Astrid Kirchhof: Und diese Analyseverfahren, egal jetzt ob Wasser, also fest oder flüssig, die sind sich ähnlich? Also... oder mussten Sie da noch mal eine Ausbildung dafür machen oder eine Fortbildung? #00:57:33-4#

Martina Runge: Nee. Die sind sich ähnlich. Weil, wenn man im akkreditierten Bereich arbeitet, arbeitet man nach Din-Norm. Also es ist alles festgelegt, wie die Analyse abzulaufen hat. Gerade für uns als Labor. Wir arbeiten eben sehr viel im gesetzlich geregelten Bereich, sind die Verfahren, nach denen analysiert wird, vorgeschrieben. In dem Labor hier, muss ich aber sagen, das ist, ja, für einen Analytiker ist es ein Traum von einem Labor. Wir haben ein wunderbares Labor mit einer hervorragenden Ausstattung. Und können dort wirklich... der Schwerpunkt liegt auf guter Analytik. Auf qualitativ hochwertiger Analytik. #00:58:16-7#

Astrid Kirchhof: Und würden Sie sagen, im Rückblick, der Beruf hat gehalten, was Sie sich von dem versprochen haben? #00:58:23-8#

Martina Runge: Ja. Das hat er. Also ich bin jemand, ich bin mittlerweile sehr viel im Büro. Bringt eine Leitungsfunktion so mit sich. Bin aber, da ich mich um die Kunden und die Proben anmelden, und auch Prüfberichte und validieren, also überprüfen, ob alles passt. Und Kunden beraten, kümmere immer noch sehr dicht an der Praxis. Und Labor kommt meiner Neugier entgegen. Und da ist auch für mich der Bereich Abwasser und Altlasten schöner wie Trinkwasser. Beim Trinkwasser untersuche ich, dass das Wasser sauber ist. Dass nichts drin ist. #00:59:02-7#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:59:03-3#

Martina Runge: Im Altlastenbereich ist jede neue Probe eine Wundertüte. #00:59:06-6#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #00:59:07-4#

Martina Runge: Weil man nie weiß, was man kriegt. Und man... wir können so wirklich sehr oft Probleme von Kunden lösen. Und das macht Spaß. #00:59:16-5#

Astrid Kirchhof: Was für Probleme sind das? Also nur, damit ich mir das vorstellen kann. #00:59:21-1#

Martina Runge: Ja. Wenn zum Beispiel ein, ein, also eine Kläranlage hat plötzlich irgendwo eine Überschreitung. Muss rausfinden, wo kommt die her. #00:59:30-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #00:59:31-7#

Martina Runge: Oder in einem Gewerbe... in einem Gewerbegebiet. Welche von den vielen Firmen ist das jetzt? #00:59:37-6#

Astrid Kirchhof: Okay. #00:59:38-7#

Martina Runge: Sowas zum Beispiel machen wir. Oder in einem Unternehmen gibt's halt Probleme. Weil die Abwassergrenzwerte nicht einhalten können. Dann helfen wir denen dabei, Lösungen zu finden, dass sie diese Werte einhalten können. Dass ihr Abwasser besser wird. #00:59:54-7#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) okay. Habe ich das vorher richtig verstanden, die sächsischen Wasserbetriebe sind privatisiert? #01:00:01-4#

Martina Runge: Ja. #01:00:02-3#

Astrid Kirchhof: Okay. Ist das was Gutes? Oder wäre es besser, wenn Sie in staatlicher Hand noch wären? #01:00:08-0#

Martina Runge: Ja, das sind ja, das sind keine Unternehmen, privat jetzt, die einer Person gehören. Wie zum Beispiel Tesla oder so. Das sind Zweckverbände. Also die gehören... die Eigentümer dieser Wasserbetriebe sind Kommunen. #01:00:27-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:00:28-3#

Martina Runge: Die sind privat. Das sind in der Regel GmbHs oder so. Aber die sind... die Eigentümer ist... verschiedene öffentliche, verschiedene Betr... Bereiche der öffentlichen Hand. Also die... das ist halb privat. Nicht ganz privat. Ist auch bei uns so. Wir werden zum Beispiel auch in... haben einen eigenen Tarifvertrag, werden aber in Anlehnung an den öffentlichen Dienst bezahlt. Und wenn ich irgendwo eine Versicherung abschließe, gilt das wie öffentlicher Dienst. #01:00:56-6#

Astrid Kirchhof: Okay, verstehe. #01:00:58-2#

Martina Runge: Weil wir sind eine GmbH. Aber unsere Eigentümer sind wirklich andere Zweckverbände und Kommunen. #01:01:04-7#

Astrid Kirchhof: Ah, okay. Und wird das, was denken Sie, Ihre letzte Arbeitsstelle bleiben? #01:01:10-3#

Martina Runge: Ich hoffe es. #01:01:12-0#

Astrid Kirchhof: Jetzt haben... jetzt sind wir erst durch mit dem ersten Teil, Frau Runge. #01:01:17-3#

Martina Runge: hm (bejahend) #01:01:17-8#

Astrid Kirchhof: Meine ganzen Nachfragen. Jetzt würde ich zu den Fragen kommen, die ich quasi allen stelle. #01:01:22-4#

Martina Runge: Ja! #01:01:22-9#

Astrid Kirchhof: Haben wir noch Kraft? Ja, oder? #01:01:24-5#

Martina Runge: Ja. #01:01:25-0#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay. Also meine erste Frage geht zu den Zäsuren. Und dadurch, dass Sie erst 64 [1964] geboren sind, ist zum Beispiel der Mauerbau keine Zäsur, an die Sie sich erinnern können. Deswegen möchte ich jetzt nur an die, an 89 [1989]... #01:01:40-9#

Martina Runge: hm (bejahend) #01:01:41-2#

Astrid Kirchhof: ...nach 89 [1989] fragen. Und zwar einmal, ob das im Betrieb besprochen wurde. Wie Sie dazu standen. Wann Sie das so richtig realisiert haben. Waren Sie mit dabei beim Demonstrieren? Wie war die Atmosphäre im letzten Jahr 88 [1988], 89 [1989]? #01:01:57-7#

Martina Runge: Gut. Also in der Wismut war es so, es hat natürlich überall gegärt und gebrodelt. Und bei der Wismut war es so, dass man damals schon merkte, eigentlich es geht zu Ende. Weil wir hatten kein Uran mehr zu erkunden. Da gab's ja nicht mehr so viel. Und da kam dann schon die Frage auf, was wird? Und bei dem politischen... ich war jetzt niemand, der auf die Demos gegangen ist. Ich hatte ein kleines Kind damals zu Hause gehabt. Und bei der Wismut war es eh nicht so, dass man da unbedingt gerne gesehen war, wenn man (lacht) dahin gegangen ist. Aber man hat das natürlich unheimlich verfolgt. Aber zum einen mit Hoffnungen und zum anderen mit Angst. Was für mich faszinierend war, war gewesen, die ganze, oder viele aus der Betriebs- und Parteileitung vom Betrieb, wo die auf einmal Westverwandtschaft nach der Wende her hatten, die sie besuchen konnten. #01:03:04-7#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:03:05-8#

Martina Runge: Ich hab gesagt, das waren ja die, die vorneweg gepredigt haben, man durfte, wir durften ja keine Kontakte, nichts, in der Zeit nach Möglichkeit, sollte man nicht haben. Es war, ich glaube 88 [1988], da durfte irgendeiner aus dem Betrieb mal in den Westen fahren. Irgendjemanden besuchen bei einer Familienfeier. Das war eine Sensation! Weil für die Wismut gab's das nicht. Und ich kannte das auch. Meine Eltern, ich bin ja wie gesagt Preuße. Und meine Mutti ist ein paarmal zu ihren Geschwistern in die jetzigen alten Bundesländer zu DDR-Zeiten gefahren. Und jedes Mal, wenn die das beantragt hat, wurde die nach mir ausgefragt. Nach meiner Arbeit. Die hat nirgendwo angegeben, wo ihre Tochter arbeitet. Dass sie die überall... also Anzahl der Kinder ja. Aber jedes Mal wurde die dort, oben in Preußen auf der Polizeistelle, wo die das beantragen musste, nach meiner Arbeit bei der Wismut ausgefragt. Was ich erzähle. Also da hat man schon unheimlich aufgepasst. Meine Mutti war ja nicht dumm. Die hat dann die angeguckt, hat gesagt, och, die ist da im Labor, aber wissen Sie, ich hab doch von sowas keine Ahnung, was die da macht! (Lacht) #01:04:22-1#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:04:22-9#

Martina Runge: Die hat mir das dann immer hinterher lachend erzählt. Die haben mich wieder über dich ausgefragt (lacht) #01:04:27-3#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay, verstehe. #01:04:30-4#

Martina Runge: So. Und nach der Wende war das dann plötzlich, ja, ein ganz normaler Betrieb. Aber bis zum Ende der DDR war das wie so eine Welt für sich. Weil wir hinter unserer Mauer saßen. #01:04:45-7#

Astrid Kirchhof: (Setzt an)... #01:04:46-8#

Martina Runge: Also ich meine jetzt in der Firma. #01:04:49-4#

Astrid Kirchhof: Sie haben ja gesagt, man hat es so verfolgt mit Hoffnung und Angst. Worin bestand die Hoffnung und worin bestand die Angst? #01:04:57-1#

Martina Runge: Ja, die Angst, was wird dann? Weil, ich meine, in den normalen Produktionsbetrieben haben viele ja nicht gedacht, dass es diese Betriebe dann nicht mehr geben wird. Uns war das klar! Dass wir nicht mehr gebraucht werden (lacht) nach einer Wende. Weil wir waren eine sowjetische Firma. Und man hat es ja auch gesehen. Ich meine, man konnte ja dann gar nicht so schnell gucken, wie die Sowjets das abgegeben haben. Und im Prinzip Deutschland mit der Altlast alleine ließen. Also das war dann schon bei uns die Angst, was wird aus diesem sowjetisch-deutschen Betrieb, wenn es eine Wende gibt? #01:05:35-0#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:05:35-8#

Martina Runge: Und andererseits die Hoffnung, die alle hatten. Dass sich das ganze System verändert und verbessert. #01:05:43-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) War das für Sie auch in der DDR schon, weiß ich nicht, mit Ihrem Mann, oder mit Ihren Eltern oder Geschwistern, ein Thema? Dass Sie sich manchmal darüber unterhalten haben, dass, ja, sich manches zum Besseren wenden könnte in der DDR? Oder dass man da Kritik geübt hat? Oder sich das gewünscht hat? #01:06:02-2#

Martina Runge: Natürlich. Man, man hat ja die Zustände gesehen. Wenn es was nicht gab. Aber andererseits war es ja so, man war in dem System aufgewachsen und war daran gewöhnt. Und bis 89 [1989], hätte 88 [1988] irgendjemand gesagt, in einem Jahr gibt's hier eine Wende, hätte man den doch für verrückt erklärt. Man konnte es sich ja nicht vorstellen. Mir ist es ganz sehr bewusst geworden, diese Teilung Deutschlands... wir sind die Generation, die damit aufwuchs. Für uns war das normal. So richtig, dass es mal eins war, ist mir nach der Wende bewusst geworden. Ich habe ja in Berlin studiert. Und die, und das war, die Schule war Warschauer Straße. Und wir hatten, im Urlaub mussten wir dann die Praktikas durchziehen. Und sind dann natürlich abends rüber. Und haben geguckt und gemacht. Und es war ganz lustig. Damals hat dann irgendeiner aus meiner Klasse gesagt, ich weiß nicht mehr, in welchem Berliner Stadtbezirk, gäb es einen Kaisers, einen Laden, und die hätten eine Rolltreppe, wo man mit dem Einkaufswagen hochfahren kann. Das wollten wir sehen. Und dann sind wir von Warsch... sind wir von der U-Bahn, mit der U-Bahn vom Kreuzberg dort hin. Und zwar einmal quer durch die Stadt. Und wir sind dann durch die stillgelegten U-Bahnhöfe der DDR. Ich weiß nicht, ob Sie die kannten. Alex [Alexanderplatz], Warschauer Straße. Und dort ist ja die U-Bahn ganz langsam gefahren. Und plötzlich hat man dort diese Zeitkapsel gesehen von 61 [1961]. In dem Moment, also mir wurde es eiskalt, wo ich das gesehen habe. Weil das war ja wirklich noch so, wie sie es 61 [1961] zugeschlossen hatten. In dem Moment ist mir das erste Mal wirklich bewusst geworden, dass diese Stadt mal eins war. #01:07:55-7#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:07:57-3#

Martina Runge: Und dass da was passiert war an der Stadt. Weil aufgewachsen war man mit zwei Städten. Ost- und Westberlin. Und das war so ein Moment gewesen, den man nie vergisst. Wo einem wirklich sowas mal ganz nahegeht und wo einem das ganz sehr bewusst war. #01:08:14-9#

Astrid Kirchhof: Das heißt, die, dass es ja eine Mauer gab, war Ihnen da, wo Sie gelebt haben, gar nicht so bedeutend oder bewusst, weil das...? #01:08:24-1#

Martina Runge: Das war Normalität! Es war der normale Alltag, in den man reingeboren wurde. Man kannte es ja nicht anders. #01:08:32-7#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:08:34-0#

Martina Runge: Und ich muss sagen, ich habe das Glück gehabt, dort auf den Dörfern oberhalb von Berlin, die waren sowas von unpolitisch. #01:08:43-2#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:08:43-6#

Martina Runge: Also meine Kindheit und Jugend, das war, das hat niemanden interessiert. Wir haben alle Westfernsehen geguckt. Wir haben Westklamotten angehabt, die wir hatten. Unser Schuldirektor hat in der Schuldisko nicht mal aus den Mitschnitten nicht mal Ilja Richter rausgeschnitten. #01:08:59-7#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:09:00-6#

Martina Runge: (Lacht) Also das habe ich wirklich erst kennengelernt, erst in Böhlen ein bisschen. Und dann bei der Wismut. Wie... diese, ja Beengtheit sein kann. Dass man da wirklich irgendwo begrenzt wird. #01:09:16-4#

Astrid Kirchhof: Okay, hm (bejahend) #01:09:17-1#

Martina Runge: Weil wo wir geheiratet hatten, wollten wir, dass man zum Beispiel, dass mein... wir haben 84 [1984] im August geheiratet. Und wollten, dass mein Cousin kommt aus Berlin. #01:09:27-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:09:28-5#

Martina Runge: Da haben wir einen Antrag gestellt. Und mein Schwiegervater hatte eine leitende Funktion. Und der musste den Antrag stellen, dass er an der... dass die kommen dürfen und er an der Hochzeit teilnehmen darf. Und am Ende mussten wir uns entscheiden. Entweder mein Cousin oder mein Schwiegervater. Und mein Schwiegervater... wir haben uns natürlich für meinen Schwiegervater entschieden. Mussten meinen Cousin schweren Herzens ausladen. Und nur, weil er den Antrag gestellt hatte, wurde seinem Abteilung dann der Bereich der vorbildlichen Ordnung und Sicherheit für das Jahr entzogen. #01:10:05-9#

Astrid Kirchhof: Der Cousin, der Cousin war aus Westberlin? #01:10:08-4#

Martina Runge: Der war aus Westberlin. #01:10:09-9#

Astrid Kirchhof: Und der... #01:10:11-1#

Martina Runge: Und da meine Eltern ja... ich bin ja aus der Nähe von Berlin. Die waren ja alle regelmäßig bei meinen Eltern zu Besuch. #01:10:17-0#

Astrid Kirchhof: Ja, ja, hm (bejahend) #01:10:18-1#

Martina Runge: Und der war so unser Alter. Und mit dem haben wir uns einfach gut verstanden. #01:10:22-4#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) verstehe, hm (bejahend) #01:10:25-1#

Martina Runge: Das waren Sachen, wo man wirklich gesagt hat, wo einem... Eingrenzungen bewusst wurden. Ansonsten muss ich sagen, vieles, wo man heute sagt, man wurde reglementiert. Hat man damals nicht so empfunden. Weil es einfach normal war. Weil es ja allen so ging. #01:10:42-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:10:42-8#

Martina Runge: Man hat gemeckert, ja. Aber ich muss auch sagen, ich habe persönlich keine großen Repressalien erlebt. #01:10:51-1#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend). Sind Sie manchmal... Sie sind doch auch verreist, also in andere Ostblockländer, nehme ich an, oder? #01:11:00-7#

Martina Runge: Naja. Nicht weit. Also höchstens mal Tschechien oder Polen. Weil... ich war ja als... meine Eltern wohnten auf dem Dorf oberhalb Berlins. Da gab es keinen Urlaub. Ich bin niemals mit meinen Eltern im Urlaub gewesen. #01:11:15-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:11:16-5#

Martina Runge: Und... also dafür dann ins Ferienlager und sowas. Wie, wie es halt die Feriengestaltung in der DDR war. Ich meine, das war auch schön. Und später war es dann so, einen Urlaubsplatz im Ausland zu kriegen, also da hätte ich ein paar Jahre länger bei der Wismut gewesen sein müssen (lacht). #01:11:34-0#

Astrid Kirchhof: Okay. #01:11:35-3#

Martina Runge: Die wurden ja verteilt. Und durch eine Kommission. #01:11:38-9#

Astrid Kirchhof: Okay, verstehe. #01:11:40-2#

Martina Runge: Wir waren dann schon froh, dass wir mal einen Urlaubsplatz an der Ostsee gekriegt hatten (lacht). #01:11:44-5#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay, verstehe. Sie haben ja dann erzählt, dass nach dem Mauerfall, mussten auch Leute entlassen werden. Haben Sie... / Martina Runge hm (bejahend) / Astrid Kirchhof ...das verstanden, also haben Sie da viel Leid miterlebt? #01:12:00-2#

Martina Runge: Ja. #01:12:00-6#

Astrid Kirchhof: Oder konnten Sie das verstehen? Oder wie war das für Sie? #01:12:03-9#

Martina Runge: Für mich war das sehr hart. Weil ich war in der Zeit im Betriebsrat. #01:12:09-0#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:12:09-9#

Martina Runge: Das bedeutete, ich wusste Wochen zuvor, wer entlassen wird. Wir waren nur teilweise an der Auswahl beteiligt. Aber wir waren informiert. Und ich war dann auf Arbeit, alle wussten, dass ich es weiß. Und ich durfte nicht drüber reden. Und durfte mir nichts anmerken lassen. Also das war eine unglaublich schwere Zeit für mich. #01:12:35-6#

Astrid Kirchhof: Mussten Sie die Kündigungen auch aussprechen? #01:12:39-1#

Martina Runge: Nein! #01:12:40-2#

Astrid Kirchhof: Das nicht. #01:12:40-6#

Martina Runge: Das mussten wir nicht. Aber es war ja, wir kennen ja das Betriebsratsgesetz. Der Betriebsrat muss angehört werden. Der kriegt die Listen, kann, also die Listen wurden ja nicht vom Betriebsrat erstellt. Die wurden ja von der Leitung des Betriebs erstellt. Und wir konnten dann gegebenenfalls bei Härtefällen oder so noch ein Veto einlegen. Und versuchen, dort noch irgendwo noch was abzumildern. Aber... wenn mir jemanden von der Liste runtergekriegt haben, musste jemand anderes drauf. #01:13:11-4#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:13:12-2#

Martina Runge: Und wir wussten halt sehr sehr lange vorneweg schon, wer gehen muss. #01:13:19-4#

Astrid Kirchhof: Wissen Sie, haben viele von diesen Leuten, waren die dann arbeitslos? Oder haben die was Neues gefunden? #01:13:25-7#

Martina Runge: Also von denen aus dem Labor haben eigentlich so ziemlich alle was Neues gefunden. Es sind, gerade von den jungen Leuten, sind damals sehr viele zur Knappschaft gegangen, die gerade im Aufbau befindlich war. Also zur bergbaulichen Krankenversicherung. Die kam ja aus den alten Bundesländern rüber für die Wismut-Leute. Und die haben natürlich dann viele eingestellt, die entlassen wurden bei der Wismut. Also viele der Leute, jungen Laboranten aus dem Labor haben dann wirklich bei der Knappschaft irgendwo im Büro angefangen. Haben sowas gemacht. Haben noch eine Abfindung bekommen. Und denen ging es dann ganz gut. Und viele der anderen haben dann wirklich auch Arbeit gefunden. Einige sind auf der Strecke geblieben (5 Sekunden Pause),... / Astrid Kirchhof Und.../ Martina Runge ...die dann auch schlecht Fuß gefasst haben. #01:14:19-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Und Sie sagen aber, die haben eine Abfindung gekriegt und das war auch, die war in Ordnung, die Abfindung? #01:14:27-2#

Martina Runge: Ja. Es waren ein paar tausend Mark. Fünf- oder 6.000 Mark. Es war für damalige Verhältnisse erst mal viel Geld. Aber für die jungen Leute, die bei der Knappschaft waren, für die war es zusätzliches Geld. Die sind, hatten dann einen sicheren Job, wo sie sogar mehr verdient haben. Und haben noch eine Abfindung gekriegt (lacht) #01:14:44-6#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:14:45-5#

Martina Runge: Die waren die Gewinner. Aber die, die dann auch in dem... es gab ja mehrere Entlassungswellen. Die in den ersten Wellen, die haben fast alle dann gleich noch was gefunden. Gerade die in der Knappschaft. #01:14:57-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:14:58-1#

Martina Runge: Bei den letzten Wellen, die hatten es dann schwerer. Weil dann gab es schon sehr viel Arbeitslosigkeit. Und dann war es für viele schon deutlich schwerer, noch irgendwo eine Arbeit zu finden. #01:15:09-8#

Astrid Kirchhof: Wie lange waren Sie im Betriebsrat? #01:15:13-1#

Martina Runge: (Atmet aus) Och, jetzt müsste ich lügen. Drei... Jahre ungefähr. Drei oder vier Jahre. Also, weil dann... ich bin dann raus, weil ich dann ja nach dem Studium in eine Leitungsfunktion kam. Und man damals dann so der Auffassung war, naja, jemand, der Leiter ist, kann nicht im Betriebsrat sein. #01:15:33-5#

Astrid Kirchhof: Aha, okay. Aber einen Betriebsrat gab's aber schon zu Wismut... also noch in der DDR in der...? #01:15:41-4#

Martina Runge: Nein. #01:15:41-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:15:42-2#

Martina Runge: Der ist nach der Wende erst entstanden. In der DDR gab's keinen Betriebsrat. #01:15:46-7#

Astrid Kirchhof: Okay. Würden Sie sagen, wenn Sie jetzt in Rente gehen, Sie sind auskömmlich finanziert? #01:15:56-5#

Martina Runge: Ja. #01:15:58-9#

Astrid Kirchhof: Haben Sie eigentlich auch mehr bei der Wismut verdient als andere Leute, die in Laboren gearbeitet haben? #01:16:06-5#

Martina Runge: Das kam auf den Industriezweig an. Also ich habe, wo ich in Böhlen im Schichtsystem gearbeitet hab, habe ich deutlich mehr verdient, wie bei der Wismut. Also wer jetzt zum Beispiel in einem großen Chemiewerk... die Wismut war jetzt nicht unbedingt die Firma, die das meiste bezahlt hat. Aber bei der Wismut hatte man halt einen anderen Versorgungsstatus. Will ich mal so sagen. Also man kam an eine Wohnung ran. Und die Wismut hatte ja den Wismut-Handel. #01:16:34-4#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:16:35-0#

Martina Runge: Also einen eigenen Handelssys... -organisation. Wo man eben auch... ja. Mein Sohn wusste, was eine Banane ist. #01:16:44-0#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:16:45-0#

Martina Runge: Und ich habe dort... ich habe 85 [1985] dort angefangen. Und habe 86 [1986] einen Führerschein gemacht. Normal hat man zehn Jahre drauf gewartet. Weil die Wismut auch einen eigenen Automobilklub hatte. Über den man auch... also es gab andere Vorteile. Man hat halt über den Wismut-Handel auch, man hat mal eher einen Gefrierschrank gekriegt. Oder einen Farbfernseher. Oder ein Auto. Solche Sachen. Es gab eben Apfelsinen und Bananen. Nicht immer, aber öfter. Es waren einfach solche Sachen, die, wo man sagte, man geht dorthin. Bei mir war es der Grund, die Wohnung. #01:17:24-8#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Würden Sie das... würden Sie das so benennen, die Wismut war ein Staat im Staate? Kann man das so sagen? Oder... #01:17:32-7#

Martina Runge: Ja. #01:17:32-8#

Astrid Kirchhof: ...passt das nicht? Doch. #01:17:34-1#

Martina Runge: Es war so. Weil jetzt... nicht mal unbedingt nur, weil man so viel mehr hatte. Es ist ja nichts umsonst. Ich meine, wir hatten eben... ich habe eine Wohnung gekriegt, es gab ein bisschen, ein bisschen mehr an Konsumgütern. Aber dafür hatten wir auch wirklich schon ein Leistungsprinzip in der Wismut. Also in wenigen Betrieben der DDR hat man so straff arbeiten müssen wie bei der Wismut. Und kam man eben auch nicht raus. Und konnte auch nicht mal eher gehen. Oder so. Also, das war schon untersetzt. Aber die Wismut war halt so eine Welt für sich. Die hatte ja alles eigen. Man hatte Wismut-Kindergärten, Wismut-Krankenhäuser, viele Wohnblöcke, wo Wismut-Leute wohnten. Da wohnten viele Wismut-Blö... Wismut-Leute. Und wir hatten unsere eigenen Kulturhäuser gehabt. Da war... dann die ganzen Firmen. Die Wismut hatte ja alles für sich. Die hatten einen eigenen Projektierungsbetrieb gehabt. Die hatten einen eigenen Fahrzeugbetrieb gehabt. Die hatten einen eigenen Baubetrieb gehabt. Die Wismut war relativ autark. Da kommt dieses... also, da hat sich viel mehr dieses Staat im Staate. Die Wismut war ein autarker Betrieb, der wirklich wenig mit Fremden zutun haben wollte. Weil hatl alles geheim war, was wir gemacht haben (lacht). #01:19:00-6#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Sie haben im Vorgespräch auch bei der Frage zum Staat im Staate die Kita erwähnt von Ihrem Sohn. Und haben gesagt, ja, er war der Erste, der gebracht wurde und der Letzte, der geholt wurde. Sie haben es auch vorher noch mal, auch schon mal erwähnt. War das für Sie eine Erleichterung oder war, ja, oder war es schwierig für Sie, dass Sie so lange haben arbeiten müssen? #01:19:25-1#

Martina Runge: Nee, das war schon schwierig, weil, vor allen Dingen, weil mein Mann ja in der Zeit auch, wo mein Sohn in die Krippe ging, war mein Mann ja eben bei der Armee. Und ich war alleine. Und... man hat unter der Woche, man hat ihn früh abgefüttert, fertig gemacht, in die Krippe geschafft und wenn ich dann abends mit ihm nach Hause kam, der war zwei, drei Jahre, dann hat man wieder abgefüttert, noch mal durchgekuschelt und hat ihn ins Bett gebracht. Also, Familie fand am Wochenende statt. #01:19:56-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:19:58-5#

Martina Runge: Das war schon hart gewesen. Wobei es eben auch so war, es war für die DDR-Zeit bei der Wismut noch mal ein bisschen härter, weil man eben nicht mal eher gehen konnte. Aber es war auch relativ normal, dass die Kinder den ganzen Tag in der Kita waren. #01:20:14-6#

Astrid Kirchhof: Ist er dann, bis er zwölf war vermutlich, in den Hort gegangen später? #01:20:19-8#

Martina Runge: Ja. #01:20:20-4#

Astrid Kirchhof: Und dann ist er nach, danach nach Hause gekommen, nach dem Hort, alleine? #01:20:24-9#

Martina Runge: Nach dem Hort ist er nach Hause gekommen. Und dann war es ja aber so, da war ja auch mein Mann dann zu Hause. Und wir sind dann nach der Wende auch in das Haus gezogen, wo meine Schwiegereltern gewohnt haben. Und da war er dann so, da war er ungefähr so elf. Zehn, elf. Und das bedeutete, wenn er dann nach Hause kam, konnte er an der anderen Tür zur Oma gehen. #01:20:51-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:20:53-0#

Martina Runge: Dann war die Zeit, wo er nicht mehr in den Hort ging. Und dann ist er halt erst mal zur Oma Essen gegangen. Und dort rüber zum Opa Karten spielen. Und da war auch jemand da. Wo wir dann weggezogen sind von Chemnitz nach Oberlungwitz, war er 14. Und da hat er dann eh Nachmittag kein Interesse mehr dran gehabt, dass mit Mama, Papa oder Oma und Opa zu verbringen (lacht). #01:21:17-4#

Astrid Kirchhof: Ah, okay. Aber Sie haben da immer vertraut, oder... #01:21:21-4#

Martina Runge: Ja. #01:21:21-9#

Astrid Kirchhof: ...keine Ahnung, das war, war immer alles in Ordnung? #01:21:24-3#

Martina Runge: Das war in Ordnung gewesen. #01:21:27-2#

Astrid Kirchhof: Hatten Sie in der Wismut mit russischen Kollegen zu tun? #01:21:34-1#

Martina Runge: Also selber wir in unserem Labor nicht. Wir haben die am Bahnhof gesehen. Weil die auch nach Chemnitz reinfahren mussten. Allerdings nur ein, zwei Stationen. Aber ein großer Kontakt mit denen war nicht. Es war auch nicht gewollt. #01:21:50-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Waren Sie in der SED oder in irgendeiner Organisation? #01:21:57-4#

Martina Runge: Als ich anfing zu studieren, war ich bis zur Wende in der SED (4 Sekunden Pause). / Astrid Kirchhof Ist... / Martina Runge Ja, ich wollt, ich wollte ja meinen Studienplatz haben. #01:22:07-2#

Astrid Kirchhof: Ah, okay. Also, Sie waren... in welchen Jahren haben Sie noch mal studiert? #01:22:13-5#

Martina Runge: Ich habe 88 [1988] angefangen bis 93 [1993]. Und ich bin glaube ich 86 [1986] oder so in der SED eingetreten. #01:22:26-3#

Astrid Kirchhof: Und dann hat sich es ja eh erledigt. #01:22:28-6#

Martina Runge: Dann hatte es sich eh erledigt gehabt. #01:22:30-9#

Astrid Kirchhof: Mussten, also waren Sie da (pustet) sage ich mal, auf dem Papier Mitglied? Oder sind Sie einmal die Woche zu irgendwelchen Versammlungen gegangen oder wie war das? #01:22:38-0#

Martina Runge: Da waren dann, bei der Wismut war das straff organisiert. Da waren dann regelmäßig Versammlungen. Und ich wurde dann... aus unserem Bereich ist eine Laborantin, die in der Betriebs-SED-Leitung war, rausgegangen. Und dann wurde ich reinkooptiert. Also sprich, man brauchte die Alibi-Frau. #01:23:01-5#

Astrid Kirchhof: Ah (lacht) #01:23:04-6#

Martina Runge: Ich war dann (lacht) dort die Alibi-Frau. #01:23:07-6#

Astrid Kirchhof: Haben Sie da was bewegen können? #01:23:10-1#

Martina Runge: Kaum. Wenn Sie dort mit 15 Männern sitzen, können Sie wenig bewegen. #01:23:15-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend) #01:23:17-4#

Martina Runge: Das war eigentlich eh, das war auch nichts, wo... in diesen Versammlungen ging es auch, da ging es auch nicht ums Labor oder diese Sachen. Da habe ich manchmal versucht, mal was anzusprechen. Aber es ging um die Bohrleute. Im geologischen Betrieb wichtig waren die Bohrer. Nicht das Labor. #01:23:35-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend), verstehe. Sie haben vorher die Kultureinrichtungen der Wismut erwähnt. Haben Sie daran auch teilgenommen? Kino, Theater, haben Sie das wahrgenommen? #01:23:46-8#

Martina Runge: Es... wenn, es gab ja regelmäßige Veranstaltungen. Zum Beispiel zum Frauentag oder zu ähnlichen Sachen. Es gab sehr schöne Weihnachtsveranstaltungen und so. Und solche Sachen haben wir auch, das wurde alles auch in der Gruppe, also mit den Kollegen, wahrgenommen. Und man hat zu DDR-Zeiten auch sehr viel mit den Kollegen gemacht. Wir haben ja zum Beispiel Wandertage gemacht. Mit den Kollegen. Und haben auch viel zusammen gefeiert. #01:24:19-4#

Astrid Kirchhof: Hat sich das geändert nach dem Mauerfall? #01:24:23-7#

Martina Runge: Langsam, aber ja. Weil zu DDR-Zeiten war es so, die Kollegen waren eine erweiterte Familie. Das, was man sich heute gar nicht vorstellen kann. Jedes private Problem, jedes Kinderproblem, jedes Eheproblem, wurde auf Arbeit ausdiskutiert (lacht) #01:24:39-6#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:24:40-7#

Martina Runge: Das war ganz anders. Man hat das wirklich. Man wusste eigentlich von allen alles. Und man hat sich auch untereinander, wenn man wusste, der braucht das, und man hat das irgendwo gesehen, hat man dem das besorgt. Und gemacht. Weil man da gerade, gerade dazu kam. Und da wurde, der war auf Arbeit... im Privaten, über private Sachen eine ganz große Offenheit. Weil es gab ja keine Konkurrenz. Das hat sich dann nach der Wende ja ganz gravierend geändert. Also heute würde ich mich hüten, zu viel... wir haben jetzt, ich habe ein sehr gutes Kollektiv auf Arbeit. Also wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Aber ich würde mich trotzdem über bestimmte Sachen, wo man... man unterhält sich auch über Privates. Aber nicht unbedingt über alle privaten Probleme, die man... diskutiert man heute nicht mehr auf Arbeit aus. #01:25:27-5#

Astrid Kirchhof: Hat das mit dem... würden Sie sagen, das hat was mit dem Kapitalismus zu tun? #01:25:33-8#

Martina Runge: Kapitalismus... na, es hat, denke ich schon, in gewisser Weise was mit der Konkurrenzsituation zu tun. Weil man dann über die, gerade in den Nach-Wende-Jahren, waren die Mitarbeiter, oder die Kollegen plötzlich, man hat sich ja in den Zeiten, wenn Entlassungswellen waren, regelmäßig, regelrecht ein bisschen belauert. Wer muss gehen? Und in der Zeit hört man dann auf, Schwachstellen preiszugeben. Weil die können dann gegen einen verwendet werden. #01:26:08-5#

Astrid Kirchhof: Aber die Konkurrenz hat ja mit dem, wahrscheinlich mit dem Systemwechsel zu tun, oder? #01:26:13-5#

Martina Runge: Die hat mit... ja. Es ist halt, sagen wir mal so, es konnte so nicht weitergehen. Weil das war nicht finanzierbar. Es war ja... Wolkenkuckucksheim für Arbeitnehmer, ein bisschen (lacht) #01:26:28-0#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:26:29-9#

Martina Runge: Aber... gerade für... wir hatten eine Kollegin gehabt, die war sehr labil. Hat auch ein bisschen getrunken. Und gemacht. Und die wurde zum Beispiel zu DDR-Zeiten im Arbeits... in der Arbeitsgruppe aufgefangen. Die hat ihr Halt gegeben. Die hat nach der Wende, wurde die dann auch, da war die, ich glaube bei der zweiten Entlassungswelle dabei. Wurde die entlassen. Und die hat später Selbstmord gemacht. Weil die plötzlich den Halt verloren hatte. #01:27:03-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:27:06-6#

Martina Runge: Die hat sich zu Tode getrunken. #01:27:10-3#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend). #01:27:12-1#

Martina Runge: So, das ist, sind so Sachen, wo man sagt, wer jetzt labil ist, hatte glaube ich viel, viel mehr Probleme. Als Leute, die jetzt charakterstärker waren. Die sich da durchgeboxt und durchgekämpft haben. Das war ja was, Durchkämpfen war ja nichts, was man zu DDR-Zeiten unbedingend zwingend brauchte. #01:27:34-8#

Astrid Kirchhof: Das finde ich sehr interessant. Ich habe mir genau darüber auch schon Gedanken gemacht. Und ich hätte Sie auch jetzt noch mal gefragt. Aber Sie haben es jetzt schon gesagt. Was braucht es, dass man diesen Systemwechsel gut übersteht? Sie haben ja jetzt schon was erwähnt. Wie kommt das? Ist das angelegt in einem? Wenn Sie sagen, das hat man ja in der DDR nicht gelernt. Warum können es manche Menschen und andere können es halt nicht so gut? #01:28:01-8#

Martina Runge: Na, ich denke, das hängt auch viel vom Umfeld ab. Also, wer jetzt eine funktionierende Familie um sich herum ist, hat,... #01:28:09-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:28:10-0#

Martina Runge: ...ist dort auch viel stärker. Und kann mit denen zusammen... also man braucht ja sein soziales Umfeld. Bei der Frau war es zum Beispiel so, die war geschieden. Die war allein. Die Töchter waren mittlerweile erwachsen. So, die war alleingelassen. Die war einsam, dann. #01:28:26-6#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:28:27-2#

Martina Runge: Ihre Arbeitsfamilie war weg. #01:28:29-2#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:28:30-3#

Martina Runge: Die ihr Halt gegeben hat. Und... #01:28:33-6#

Astrid Kirchhof: Wurde sie arbeitslos, hat auch nichts mehr gefunden? #01:28:36-5#

Martina Runge: Nee. #01:28:38-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:28:39-6#

Martina Runge: So. Und ich denke, dass das, es ist eine Charakterfrage. Aber ich denke, dass da auch das soziale Umfeld ganz viel... Und das war halt, denke ich, für Leute, die jetzt nicht groß Familie oder ein eigenes soziales Umfeld hatten, das auch da ist und sie auffängt, für die war das ganz schwer. Das hat sich ja in... für heute, nach, in Bezug auf heute ja auch nicht geändert. Würde ich sagen. #01:29:08-8#

Astrid Kirchhof: Diese Kollegin, hatte die, war die auch nicht so gut ausgebildet? Jetzt zum Beispiel... #01:29:14-5#

Martina Runge: Nee. Die war, die war gut ausgebildete Laborantin. Aber die hatte eben schon immer, die war labiler Typ vom Charakter her. Und hatte schon immer so ein leichtes Alkoholproblem gehabt. Das sie aber so halbwegs im Griff hatte. Und man wusste auf Arbeit, auf Arbeit war es auch zu DDR-Zeiten so, solche Leute wurden aufgefangen. Also man hat ihr halt, bestimmte Sachen hat man sie nicht machen lassen. #01:29:37-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend), hm (bejahend) #01:29:40-0#

Martina Runge: Sie hat halt Sachen gekriegt, wo sie keinen Schaden anrichten konnte. #01:29:42-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend) #01:29:44-0#

Martina Runge: Was man dann sich in dem anderen System nicht mehr leisten konnte. #01:29:47-6#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) verstehe. Wir, also ich würde gerne noch was fragen zu Umwelt / Martina Runge hm (bejahend) / Astrid Kirchhof und Krankheit / Martina Runge hm (bejahend) / Astrid Kirchhof Sie haben vorher schon gesagt, Sie kannten oder kennen eigentlich niemanden, der Wismut-bedingt krank wurde. / Martina Runge hm (bejahend) / Astrid Kirchhof Aber hier haben, im Vorgespräch haben Sie zu, zu Umwelt gesagt, das wurde eigentlich erst ein Thema dann nach der Wende, wo es um die Halden ging. #01:30:14-6#

Martina Runge: Ja. #01:30:15-5#

Astrid Kirchhof: Wie würden Sie das beurteilen im, im Rückblick? Also finden Sie das eine Frechheit, dass da die, sage ich jetzt mal, die DDR oder die SED nicht so aufgeklärt hat? Oder, ja, es ging nicht anders, weil die Russen vielleicht das so vorgegeben haben? Wie stehen Sie zu der Umweltpolitik der DDR in dem Punkt? #01:30:37-3#

Martina Runge: Ja. Umweltpolitik in dem Sinne gab es ja nicht. Es gab eine Wirtschaftspolitik. #01:30:43-5#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:30:44-7#

Martina Runge: Die Wirtschaft musste irgendwie... dieser dreirädrige Karren, will ich ihn mal nennen, musste irgendwie weiter rollen. So. Von der Warte, gut, hatten die keine Kapazitäten, Umweltschutz zu betreiben. Wenn ich es bei der Wismut sehe, es ist... ja. Man hat halt gemerkt, dass er zur Hälfte den Russen gehörte, weil so wie bei denen... es wurde halt auf Halde gekippt. Aber in anderen Chemiebetrieben oder so war es ja weitaus schlimmer, denke ich. Also ich habe Bitterfeld gesehen. Ich habe Leuna gesehen. Wenn man gesehen... habe Böhlen gesehen. Wenn man gesehen hat, was dort in die Umwelt ging, Espenhain. Das war... das waren ja wirklich Umweltkatastrophen. Die Wismut hat ganz viel Landschaft zerstört. Die jetzt über die Jahre wieder aufgebaut wurde. Aber man hat das damals... irgendwo dieses Thema war gesellschaftlich bis auf einzelne Gruppen nicht das Thema. Das war... man kann es heute kaum noch nachvollziehen, aber es war einfach so. In gewisser Weise ist es vielleicht so wie, ist ein ganz blöder Vergleich jetzt, aber im Dritten Reich bestimmte Sachen einfach auch hingenommen wurden. Vom Großteil der Bevölkerung. So war es mit der Umweltpolitik. Klar hat man geschimpft. Ich meine, ich habe in Böhlen gearbeitet. Wenn ich nach Hause kam zu meinen Eltern, musste ich mich in der Wasch... meine Reisetasche in der Waschküche lassen. Mich baden und komplett umziehen, dann durfte ich ins Haus. Weil ich gestunken habe. Das hat man aber dort nicht wahrgenommen, weil wir haben alle so gestunken. Weil dort stank ja alles. Wo ich das erste Mal ins Werk bin, habe ich fast keine Luft gekriegt. #01:32:41-9#

Astrid Kirchhof: Nach was, nach was stank das da? #01:32:45-0#

Martina Runge: Nach Chemie. Das war Geruch aus Kohle, Abgas, Phenol, Benzin. Das war... ein beißender Chemiegeruch. Den man aber... #01:32:59-3#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:33:00-1#

Martina Runge: ...den hat man nicht mehr, wenn man dort gewohnt hat, hat man den nicht mehr wahrgenommen. Man hat sich dran gewöhnt. #01:33:06-0#

Astrid Kirchhof: Und war das nicht, also wenn Sie das jetzt so sagen und Sie haben das eingeatmet, war das nicht, das nicht gefährlich? #01:33:13-1#

Martina Runge: Damals war es relativ... also man hat sich keine Gedanken drüber gemacht. Und es wurde auch nie... also nicht thematisiert. Durfte nicht thematisiert werden. Da hat man auch, da gab's wirklich fast einen Maulkorb. Also bei mir war es ja zum Beispiel so, ich habe dann, ungefähr zu der Zeit, wo ich meinen Mann kennengelernt habe, habe ich im Hauptlabor gearbeitet. Und wir haben eine Anlage betreut. Wir waren im Altwerk, wo es also besonders schmutzig war. Und haben eine Anlage betreut, die Schwefel hergestellt hat. Aus den ganzen Abgasen. Früh... und die Kollegen und die Älteren haben uns gesagt, früher durften in der Anlage nur Männer arbeiten. Ich habe dann nach einer Weile gemerkt, auch warum. Weil meine Regel kam dann, wann sie wollte. Also da war nichts mehr mit regelmäßig. Dem verdanke ich auch meinen Sohn. Weil (lacht) eigentlich hätte ich zu der Zeit gar nicht schwanger werden dürfen, als er entstanden ist! Und das war dann aber so, wo ich dann schwanger war und gesagt habe, nee, ich weiß wann es passiert ist. Weil ich war Schichtarbeiter. Und es gab nur bestimmte Schichten, wo ich meinen Mann treffen konnte. #01:34:24-1#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:34:24-8#

Martina Runge: Da wurde mir erklärt, nein, das kann nicht sein. So. Und dann habe ich einen Geburtstermin gekriegt, der natürlich auch nicht hinhaute. Der theoretisch war. Der aber praktisch gar nicht funktionieren konnte. So. Und da ist man dann auch nicht davon abgegangen. Ich habe in meinem Mütterausweis geste... zu stehen gehabt, rot unterstrichen, geschätzter Geburtstermin. Sonst hat man das ja ziemlich genau festgelegt zu DDR-Zeiten. Bei mir stand rot unterstrichen, geschätzt. Weil die das gar nicht festlegen konnten. Weil der Ter... ich habe... konnte es denen ja auf den Tag genau sagen. Und da hat er mir gesagt, nein, das kann nicht sein. Was nicht sein durfte, durfte nicht sein (lacht). #01:35:04-7#

Astrid Kirchhof: Erklären Sie mir, ich verstehe schon, aber erklären Sie noch mal, warum durfte das jetzt nicht sein? Weil... #01:35:09-4#

Martina Runge: Weil es ja nicht sein durfte, dass sich die Regel der Frau durch die Arbeit im Chemiewerk verschiebt. Das waren einfach Sachen, aber... ja, da hat man halt gesagt, na, die sind doof. Und gut. #01:35:23-3#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:35:24-9#

Martina Runge: Aber man hatte es halt. Ich habe es auch in Böhlen eben gesehen. Dort war es krass gewesen. Also bei der Wismut, eben, wie gesagt, wir waren nicht mit Leuten zusammen, die unter Tage arbeiten. Wo es auch Silikose und alles gegeben hat. Aber gerade dort in Böhlen, in der Region, jedes zweite Kind hatte Keuchhusten, Asthma, oder so was. Allergien. / Astrid Kirchhof Und war das... / Martina Runge Dort war das richtig krass. #01:35:50-6#

Astrid Kirchhof: Und das war aber jetzt, hatte gar nichts mit der Wismut zutun? Sondern... #01:35:53-7#

Martina Runge: Das hatte nichts mit der Wismut zutun da. Aber das hatte, weil es auch allgemein um die DDR ging. / Astrid Kirchhof Das... / Martina Runge Das hatte mit den anderen, deshalb sage ich, andere Bereiche der DDR waren da viel belasteter wie die Wismut. Die Wismut hat um... also viel Schaden angerichtet in der Landschaft. #01:36:13-6#

Astrid Kirchhof: Aber Sie sagen, dass das, ich weiß nicht. Manche unserer Zeitzeugen sagen, wie, dass es eigentlich kein Problem jetzt groß mit der Strahlung war. Und andere sagen, ja, wir sind da den Berg immer im Winter runtergerodelt, das hat dann bestimmt gestrahlt. Was, was sagen Sie? Wie... wie ist das einzuschätzen? #01:36:32-0#

Martina Runge: Ich sehe das eigentlich nicht so stark. Weil wir haben ja auch diese Untersuchungen später gemacht. Natürliches Uran strahlt nicht so stark. Und auf dem Berg lag der Abraum. / Astrid Kirchhof hm (bejahend) / Martina Runge Und dort lag das, wo das Uran nicht drin war. Weil alles, wo auch nur ansatzweise ein bisschen Uran drin war, wurde in den Aufbereitungsbetrieben ja ausgelaugt. Dort wurde das Uran rausgeholt. Man hat ja Gehalte ausgebeutet, die, heute würde man sagen, gar nicht wirtschaftlich waren. / Astrid Kirchhof hm (bejahend) / Martina Runge Um das Uran zu bekommen. Also in den Halden war nicht das Uran das Problem. Da waren die anderen Schadstoffe das Problem. Eben wie Arsen, wie Eisen. #01:37:16-2#

Astrid Kirchhof: Das ist ja sehr interessant, was Sie auch gerade gesagt haben. Hier, dass andere Gebiete viel belasteter waren, wo es andere Industrien gab. Was würden Sie denn sagen, warum dann plötzlich die Wismut zu so einem Buh-Betrieb wurde nach 89 [1989]? War das mehr aus dem Westen rübergeschwappt oder kam das aus der Umweltbewegung? #01:37:33-7#

Martina Runge: Nee. Das kam auch aus der DDR. Weil dadurch, dass die Wismut so abgeschottet war und eben auch zur Hälfte den Sowjets gehörte. Ich glaube, die Wismut war nach der Stasi der unbeliebteste Betrieb der DDR. Weil, dass sich so viele Gerüchte drum rankten. Ich habe es ja eben... in der Schule würde über die Wismut nichts gelehrt. Also ich habe in den Geologiekarten gesehen, dass da irgendwo hier unten im Erzgebirge das Uran-Zeichen war. Aber ich habe in der Schule nicht gelernt, dass es eine Wismut gibt, die das abbaut. Das hat man nicht gelernt. Das wurde nicht verbreitet. Um die Wismut wurde von Staats wegen so ein Geheimnis gemacht. Und so eine Geheimniskrämerei, dass, da Ger... eben Gerüchte war... gab. Und alles, wo Gewese drum gemacht wird, das polarisiert. Und dadurch war das dann nach der Wende, weil eben auch viele ja, die Wismut, die haben alles. Die haben einen Sonderstatus, die haben alles gekriegt. Da war auch ein großes Päckchen Neid dabei. #01:38:45-6#

Astrid Kirchhof: Mussten Sie sich da auch manchmal verteidigen? Persönlich? Dass Leute was zu Ihnen gesagt haben? #01:38:52-5#

Martina Runge: In unserem Freundeskreis oder so kaum. Wir hatten einen sehr guten, stabilen Freundeskreis. Da eigentlich wenig. Mein Mann teilweise auf Arbeit. Der hat ja nun in einem normalen Betrieb gearbeitet. Und wir haben dann in... unsere Wohnung, die wir bekommen haben, war Stadtmitte. Also ich hatte die Wahl. Entweder Heckert-Gebiet, Baugebiet acht, das war JWD. #01:39:15-2#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:39:16-4#

Martina Runge: Und... oder Stadtmitte. Und da habe ich die Wohnung genommen, weil ich wusste ja, mein Mann ist bei der Armee. Und ich muss mit dem Kind irgendwie pünktlich auf Arbeit kommen. Und da war das für mich günstiger. Und in dem Wohnblock... ja, da wohnten, also in unserem Eingang wohnte ein Opernsänger. Unter uns ein junges Studentenehe... nee. Über uns ein junges Studentenehepaar. Rentnerehepaar, der beim Rat des Bezirkes war, vorneweg. Und zwei oder drei Pärchen von der Stasi. So. Und wo mein Mann dann auf Arbeit stolz sagte, wir haben eine Wohnung. Und die gefragt haben, wo? Und er sagte, hier, gegenüber vom Metropol-Kino, da haben seine Kollegen ihn angeguckt. Und haben gefragt, ist deine Frau bei der Stasi? #01:40:05-1#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:40:06-6#

Martina Runge: (Lacht) Und da hat er gesagt, nee, bei der Wismut. Na, das ist genauso schlimm! #01:40:10-2#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:40:10-5#

Martina Runge: (Lacht) So. Also, das wurde so ein bisschen auf eine Stufe (lacht) gestellt. #01:40:15-9#

Astrid Kirchhof: Okay, hm (bejahend), hm (bejahend). Wenn Sie jetzt zurückblicken auf Ihre bisherige Berufstätigkeit. Was würden Sie sagen, was war die schönste Zeit? Oder vielleicht gar nicht mal nur Berufstätigkeit. Vielleicht auch in Ihrem Leben überhaupt? #01:40:32-6#

Martina Runge: Die schönste Zeit... es gab viele... jede Zeit, also die meisten Zeiten. Es gab Zeiten, die waren gar nicht so schön. Gerade so direkt so ein... na, obwohl. Eigentlich jede Zeit hatte was Schöne..., / Astrid Kirchhof hm (bejahend) / Martina Runge ...was Schönes. Aber eine jetzt zu sagen, direkt die allerschönste, ist ganz schwer. #01:40:50-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:40:51-5#

Martina Runge: Könnte ich jetzt nicht mal einen Zeitpunkt so benennen. Weil in jeder Zeit war... ich meine, nach der Wende hatte man auf eine Art den Aufbruch, die Möglichkeiten. Auf eine andere Art plötzlich diese Unsicherheit, die man vorneweg nicht kannte. Zu DDR-Zeiten war es so, man hat eigentlich... na, in einem nicht allzu reichen Wolkenkuckucksheim gewohnt. Wenn man es jetzt von der heutigen Sicht betrachtet. Niemand hatte Existenzangst. Man hat sich keine Angst... also die größte Sorge war, was kriege, wo kriege ich jetzt Schinken her oder was Schickes anzuziehen. Und wohin, woher kriege ich einen Urlaubsplatz? #01:41:31-3#

Astrid Kirchhof: (Lacht) #01:41:32-0#

Martina Runge: Aber Existenzangst hatte niemand. Man hatte nur Luxusprobleme. Der Luxus war natürlich, von heute, mit der heutigen Zeit verglichen, ein niedriges Niveau. Aber es gab in der DDR glaube ich niemanden, der Existenzangst hatte. Das war natürlich was. Und der Zusammenhalt war groß. Dafür konnte man nicht weg. Also jede Zeite hatte irgendwas ganz Tolles und irgendwas, wo man sagt, es war nicht so toll. #01:42:02-0#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) #01:42:02-8#

Martina Runge: Ich könnte jetzt nicht sagen, die Zeit war am allerschönsten. #01:42:05-8#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Wenn ich Sie nach Ihrer Identität frage, sowas wie Preußin, Frau, Wismuterin, Chemikerin, wie auch immer, deutsch, europäisch. Was würden Sie sagen, ist Ihre Identität? #01:42:22-0#

Martina Runge: Uh. #01:42:22-9#

Astrid Kirchhof: Oder auch mehrere von mir aus. #01:42:25-0#

Martina Runge: Ja. Also auf jeden Fall Frau. In... gewisser Weise deutsch, ostdeutsch, aber ohne jetzt dieses Ossi-Wessi. Sondern wir haben noch ein bisschen durch die Historie eine andere Mentalität. Das merke ich oft, wenn ich mit Leuten aus den alten Bundesländern... und ansonsten. Nee, dieses deutsch in keiner Weise so (betont) deutsch. Also da bin ich eher Weltenbürger (lacht). Also, weil ich das ganz toll finde, da auch rauszukönnen. #01:42:59-9#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Ich wollte noch, eine Frage noch,... / Martina Runge hm (bejahend) / Astrid Kirchhof Ist Ihr Mann eigentlich nach 89 [1989] arbeitslos geworden, oder hat der auch immer Arbeit gehabt? #01:43:11-4#

Martina Runge: Er war mal eine ganz kurze Zeit arbeitslos gewesen. Aber das waren glücklicherweise bloß zwei oder drei Wochen. #01:43:17-7#

Astrid Kirchhof: Ah, okay. #01:43:18-7#

Martina Runge: Wir gehören zu den wirklich glücklichen Wenigen, die zu Hause bleiben konnten und fast durchgängig... also ich durchgängig und er fast durchgängig immer Arbeit hatten. #01:43:31-3#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend) Okay. Ja. Also, haben wir etwas thematisiert... noch (betont) nicht thematisiert, das Sie gerne ansprechen würden? #01:43:42-7#

Martina Runge: Nee, eigentlich habe ich jetzt so viel geredet, dass mir gar nichts mehr (lacht) einfällt. #01:43:48-1#

Astrid Kirchhof: Also ich habe glaub ich erst mal alle Fragen gestellt. Ich weiß nicht, hatte Sie jemand gefragt, ob Sie uns was zeigen wollen? Fotos oder eine Urkunde oder irgend...? #01:43:59-2#

Martina Runge: Nee. Aber habe ich jetzt auch... ich wurde schon vom Herrn Brumme gefragt, weil ja dieses Jahr so ein Treffen sein soll. Leider wurden auf Arbeit kaum Fotos gemacht. Das war damals nicht so, weil man auch das teilweise ja gar nicht durfte. #01:44:15-3#

Astrid Kirchhof: hm (bejahend), hm (bejahend) #01:44:16-4#

Martina Runge: Also wir haben... ich habe gar keine Fotos von der Zeit von auf Arbeit. Es gab damals nur Fotos so in Brigadetagebüchern und so. Und die, weiß ich leider nicht, ob die irgendjemand mal mitgenommen und gerettet hat (lacht) #01:44:31-3#

Astrid Kirchhof: (Lacht) Okay. Naja, gut. Ja, also wir haben jetzt da fast zwei Stunden geplaudert. Und ich finds, fand es ein ganz tolles Interview. Ich habe es, es war sehr schön für mich, dass ich so viel nachfragen durfte, was ich... ich verstehe natürlich von Ihrem Beruf wenig. Und dass Sie mir so bereitwillig, ruhig Auskunft gegeben haben. Zu allen Fragen. #01:44:58-3#

Martina Runge: Das freut mich. Nee, es hat mich auch... hat mir Spaß gemacht. Weil, es war doch irgendwo eine wichtige Zeit in meinem Leben. Und irgendwo auch eine Zeit, die schön war. #01:45:11-5#

Astrid Kirchhof: Bestimmt. Ja klar. Also es ist so, dass Sie, wir bauen ja, wir sind so zwei Projekte in einem Wismut-Erbe-Projekt. Und die bauen, das andere Projekt, die bauen eine Datenbank und eine Website auf. #01:45:25-8#

Martina Runge: hm (bejahend) #01:45:26-3#

Astrid Kirchhof: Auf dieser Website werden auch die Interviews gespeichert. Und dann dürfen, wer auch immer, ist dann frei zugänglich im Internet für alle Menschen,... #01:45:37-4#

Martina Runge: hm (bejahend) #01:45:37-9#

Astrid Kirchhof: ... die wollen und Interesse haben. Und wenn die jetzt, sage ich mal, Chemie, Labor, Frau, ich sage jetzt mal, googlen würden, dann käme unser Interview. #01:45:48-1#

Martina Runge: hm (bejahend) #01:45:48-8#

Astrid Kirchhof: Und dann sieht man uns und dann kann man innerhalb des Interviews auch bestimmte Orte, Namen eingeben. Und dann kann man direkt dahin springen. Der Link springt dann dahin und dann kann man das verwenden zum Beispiel. #01:46:02-4#

Martina Runge: hm (bejahend) #01:46:03-1#

Astrid Kirchhof: Wir würden, wenn es dann soweit ist, Sie davon interv... unterrichten. Und dass es jetzt freigeschaltet ist. Und dann können Sie sich das auch anschauen. #01:46:13-1#

Martina Runge: Ja. Das ist schön. #01:46:15-9#

Astrid Kirchhof: Dann danke ich Ihnen erst mal, Frau Runge. Sehr angenehmes Interview. Und wir hören uns auf jeden Fall noch mal. Sie hören noch mal von uns. #01:46:25-8#

Martina Runge: Gut. Dann wünsche ich Ihnen... bedanke ich mich, weil es hat mir wirklich auch unheimlich viel Spaß gemacht (lacht). Und ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend und viel Erfolg mit Ihrem Projekt. #01:46:36-0#

Astrid Kirchhof: Vielen Dank. Bleiben Sie gesund. #01:46:38-6#

Martina Runge: Sie auch! #01:46:39-7#

Astrid Kirchhof: Tschüß! #01:46:40-5#

Martina Runge: Tschüß!